Manchen wird diese Überschrift vielleicht trivial vorkommen, andere wiederum, gerade, wenn von „glauben“ im religiösen Sinne die Rede ist, werden diese Behauptung vehement bestreiten.
Die These, daß das Verhalten eines Menschen davon beeinflusst wird, was er glaubt, also für wahr hält (und nicht nur für wahrscheinlich, möglich, plausibel oder wünschenswert!), steht auch im Zentrum allen Streits, aller Mißverständnisse und der vermeintlichen Unvereinbarkeiten um Islam, IS(IS) und Integration. Als Beispiel dafür kann ein TV-Streit dienen, der kürzlich zwischen dem Neurowissenschaftler und Philosophen Sam Harris und dem Schauspieler Ben Affleck entflammte:
Sam Harris vertritt darin und vertrat schon in seinem ersten Buch “The End of Faith” [1] eben diese These, die hier von Affleck wenig überzeugend und rhetorisch recht ungeschlacht bestritten wird, daß der Glaube eines Menschen eine wichtige Rolle für sein Verhalten spielt.
Harris nimmt also den Glauben und damit die davon getragenen Glaubensvorstellungen ernst, so wie er um das intuitive Bedürfnis weiß, daß eines Menschen Glaubensvorstellungen in dessen Denk- und Vorstellungswelt in Einklang sein und sich nicht widersprechen sollen: er geht davon aus, daß ein Mensch, der z.B. fest und wahrhaftig daran glaubt, daß ein höchstes, allmächtiges und allwissendes Wesen, das zugleich Weltenschöpfer und Beherrscher des Jenseits ist, den Tod der Ungläubigen (und dazu zählen sehr häufig sogar bereits Menschen, deren Glaubensvorstellungen nur marginal von den eigenen abweichen) und eine Weltherrschaft der von ihm begründeten Religion wünscht, sich völlig rational verhalten, wenn sie Ungläubige erschlagen und in den Krieg und notfalls freudenvoll den eigenen Tod gehen, um die Welt für ihren Gott zu erobern und dabei auch vor unvorstellbarer Grausamkeit nicht Halt machen. Das Festhalten an solchen Glaubensvorstellungen versetzt ihre Inhaber demnach außer Reichweite aller friedlichen und rationalen Mittel der Überzeugung: man kann nicht mehr mit ihnen reden.
Im Umkehrschluss bedeutet das natürlich, daß die große Mehrheit der gewaltfreien, friedlich neben und mit Inhabern anderer Weltanschauungen zusammenlebenden aber durchaus sich als „gläubig“ bezeichnenden Moslems eben nicht wirklich glauben kann, daß ihr Seelenheil davon abhängt, „ungläubige Tiere“ zu töten, Frauen, Homosexuelle und Atheisten als minderwertige Wesen zu behandeln und zu unterdrücken oder beim Versuch zu sterben.
(Bevor jetzt der inverse „Fatwa Envy“ ausbricht: alles bisher gesagte trifft genauso auf das Christentum und andere Religionen zu. Bevor man z.B. einen Menschen lebendig verbrennt, muß man wirklich glauben (= überzeugt davon sein), daß sie eine böse Hexe ist und nur durch das Feuer geläutert und unschädlich gemacht werden kann, egal ob damals oder heute. Oder subtiler: nur wenn man den angeblichen Tod eines hypothetischen, haploiden Handwerkers am Kreuz samt angeblichen Voraussetzungen und Begleitumständen für wahr hält, kann man auch das moralisch extrem problematische Konzept der stellvertretenden Schuldübernahme für gut heißen; siehe dazu auch [2])
Ich teile jedenfalls ausdrücklich Harris’ Meinung und habe meine eigenen Ansichten zum Thema Islam bereits dargelegt. Auch ich bin überzeugt, daß von der Mehrheit der Moslems keine Gefahr ausgeht, trotz dem, das im Koran geschrieben steht und gerade weil ich sicher bin, daß sie nicht glauben, daß sie mich und meinesgleichen verderben müssen, um den Geboten des Korans gerecht zu werden.
In den aktuellen Debatten findet man aber neben
A) Islamkritikern wie Harris und H. Abdel-Samad, die das Problem im Islam bzw. dem Koran selbst sehen, ihn für eine intolerante, menschenverachtende, Gewalt und Grausamkeit gegenüber Mißliebigen nicht nur legitimierende sondern fordernde Überlegeneitsideologie [3] und das Verhalten von Selbstmordattentätern, Dschihadisten, den IS-Terroristen, Boko Haram etc. als konsistent, folgerichtig und im Einklang mit diesem Islam und seiner Lehre beurteilen,
oft noch folgende Diskussionteilnehmertypen:
B) Islamapologeten, die das Problem in einer falschen oder bewußt verfälschten Interpretation des Islams und seiner Lehre sehen und bedauern, daß IS & Co. zur Rechtfertigung ihrer Taten den Islam heranziehen. Den Koran hingegen lesen diese Leute
„konsequent als Offenbarung in Raum und Zeit, deren große Absichten zeitlos seien, deren Wortlaut im Detail dagegen als zeitgebunden verstanden wird. Und in diesen koranischen Absichten entdecken sie ausnahmslos jedes Menschenrecht samt Minderheitenschutz, Rechtsstaat und Gewaltenteilung.“ (WELT)
C) Diskutanden (fast immer männlich, westlich und politisch liberal bis links), die alle Taten von IS & Co. grundsätzlich nicht durch religiöse Vorstellungen, sondern durch Rache oder Protest gegen den Westen und das Vordringen westlicher Werte oder durch politische und/oder sozioökonomische Zwänge bei gleichzeitigem Mangel an Bildung begründet und durch zweckgerichtete Manipulation und Instrumentalisierung des Kränkungsgefühls einer wirtschaftlich, wissenschaftlich und hinsichtlich der Lebensqualität hoffnungslos unterlegenen, sich aber als moralisch höherwertig auffassenden Kultur ausgelöst sehen. Von dieser Auffassung lassen sie sich auch nicht dadurch abbringen, wenn Einzeltäter oder Organisationen explizit und unzweideutig ihre religiösen Motive proklamieren. Einige der Diskutanden vom Typ C beurteilen den desolaten Zustand der meisten islamischen Länder als hausgemacht, andere gar als alleinige Folge westlichen Imperialismus und Kolonialismus.
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