„Es war schon immer so, daß nur Mann und Frau heiraten durften.“, „Millionen Menschen können ja wohl nicht falsch liegen.“, „Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.“, „Bei mir und meinen Kindern hat es aber funktioniert.“, „Das ist unmoralisch, sowas gibt es in der Natur auch nicht.“, „Wenn das bei denen halt so Tradition ist…“ und so weiter…
Diese Beispiele hier werden von jenen, die sie äußern meist für echte, korrekte und überzeugende Argumente gehalten (andernfalls würden sie sie kaum selbst einsetzen) und es ist gar nicht so einfach, ihren Anwendern zu verdeutlichen, daß es sich dabei um Scheinargumente, sogenannte Sophismen handelt, die nur mehr oder weniger nach einem Argument klingen, aber inhaltlich und/oder formal ungültig sind. Umso wichtiger ist es als Skeptiker, sensibel für die Argumente (oder auch Scheinargumente) anderer zu sein, damit es möglichst beim Argumentieren bleibt und möglichst selten zum Streit kommt.
Ich nehme an dieser Stelle eine Unterscheidung vor, um die Begriffe „Streit“ und „Argumentation“, so wie ich sie verstehe, voneinander abzugrenzen:
Einem Streit liegt gewöhnlich ein Interessenkonflikt zugrunde, ohne, daß es dabei jedoch ein objektiv Richtiges oder Falsches geben muß. Der Streit dient vor allem dem Rechthaben bzw. –bekommen und endet günstigenfalls in einem Kompromiss, mit dem wenigstens alle Beteiligten gleich unzufrieden sind. Typische Streitthesen wären z.B. der Beziehungsklassiker „Du machst nicht genug im Haushalt“ oder ein Meinungsstreit àla „Bach ist viel besser als Händel“ oder, deutlich ernster, „die israelische Siedlungspolitik ist schlecht“. Kennzeichnend ist, daß sich hier keine objektiv richtige Antwort finden lässt, da es keinen allgemein gültigen oder von allen akzeptierten Maßstab gibt, mit dem „genug“, „besser“ oder „schlecht“ definiert werden könnten.
Eine Argumentation befasst sich mit einem Gegenstand, einer Frage, einem Thema, wozu eine objektiv richtige Position existiert (wobei diese durchaus nicht bekannt sein muß). Die Argumentation dient daher der Wahrheitsfindung (weshalb es auch eine essentielle Bedingung gibt, um überhaupt ernsthaft an einer Argumentation teilnehmen zu können, doch dazu später) und die Überzeugung einer der Argumentierenden von der Position des/der Anderen ist ein mögliches Ende. Typische Argumentationen könnten sich mit folgenden Thesen befassen: „Die Erde ist 6000 Jahre alt“, „Astrologie funktioniert“ oder „Mehr Überwachung erhöht die Sicherheit“. Zu all diesen Thesen gibt es eine objektiv richtige Position.
Natürlich sind die Übergänge fließend; auch im Streit können Argumente verwendet werden, die dann aber eben nur eine Meinung stützen, oder die eine Tatsache belegen, auf der dann jedoch eine Meinung aufbaut. Andererseits kann auch eine Argumentation Interessenkonflikte umfassen und über das reine Streben nach Wahrheit hinaus sehr emotional werden und als Blogautor habe ich in den Kommentaren zu bestimmten Beiträgen oft mit komplexen Gemischen der beiden Auseinandersetzungsformen zu tun. Ich habe daher für mich selbst eine kleine Typologie entwickelt, nach der ich potentielle Diskutanden einteile und entscheide, ob es sinnvoll ist, sich ggf. auf eine Diskussion einzulassen:
Typus |
„Fundamentalist“* |
„Zaunsitzer“ |
„Philosoph“* |
Ausgangsposition |
– weiß (!) schon alles- hat kein Interesse an Belegen | – noch unentschlossen(ggf. mit (starker) Tendenz)- ggf. offen für Belege | – vertritt eine begründete / belegte Meinung (die kann auch ein informiertes „Ich weiß es nicht“ sein)- abhängig von Belegen |
ist bereit / in der Lage, seine Meinung zu ändern |
nein |
ja |
ja |
verwendet/akzeptiert echte Argumente |
nein |
teils |
ja |
Reaktion auf Nachweis eines ungültigen Arguments |
„mir doch egal“ bzw. „LALALA!“ |
„echt? War mir gar nicht bewußt!“ |
schämt sich |
lohnt sich eine Diskussion? |
nein (ggf. vor Publikum**) |
ja! |
ja |
[*Ein als „Philosoph“ getarnter Fundamentalist könnte übrigens z.B. ein Verschwörungstheoretiker sein, der vorgibt, ganz versessen auf Belege zu sein, dann aber doch nur diejenigen anerkennt, die sein ohnehin unumstößliches Weltbild stützen.)
**Einen Fundamentalisten wird man kaum mit Argumenten überzeugen können, da er selbst seine Position nicht aufgrund von Argumenten bezogen hat [1]; es kann aber lohnend sein, die Unbegründbarkeit und Unhaltbarkeit seiner Position in einer öffentlichen Debatte, in deren Publikum vielleicht Zaunsitzer sind, zu demontieren]
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