Suizid ist eine weltweit sehr häufige Todesursache, der jedes Jahr geschätzte eine Million Menschen erliegen. Ich habe hier ja schon mehrfach über forensisch relevante Suizidfälle berichtet und werde mich in einem noch zu verfassenden Beitrag auch mit der Epidemiologie des Suizids zu befassen haben.
Heute soll es aber um die weltweit häufigste Art, Suizid zu verüben, gehen: die Selbstvergiftung durch Einnahme von Pestiziden. Diese Suizidvariante, die etwa ein Drittel aller Fälle weltweit ausmacht, ist in Asien und dort besonders in den ländlichen und landwirtschaftlich geprägten Gegenden extrem verbreitet. Etwas flapsig könnte man sagen, was dem Amerikaner seine Kanone, ist dem Asiaten seine Pestizidflasche. Ohnehin ist die Suizidrate in Asien besonders hoch – 22% aller Suizide weltweit werden allein in China verübt [1]. Auch in Sri Lanka ist es so schlimm, daß dort in den Provinzkrankenhäusern mehr Vergiftungsopfer liegen als Patienten mit anderen Krankheiten.
Das Problem rührt daher, daß die Bauern und deren Familienangehörige in diesen Regionen sehr einfachen Zugang zu hochgiftigen Pestiziden und Herbiziden haben, die sie großzügig auf ihren Feldern ausbringen oder eben in einem Augenblick hoher emotionaler Belastung oder Stress (und zwar ohne daß eine psychische Erkrankung vorliegt) selbst einnehmen.
In Sri Lanka stieg die Suizidrate exakt mit der Einführung organischer Chlorine und Phosphate als Pestizide ab dem Jahr 1970 stark an. Einige Petizide sind dabei so giftig, daß davon ein einziger Schluck, etwa 50 ml, bereits tödlich ist. So ein Tod ist übrigens keineswegs sanft und schmerzlos, sondern kann durch Krampfanfälle, Atemlähmung oder Organversagen eintreten.
Trotz der enormen Opferzahlen gelang es lange Zeit nicht, das Problem zu öffentlichem Bewußtsein zu bringen, da Umweltaktivisten davor zurückschreckten, sich auf Pestizide und deren Mißbrauch als Gift zum Suizid zu beziehen, da es das schwieriger machte, die Verantwortung der Hersteller zu betonen. Erst 1984 wurde in Sri Lanka das extrem giftige E-605 (das auch in der forensischen Toxikologie mal von großer Bedeutung war), in den 90er Jahren alle von der WHO als “Klasse 1” eingestuften Pestizide und schließlich 1998 auch das moderat giftige Endosulfan verboten.
Diese Verbote reduzierten die Suizidrate innerhalb von 10 Jahren um 50%, ohne daß jedoch die Hospitalisierungsrate von Vergiftungsfällen zurückging: die Leute vergifteten sich also nach wie vor, starben aber nicht mehr daran. Wie man an der Abbildung sieht, bleibt Selbstvergiftung trotz der starken Abnahme eine häufige Todesursache und weil die vollständige Abschaffung landwirtschaftlich bedeutender Pestizide kein gangbarer Weg ist, wird derzeit an einer anderen Lösung gearbeitet: die Pestizide sollen in speziellen, abschließbaren und gegen das feuchtwarme Klima in Sri Lanka resistenten Sicherheitsboxen gelagert werden, die jeweils halb im Feld des Bauern eingegraben (also ortsfest) sein sollen und für die nur eine Person einen Schlüssel hat. Seit 2011 und noch bis 2016 läuft eine Studie, die 225.000 Personen einschließt und die ermitteln soll, ob, wie stark und mit welchen Kosten pro gerettetem Leben in zufällig ausgewählten Dörfern, an die solche Boxen verteilt werden, die Suizidrate gegenüber Kontrolldörfern ohne Boxen sinkt.
Obwohl davon auszugehen ist, daß die Einführung solcher Boxen eine deutliche Auswirkung auf die Suizidrate haben wird und obwohl die Pestizidindustrie sich enthusiastisch gibt, warnen Experten davor, diese Boxen als Allheilmittel zu sehen und empfehlen, sie nur zusätzlich zu weiteren Verboten sehr giftiger Pestizide einzusetzen. Zudem müssen auch die Ursachen dafür, daß so viele Menschen bereit seien, im Affekt suizidale Handlungen zu begehen, bekämpft werden, indem Beratungsdienste eingerichtet und soziale Normen, die ein “suizidfreundliches” Klima schaffen, in Frage gestellt werden.
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