Der Deutsche Etikrat hat sich nun dafür ausgesprochen, Geschwisterinzest straffrei zu stellen. Dafür bekunde ich ihm meinen Respekt! Ich kann nur vermuten, daß alle Mitglieder meinen Artikel zum Thema gelesen haben 😉 und nun und im Gegensatz zum Bundesverfassungsgericht und ironischerweise zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu dieser einzig mit den Menschenrechten vereinbaren Haltung gelangt sind: der Staat hat kein Recht, mündigen Erwachsenen einvernehmliche Sexualität untereinander zu verbieten und grundsätzlich dürfen “moralische”, religiöse oder die zufälligen persönlichen Abneigungen der Mehrheit betreffende Einwände in einer Demokratie niemals Grundlage solcher Verbote sein. Hinsichtlich §175 hat sich diese Auffassung zum Glück (leider viel zu spät und immer noch nicht bei allen) inzwischen durchgesetzt, es ist daher höchste Zeit, noch einen weiteren Schandfleck aus dem Deutschen Gesetzbuch zu tilgen.
Kritik gegen die Empfehlung kommt selbstverständlich aus der CDU, die es ja traditionell eher weniger mit Gleichbehandlung aller Menschen, Trennung von Religion und Staat, Fortschritt, Humanismus und anderen Annehmlichkeiten hat. Die Argumente, die ihre “rechtspolitische” (pun intended?) Sprecherin Elisabeth Winkelmeier-Becker vorbringt, sind längst widerlegt und wertlos:
Der Wegfall der Strafandrohung gegenüber inzestuösen Handlungen würde dem Schutz der unbeeinträchtigten Entwicklung von Kindern in ihren Familien zuwider laufen.
Kinder wären bei einem Wegfall des Inzestverbotes rechtlich nicht schlechter vor sexuellen Übergriffen durch ihre Eltern, Geschwister oder wen auch immer geschützt, als zuvor. Zudem ist das Verbot gegenstandslos in Familien mit adoptierten Kindern und trifft darüber hinaus nach dem Schrotflintenprinzip eben auch längst erwachsene Menschen, z.B. Geschwister, die gar nicht miteinander aufgewachsen sind und sich erst als Erwachsene kennenlernen.
Ich schrieb damals:
Ich persönlich finde Inzest auch zwischen einvernehmlichen Erwachsenen irgendwie unappetitlich, nehme aber leidenschaftslos zur Kenntnis, daß andere das anders sehen und daß dadurch niemandes Menschenrechte verletzt werden, sowie ich jedem Menschen ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zugestehen würde.
und finde daher und immer noch die Inzestdebatte sehr gut geeignet, um an sich zu überprüfen, ob man selbst auch dazu neigt, Verbote zu befürworten, weil sie Handlungen betreffen, die zwar niemandes Rechte und Freiheiten verletzen, die man selbst aber nun mal “eklig”, “widerlich”, “unnatürlich“, “gottlos” etc. findet. Sollte man solche Reflexe an sich entdecken, ist Vorsicht geboten, denn das ist der erste Schritt in die Intoleranz. Ein Gegenmittel könnte sein, sich einmal intensiv vorzustellen, wie es wohl wäre, sich selbst in der Lage zu befinden, von einem staatlichen Verbot bedroht oder betroffen zu sein, das persönliche Vorlieben betrifft, die keinem schaden und keinen anderen etwas angehen.
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