Normalerweise stelle ich in dieser Rubrik ja Forschungsergebnisse und –arbeiten von anderen Wissenschaftlern vor. Um zu zeigen, daß wir hier in Bonn auch selber fleissig in verschiedenen Bereichen forschen, möchte ich heute kurz ein Projekt beschreiben, das ich mit meiner Diplomandin zusammen bearbeitet habe und das gerade in Pediatric Research veröffentlicht wurde.
Ganz kurz zum Plötzlichen Kindstod (SIDS): In einem vorhergehenden Artikel, dessen Lektüre ich als Grundlage für den folgenden sehr empfehle und in welchem ich das Phänomen vorgestellt hatte, heißt es:
Der Plötzliche Kindstod (SIDS) ist […] nach wie vor ein rätselhaftes Phänomen: in Industrieländern ist er immer noch die häufigste Todesursache bei Säuglingen im Alter zwischen 3 Wochen und einem Jahr. Die aktuell am besten anerkannte und von vielen Forschern zitierte Definition […] lautet:
„SIDS ist definiert als der plötzliche unerwartete Tod eines Kleinkinds, das jünger ist als ein Jahr, mit Einsetzen des Sterbevorgangs im Schlaf, wobei der Tod auch nach gründlicher Untersuchung*, der die Durchführung einer vollständigen Autopsie und die Begutachtung der Todesumstände** und der medizinischen Vorgeschichte einschließt, nicht erklärt werden kann.”
* darunter fällt z.B. auch ein toxikologisches Screening, um mögliche Vergiftungen, Überdosierungen von Medikamenten (z.B. Beruhigungsmitteln) u.ä. entdecken zu können
** damit ist auch eine Besichtigung des Sterbeortes, also z.B. der Schlafgelegenheit, des Bettzeugs etc., sowie eine Befragung der Eltern gemeint
SIDS ist eine multifaktorielle Erkrankung und sehr wahrscheinlich müssen immer drei zu unterschiedlichen Gruppen gehörende Risikofaktoren zusammen auftreten, damit es überhaupt zum SIDS-Geschehen kommen kann („triple risk hypothesis“). Eine dieser Gruppen enthält die Risikofaktoren der „genetische Prädispositionen“, also genetische Veränderungen, die allein und für sich genommen nicht gefährlich und im erwachsenen Menschen häufig nicht einmal bemerkbar sind, die aber ein Kind in der instabilen Entwicklungsphase des ersten Jahres anfällig (vulnerabel) für die Auswirkungen weiterer Risikofaktoren machen können. Einer dieser Risikofaktoren stellt die Überhitzung des Kindes (z.B. durch zu warme Kleidung und Kopfbedeckung im Sommer oder überheizten Räumen) dar und wir wollten wissen, ob bei zumindest einer Untergruppe von SIDS-Fällen ein durch Mutation eingeschränkter Hitzeschutzmechanismus eine krankheitfördernde Rollen spielen kann.
Dazu haben wir bei 133 SIDS-Fällen und 192 Kontrollen erstmalig das HSPD-1-Gen auf das Vorhandensein einer bekannten Einzelnukleotidvariante (SNV) (rs72466451) untersucht, von der bekannt ist, daß sie die Funktionalität des Genprodukts von HSPD-1 einschränkt. Dieses Genprodukt ist das Hitzeschockprotein HSP-60. Hitzeschockproteinen sind sogenannte Chaperonine, also Proteine, die anderen Proteinen dabei helfen, ihre korrekte Faltung zu erhalten oder eben zurückzugewinnen, wenn sie z.B. durch eine Hitzeeinwirkung denaturiert wurden. Die korrekte Faltung, also die Anordnung der Aminosäuren (das sind die Proteineinzelbestandteile) im Raum und relativ zu anderen Aminosäuren, wodurch sich funktionelle Zentren ergeben, ist von entscheidender Bedeutung für die Proteinfunktion und wenn unsere Proteine durch zu hohe Temperatur denaturieren, dann ist das tödlich (genau das passiert bei hohem Fieber). Um kurzzeitige Hitzeeinwirkungen und die damit einhergehenden Schäden an den Proteinen überstehen zu können, haben sich daher solche Chaperonine wie das HSP-60 entwickelt.
Was wir gefunden haben war sehr interessant, denn in der Tat konnten wir bei einer kleinen Gruppe (~5%) der SIDS-Fälle die pathogene SNV nachweisen, während sie bei den Kontrollen viel (=signifikant) seltener, auftritt. Daß sie auch bei Kontrollen auftritt ist wichtig, denn wenn das nicht so wäre, könnte der Grund dafür sein, daß diese SNV zu einer manifesten Erkrankung oder gar zum Tod führt, was mit der (Ausschluss-)Diagnose des SIDS eben nicht vereinbar wäre.
Es ist plausibel, anzunehmen, daß Kinder, die diese seltene Hsp-60-SNV haben, vulnerabler für Überhitzung sind und daher einem erhöhten Risikoausgesetzt sind, SIDS zu erleiden, wenn durch Überhitzung die kritische Phase ausgelöst wird. Wenn unsere Hypothese zutrifft, dann sollte man Eltern, bei deren Neugeborenen diese SNV festgestellt wurde (z.B. im Rahmen eines Routinescreenings) ganz besonders davor warnen, das Kind zu üppig zu bekleiden und zu überhitzen, um somit deren Risiko an SIDS zu sterben, zu verringern.
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