In der dritten Apotheke wurde ich von einem ausgesucht freundlichen Apotheker empfangen, der mir als erster (und leider auch einziger) sagte, was ich hören wollte: an einem Arztbesuch führe kein Weg vorbei. Was er mir allerdings zur unterstützenden Behandlung empfehle, sei das mir schon von den beiden vorherigen Apotheken angeratene Homöopathikum. Es sei ja viel über Homöopathie in den Medien zu vernehmen, erzählte er dann noch, und gerade bei den Hochpotenzen sei es Glaubenssache. Dieses Mittel jedoch enthalte nur Niedrigpotenzen und wirke daher „auf jeden Fall“. Anhand eines Inhaltsstoffes, dem Blausäuresalz des Quecksilbers, erklärte er mir, dass die Mittel so stark verdünnt seien, dass sie nicht mehr toxisch wirken, eine antibakterielle Wirkung sei aber dennoch gegeben (was freilich „schulmedizinisch“ argumentiert – und falsch – ist; Hahnemann-Freunde wären damit nicht einverstanden, entspricht es doch nicht dem Simile-Prinzip). Insgesamt stimuliere das Mittel jedenfalls das Immunsystem. Zum Schluss empfahl mir der Herr, das einmal mit meinem Arzt abzusprechen.
Weiter ging es in die vierte Apotheke, wo ich einer jungen Berufsanfängerin gegenüberstand. Aus dem Stegreif wisse sie keine Alternative zur Antibiose. Ein Blick in die Datenbank schaffte Abhilfe: sie empfehle mir – man ahnt es – ein homöopathisches Mittel. Das wirke auch, wenn man plötzlich Halsschmerzen oder Schnupfen bekomme, dafür könne ich es meiner Tochter auch geben. Ich fragte nach: „Und das hilft?“ Die Apothekerin bejahte und räumte kurze Zeit später ein, dass es natürlich eine Frage des Glaubens sei: wer nicht daran glaube, dem könne es auch nicht helfen.
Ähnliches erwartete mich in Apotheke 5: der erste Gang führte die Pharmazeutin zum Regal, in welchem das mir schon mehrfach empfohlene Homöopathikum stand, auch hier ohne zu fragen, ob ich denn überhaupt Interesse an geschütteltem Lösemittel habe. Lediglich in der vorletzten Apotheke erwartete mich eine Überraschung: die dort arbeitende Frau, die noch sehr jung und daher vermutlich eher PTA als Apothekerin war, beantwortete mir alle Fragen nach Alternativen mit einem klaren Nein – allerdings hatte ich den Eindruck, dass sie nicht um das oben so oft erwähnte „Therapeutikum“ wusste, da sie mir auch nicht klar von Naturheilmitteln und Globuli abriet. Dennoch: aus dieser Apotheke wäre ich nicht mit unwirksamen und überteuerten Mittelchen nach Hause geschickt worden.
Nach diesen entmutigenden Ergebnissen begab ich mich in die letzte Apotheke, um die dort arbeitende Angestellte um Rat für meine kranke Tochter zu bitten. Wie zu erwarten war, nahm auch sie zuerst das Homöopathikum aus dem Regal und erklärte mir ein paar Dinge, die von haarsträubender medizinischer Fehlbildung kündeten. Dieses Mittel werde meiner Tochter sicher helfen, denn sie sei ja noch ein Kind. Bei Kindern wirke Homöopathie erfahrungsgemäß besser, denn sie hätten ihre Körper ja noch nicht mit Fast Food und dergleichen belastet; die Körper der Kleinen seien „rein“. Zudem machten sich Kinder keine Gedanken darum, ob etwas wirke oder nicht, das erleichtere die Verabreichung.
Angesichts dieser Ergebnisse muss man sich um jedes Kind mit Mittelohrentzündung (oder jeder anderen Erkrankung, für die auch ein homöopathisches „Heilmittel“ existiert) offenbar große Sorgen machen: von sieben Apotheken entsprachen fünf der Stufe 4, empfahlen also als erstes Mittel ein Homöopathikum – doch immerhin schickte einer der fünf die fiktive Mutter zum Arzt. Eine Apotheke entsprach der Stufe 2 und nur eine von sieben Apotheken empfahl überhaupt keine homöopathische Behandlung.
Wenn also eine medizinisch unbedarfte Mutter in einer solchen Situation eine Pharmazeutin oder einen Pharmazeuten konsultiert und wenn man annimmt, dass die Daten annähernd repräsentativ oder sogar zu optimistisch sind (wofür die oben angesprochene Lobbysituation spricht), so wird ihr in fast 60% der Fälle als erstes zu einem nutzlosen und teuren homöopathischen Mittel geraten werden; in ca. 85% der Fälle wird sie auf Umwegen zu einem Homöopathikum kommen. Da mir die Mittel in fast jeder Apotheke völlig kritiklos präsentiert und oft noch mit dem bekannten „Damit kann man nichts falsch machen!“ garniert wurden, wundere ich mich seitdem nicht mehr darüber, wie die Lehre von den Zuckerkügelchen in Deutschland und der Welt einen solch traurigen Siegeszug antreten konnte.
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