Geschickt platzierte Werbung der Firmen, die besonders auf junge Frauen abzielt, führt dazu, dass die Nachfrage sehr hoch ist und ständig steigt: Mütter wollen gern sanfte Medikamente für ihre Kinder, und generell soll es lieber „etwas Natürliches“ anstatt der „chemischen Keule“ sein. Oft wird man von Apothekerseite den Spruch hören, dass man mit Homöopathika nichts falsch machen könne – doch weit gefehlt.
Die Gefährdung durch Homöopathie
Ein häufig gehörtes Argument von Seiten der Globulibefürworter ist Folgendes: selbst wenn man sich sicher sei, dass auf wissenschaftlicher Ebene kein Wirknachweis für die Zuckerkügelchen existiere (oder existieren könne), so könne man ja den Placeboeffekt ausnutzen und dem Patienten durch Aktivierung der „Selbstheilungskräfte“ helfen. Abgesehen davon, dass man den Placeboeffekt auch als Bonus bei wirklich wirksamen Therapeutika nutzen kann, verwirft man damit eine bedeutende Errungenschaft der modernen Medizin: die informierte Einwilligung, also die informierte und aufgeklärte Zustimmung des Patienten zum Behandlungskonzept. Ist sich der Behandelnde, ob Arzt oder Apotheker, dessen bewusst, dass ein Präparat aus wissenschaftlicher Sicht nicht nur nicht wirken kann und laut aktueller klinischer Studienlage nicht wirkt, und verschreibt er es trotzdem, so täuscht und hintergeht er den Patienten – auch, wenn der Placeboeffekt dann eintritt. Die informierte Einwilligung war in vergangenen Jahrhunderten nicht die Regel. Ein Relikt aus dieser Zeit und, wenn man so möchte, ein Beleg für die Vorliebe für die Bevormundung von Patienten in Arzt- und Apothekerkreisen ist die Rezeptursprache. Rezepturen wurden von je her auf Latein verfasst, damit Arzt und Apotheker kommunizieren konnten, ohne dass der Patient verstand, welches Präparat für ihn zubereitet werden sollte. Da die Abkürzungen praktisch und gebräuchlich sind, wurden sie in gewissem Umfang beibehalten, doch als PatientIn hat man es noch immer schwer, zu erkennen, welche Art von Medikament eine(n) erwartet (bezeichnend ist übrigens, dass klassische Rezeptursprache vollumfänglich fast nur noch von älteren Ärzten und Homöopathen verwendet wird) [6]. Wer würde auch erraten, dass hinter „M. f. Ungt. D. ad Ollam albam“ die Anweisung zum Anrühren einer Salbe und deren Abfüllen in eine weiße Kruke steckt?
Heute schüttelt man als Student mit einem ungläubigen Lächeln den Kopf, wenn der Terminologiedozent erzählt, dass die Rezeptursprache zur elitären Kommunikation zwischen Arzt und Apotheker diente – doch ist es nicht ebenso bevormundend und autoritativ, dem Patienten vorzuenthalten, was er wirklich (oder eben nicht) zu sich nimmt, wenn er drei Mal am Tag fünf Globuli unter seiner Zunge zergehen lässt? Das Verordnen und Empfehlen von Homöopathika an Patienten, obwohl man sich deren esoterischen Charakters bewusst ist, gleicht einer medizinethischen Reise ins Mittelalter, auch wenn es noch so gut gemeint ist.
Doch die Liaison zwischen Globuli und Apotheke birgt weitere Unannehmlichkeiten. Obwohl es üblich ist, Homöopathika als Fertigarzneimittel der großen Firmen wie DHU, Wala, Weleda oder ähnlichen zu kaufen, gibt es auch Kunden, die „ihre“ Präparate nach Rezeptur in der Apotheke anfertigen lassen möchten. Dies ist jedoch nicht immer ganz harmlos: viele homöopathische Präparate enthalten Giftstoffe wie Quecksilber oder Antimon. Ein Apotheker, der solche Präparate herstellen möchte, muss zunächst die Grundstoffe aus dem Großhandel beziehen oder vorrätig haben, also unnötigerweise starke Gifte lagern, die im normalen Apothekenalltag nie gebraucht werden. Zudem setzt er damit seine MitarbeiterInnen, die Pharmazeutisch-Technischen AssistentInnen (PTA), welche die Medikamente meist herstellen, völlig überflüssigen Risiken aus – abgesehen davon, dass diese ihre Arbeits- und Lebenszeit damit verschwenden, stundenlang zu verdünnen oder zu verreiben. Einige der PTAs, mit denen ich sprach, erzählten mir, dass sie diese Prozedur während ihrer Ausbildung durchleiden mussten. Beim zehnmaligen Schütteln nunmehr reinen Wassers gegen den Erdmittelpunkt wurden sie zudem angehalten, möglichst positiv zu denken, damit ihre „Schwingungen“ auf das Medikament übergehen könnten.
Für die Kunden und damit Patienten am gefährlichsten ist jedoch die Handhabung des Themenkomplexes Homöopathie durch das Apothekenpersonal. Meist sind Apothekenmitarbeiter aus Gründen der Wirtschaftlichkeit dazu angehalten, die Kunden nicht darauf hinzuweisen, dass die von ihnen erstandenen Globuli völlig wirkungslos sind. Doch Skeptizismus ist unter Pharmazeuten ohnehin nicht besonders weit verbreitet; viele glauben aufgrund ihrer Erfahrungen mit Kunden, dass Homöopathika tatsächlich irgendeine Art von Wirkung entfalten können. Ich selbst habe in einer Apotheke, in der ich arbeitete, miterlebt, wie Werbeinformationen der entsprechenden Firmen ihren Weg vom Pharmareferenten zum Kunden gingen.
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