Nachdem die freundliche Referentin einer großen Homöopathiefirma der Apothekerin einen Besuch abgestattet und viele kleine Werbegeschenke sowie ein Poster über ihre Produkte dagelassen hatte, wurde das Personal zu einer „Kurzfortbildung“ zusammengetrommelt. Im Rahmen dieser zehnminütigen Veranstaltung las die Chefapothekerin das Plakat vor und erklärte ein bestimmtes homöopathisches Präparat zum Mittel der Wahl bei Durchfall, dies möge man bitte so auch an die Kunden weitergeben. Kein kritisches Wort, kein gemeinsames Überprüfen und Diskutieren der Evidenz: nur ein kleiner Werbevortrag und alle waren glücklich. Und das ist sicher nicht unüblich in deutschen Apotheken, wie im folgenden Teil des Artikels deutlich wird.
Die Gefahr für den Patienten entsteht in dem Moment, in welchem er mit einer Beschwerde in der Apotheke erscheint und die Fehlinformationen des Pharmareferenten durch das Apothekenpersonal an ihn herangetragen werden. Dies kann im besten Fall zur natürlichen Besserung, wie sie auch ohne Medikamente eingetreten wäre, im schlechtesten zur Therapieverschleppung und zu gefährlichen Komplikationen führen.
Gefährliche Falschberatung in Apotheken – ein Experiment
Ein Fall, bei welchem das Ausbleiben der richtigen Therapie besonders schlimme Folgen mit sich bringen kann, ist die Mittelohrentzündung. Gerade bei kleinen Kindern führt die falsche Behandlung zu einem Persistieren der schlimmen Ohrenschmerzen, doch das ist noch nicht alles: Komplikationen von Hörverlust über operationspflichtige Knochenentzündungen bis hin zu Hirnhautentzündung und lebensgefährlicher Sepsis sind möglich, wenn eine Mittelohrentzündung nicht nach spätestens einigen Tagen antibiotisch behandelt wird. Hier kann es also katastrophal enden, wenn ein Kunde dem gut gemeinten Rat seines esoteriknahen Apothekers Glauben schenkt und diesen Infekt nur homöopathisch, also nicht behandelt.
Um die Beratungsqualität der Apotheken meines Umfeldes zu prüfen, habe ich daher ein kleines Experiment im Kölner Norden durchgeführt, mit folgenden Versuchsbedingungen: ich gab vor, eine medizinisch unbedarfte Mutter zu sein, deren zweijährige Tochter an wiederkehrenden Mittelohrentzündungen leide. Nachdem der Arzt schon wieder Antibiotika aufgeschrieben habe und ich das Gefühl habe, dass das nicht gut sei für das Kind, wollte ich wissen, welche Alternativen es gibt. Alle Apothekenbesuche wurden nur von mir und am selben Tag durchgeführt und auch mein (auswendig gelernter) Text war in jeder Apotheke derselbe, um für alle Apotheken möglichst gleiche Bedingungen zu schaffen. Um die Reaktion der ApothekerInnen und PTAs einordnen zu können, habe ich meine Fragen nach zunehmender Suggestivität folgendermaßen angeordnet.
- Frage 1: „Gibt es eine Alternative zur Behandlung mit Antibiotika?“
- Frage 2: „Gibt es nicht etwas Natürliches?“
- Frage 3: „Gibt es da etwas Homöopathisches?“
Abhängig von der Reaktion der ApothekerInnen und PTAs habe ich die Apotheken in vier Eskalationsstufen eingeteilt:
- Stufe 4: der/die ApothekerIn empfiehlt sofort ein homöopathisches Mittel
- Stufe 3: Homöopathika werden erst auf Frage nach einer „natürlichen Alternative“ empfohlen
- Stufe 2: erst die gezielte Nachfrage nach einem Homöopathikum führt zu dessen Empfehlung
- Stufe 1: es wird kein Homöopathikum empfohlen.
Wünschenswert wäre natürlich, dass jede Apotheke in die erste Kategorie fallen und der jungen Mutter nahe legen würde, schnellstmöglich einen Kinderarzt aufzusuchen (und dessen Verschreibung ernst zu nehmen). Leider unterschied sich die Realität in den sieben von mir getesteten Apotheken deutlich vom Ideal.
In Apotheke 1 erzählte ich einer freundlichen Apothekerin meine Geschichte, woraufhin sie ohne zu zögern ein homöopathisches Präparat zur Behandlung meiner fiktiven Tochter vorschlug (10 ml, 13,95 €). Sie suchte ein paar Informationen zur Dosierung bei Kleinkindern heraus und empfahl auch keine weiteren Maßnahmen. Nach ungefähr zwei Minuten war das Gespräch beendet. Etwas erschüttert begab ich mich in die zweite Apotheke. Hier sah die Sache schon anders aus: auf meine Frage nach Alternativen entgegnete man mir, die gebe es nicht. Nach weiterem Nachbohren schlug die Dame mir die „natürlichen“ Mittel Sinupret und ein Vitaminpräparat vor; beide nicht mit ausreichend Evidenz durch wissenschaftliche Studien belegt und in ihrer Wirkung höchst zweifelhaft. Als ich schließlich gezielt nach Homöopathika fragte, wurde mir das gleiche Mittel empfohlen wie in Apotheke Nr. 1 – eingeleitet von dem guten Ratschlag, dass man „der Homöopathie schon positiv gegenüberstehen“ müsse.
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