Kinderwunsch und Milz-Qi-Schwäche
In meiner Heimatstadt dürfen nur Heilpraktiker und Ärzte Rezepturen für chinesische Tees ausstellen; die Drogen werden nicht rezeptfrei abgegeben. Das ist auch besser so, wobei bezweifelt werden darf, dass eine esoterisch-spirituelle Ausbildung entsprechende Kompetenzen im Umgang mit zum Teil giftigen, zum Teil schlicht widerlichen Ingredienzien verleiht. Der Kundenstamm entsprechender „Heiler“ und Apotheken besteht dementsprechend aus der Esoterik arg zugetanen Freunden der „sanften Medizin“, aus Pharmaskeptikern und, das fand ich bemerkenswert, aus Paaren mit Kinderwunsch. Das erschien mir besonders perfide: da kauften sich Frauen, anstatt einen ordentlichen Reproduktionsmediziner aufzusuchen, lieber jahrelang teure Tees (was natürlich eine enge, erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheke erfordert) und werden am Ende entweder nicht schwanger oder nach Ewigkeiten doch, wobei sie den Erfolg natürlich dem Zaubergebräu zuschreiben. Die Labormitarbeiter schwankten zwischen Enthusiasmus bzw. uneingeschränkter TCM-Gläubigkeit und einem schulterzuckenden „Irgendwie muss es ja wirken“. Kryptisches Geschwurbel um einen eventuell vorhandenen Milz-Qi-Mangel, ein rebellisches Qi oder „pervertierte Körperflüssigkeiten“ sind dabei nur Zutaten zu einem aus Geld, Zeit und Placebo-Effekt bestehenden, äußerst ertragreichen Gesamtkonzept.
Abstruse Zutaten: Tierkot, Gips und Giftstoffe
Gerade bei Frauen mit Kinderwunsch kam es öfter vor, daß ich eine Mischung aus Tierexkrementen (getrockneter Fledermaus- und Flugeichhörnchenkot) in den Mixer geben musste; die entsprechenden Partner hatten beizeiten gelatiniertes Hirschhorn zur Potenzsteigerung im Tee. Doch auch zerhackte Zikaden, zerbröselten Gips oder Freund Regenwurm findet man nicht gerne in der heimischen Teetasse (wobei die Drogen unkenntlich gemacht und nur mit ihren lateinischen Namen versehen werden, damit der Kunde nicht sieht, was er da trinkt. Es lebe das informierte Einverständnis). Blättert man entsprechende Lehrbücher durch, so entdeckt man noch einige andere Inhaltsstoffe, deren pharmakologische Wirkung bezweifelt werden darf: so zum Beispiel „Fossilia dentis mastodi“, also die fossilierten Zähne großer ausgestorbener Säugetiere oder deren Knochen („Fossilia ossis mastodi“). Sie wirken „absenkend auf den Herzmeridian“ und beruhigen auch die Leber. Einsetzbar sind diese Drogen laut TCM unter anderem bei Angst und Epilepsie. Aber auch „Magnetitum“, zu deutsch Magneteisenstein, darf in dieser Liste nicht fehlen. Es handelt sich hier um magnetisches Eisenerz, das „Yang-absenkend“ wirkt und Keuchatmung lindert. Zuletzt noch „Cinnabaris“: Quecksilber(II)-sulfid. Diese Verbindung ist praktisch nicht wasserlöslich, was ihr die Toxizität nimmt. Doch das stellt auch die Wirkung als Teedroge in einem Wasser-Dekokt in Frage, zudem muss hier auf saubere Verarbeitung geachtet werden, da der Rohstoff stets noch mit dem giftigen Quecksilber(I)-sulfid verunreinigt ist. Eine solche kann aber bei TCM-Zutaten nicht immer gewährleistet werden. Das Anwendungsgebiet klingt ebenso abenteuerlich: „Herz-Feuer löschend, Hitze kühlend und entgiftend“.
Das war nur eine kleine Auswahl an Merkwürdigkeiten, vor denen die chinesische Medizin nur so strotzt. Einige weitere wären Seidenraupenlarven und -exkret, Ochsengallensteine, Krötengift, Quecksilber(I)-chlorid, Krotonfrüchte, Schildkröte, Igelhaut, Eisenspäne, Gecko, Endothel des Hühnermagens, Hämatit, Blutegel, Käferlarven, Schuppentierschuppen, Eier der Gottesanbeterin, Süßwasserperlen und diverse Muscheln, Glaubersalz, Tausendfüßler, Skorpione, Bimsstein, Pyrit, Antilopenhorn, Bernstein und Fliegen.
Gefahren und Probleme: Inhaltsstoffe
Wie bereits oben angeführt, enthalten TCM-Rezepturen oft unappetitliche oder nutzlose, dafür aber teure Inhaltsstoffe. Doch das ist nicht das einzige Problem: einige der verwendeten Pflanzen sind in all ihren Bestandteilen giftig, so zum Beispiel die Früchte des Kroton oder das Pinellien-Rhizom. Auch Seidenbast ist sehr toxisch. Der Eisenhut, eine der giftigsten europäischen Pflanzen, findet breite Anwendung in der chinesischen Medizin und wird dort als allenfalls „aus westlicher Sicht giftig“ bezeichnet. Vergiftungen durch kanzerogene, nephro- und genotoxische Aristolochiasäuren wurden in den vergangenen Jahren bekannt.
Zudem werden recht häufig auch geschützte Tier- und Pflanzenarten als Teezutaten verwendet: so zum Beispiel das Horn des Nashorns oder diverse Schildkrötenpanzer. Des Weiteren sind einige Methoden zur Gewinnung dieser Rohstoffe äußerst fragwürdig: so wird bei den Seidenraupenlarven zunächst eine Infektion herbeigeführt, an der diese elend verenden und dann weiterverarbeitet werden. Für die Gewinnung von Bärengalle zur Behandlung von Leberschäden in der TCM werden Bärenfarmen unterhalten, auf denen die Tiere unter unwürdigsten Bedingungen gehalten werden: ohne Anästhetika wird die Bauchdecke durchstoßen, um Gallenflüssigkeit ablaufen zu lassen, wobei es unter den unhygienischen Umständen rasch zu tödlichen Infektionen für die Bären kommt. Auch Tiger und Schneeleopard werden für den TCM-Markt in ihrem Bestand bedroht. Die Verwendung solcher Zutaten wird von deutschen Verbänden verurteilt, dennoch nimmt man es in Fernost mit dem Tierschutz oft nicht ganz so genau und es gibt einen florierenden Schwarzmarkt.
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