Daß Next Generation Sequencing (NGS) nicht nur meiner Einschätzung nach das nächste große Ding in der Molekularbiologie wird, habe ich ja schon erzählt und davon wird auch die Forensische Genetik enorm profitieren, wenn die unter Forensikern leider nicht so seltene konservative Haltung gegenüber neuen Technologien überwunden sein wird. Vor zwei Jahren beim ISFG Kongress in Wien wurden noch eher zaghaft erste Ergebnisse von NGS-Gehversuchen bei forensischen Anwendungen präsentiert, dieses Jahr in Melbourne gab es bereits ganze 10 Vorträge über verschiedenste forensische NGS-Anwendungsmöglichkeiten, die ersten erschwinglichen und „labortauglichen“ NGS-Geräte der Hersteller Life Technologies und Illumina wurden vorgestellt und es wäre wohl nicht verfehlt, zu befinden, daß NGS langsam in der Forensischen Genetik ankommt.
Ich freue mich schon darauf und hoffe sehr (und tue das Meinige dazu), daß meine Gruppe und ich bald selbst ein solches Gerät bekommen, da damit ganz neue Wege für unsere Forschung erschlossen werden könnten. Man kann NGS ja nicht nur zur Analyse von DNA, sondern auch von RNA/Transkriptomen und micro-RNA verwenden, man kann es mit epigenetischen Untersuchungen koppeln und noch vieles andere mehr! Doch nicht nur die Forschung sondern eben auch die forensisch-genetische Routine kann von NGS sehr profitieren und darum soll es hier nun gehen.
Der größte Nutzen des Einsatzes von NGS würde darin bestehen, in einem einzigen Reaktionsansatz enorm viel mehr forensisch relevante Information zu generieren, als das mit den klassischen Verfahren wie der STR-PCR möglich ist. So ließen sich nicht nur auf einen Streich alle gängigen autosomalen und gonosomalen STR-Systeme abfragen, sondern zusätzlich auch noch eine große Zahl an SNPs (die bestimmte technische Vorteile gegenüber STRs haben) sowie InDels (eine weitere Klasse von DNA-Polymorphismen, die zur Indentifikation eingesetzt werden können). Die Analyse von STR-Bereichen würde aber auch technisch besser werden, da nun nicht mehr wie bisher bei der Kapillarelektrophorese nur die reine Länge von STR-Polymorphismen gemessen, also die Anzahl der Wiederholungsmotive gezählt, sondern die komplette Nukleotidsequenz ausgelesen würde, wodurch sich durch die nun mögliche Berücksichtigung von Sequenzmikrovarianten der Informationsgewinn noch einmal deutlich erhöht. Mit ausreichender Information kann man so auch endlich eineiige Zwillinge anhand ihrer DNA unterscheiden [1] und Fälle wie diesen wird es bald nicht mehr geben aber auch die derzeit bisweilen noch sehr schwierige Interpretation von DNA-Mischungen (sog. Mischspuren) von Tatorten wird erleichtert werden. Zusätzlich könnte für jede Probe das gesamte mitochondriale Genom gleich mit ausgelesen werden, was ebenfalls bei bestimmten forensischen Fragestellungen interessant und hilfreich ist. Mit diesen ganzen zusätzlichen Informationen wird man allmählich auch neue bzw. zusätzliche Datenbanken zu den bisher verwendeten STR-basierten Datenbanken (in Deutschland ist das die „DAD“) aufbauen können, was die Praktikabilität und Relevanz von Datenbanksuchen bei Ermittlungen erheblich steigern wird.
Doch auch über die reine Identifikation einer Person hinaus kann NGS extrem interessant für die Forensik sein, indem man weitere SNPs, die Aufschluß über das Aussehen (derzeit Haar- und Augenfarbe, später wahrscheinlich auch Größe, Gesichtsform etc.) z.B. eines noch unbekannten Täters geben [2,3], sowie DNA-Bereiche, die Hinweise auf die geographische Herkunft einer Person liefern, in die Routineanalysen einbeziehen könnte. All dies wäre natürlich von enormem Nutzen bei der Strafverfolgung. In Deutschland müßte man dafür allerdings erst die Strafprozessordnung (§81) ändern, die Untersuchungen, welche über die reine Identität eines Tatverdächtigen hinausgehen, derzeit noch untersagt.
Diese Einschränkung der StPO betrifft hingegen nur DNA-Analysen in menschlichem Spurenmaterial. Man kann NGS jedoch auch gewinnversprechend bei der Untersuchung nicht-menschlichen Erbguts einsetzen. Denkbar wäre die Analyse des kompletten Mikrobioms (= Gesamtheit aller Bakterien) in forensisch relevanten Bodenproben. Die Zusammensetzung eines abgrenzbaren Mikrobioms ist ersten Erkenntnissen zufolge so komplex und spezifisch, daß sie wie ein Fingerabdurck funktionieren kann, z.B. um eine Leiche, an der noch Reste von Erde kleben mit einem Tatort, von dem sie entfernt wurde, in Zusammenhang zu bringen. Und auch die forensische Entomologie könnte NGS einsetzen, z.B. um leichenbesiedelnde Insekten besser zu klassifizieren und ggf. sogar individuelle Insekten nachverfolgen zu können oder um anhand von Leichenfrass durch Insekten (so ähnlich wie hier berichtet) weitere Schlüsse ziehen zu können. Wenn z.B. in einem Insekt auf einem Mordopfer die DNA von zwei Menschen, am Tatort selbst aber nur eine Leiche gefunden wurde, liegt der Schluß nahe, daß eine weitere Leiche zuvor entfernt wurde usw.
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