Angehörigen der Kategorie B) ist zu erwidern, daß es zahlreiche andere sog. „Islamgelehrte“ gibt, die in ihrer Auslegung mit derjenigen von IS & Co. durchaus übereinkommen. Auch die Fatwas z.B. gegen S. Rushdi, A. Hirsi-Ali und H. Abdel-Samad wurden von solchen Geistlichen ausgesprochen. Welche Auslegung ist nun aber die richtige bzw. auf welcher Grundlage beanspruchen die VertreterInnen eines angeblich demokratie- und toleranzkompatiblen Islams für sich, die korrekte Auslegung zu kennen? Ich finde die Idee hinter ihrem Ansatz ja gar nicht schlecht: moderaten Moslems eine mögliche Deutung des Korans an die Hand zu geben, die mit ihrer Lebensweise und –umgebung, nämlich ggf. in säkularen Ländern und in der Nachbarschaft von Menschen verschiedenster Überzeugungen, vereinbar ist, so daß sie weder dem einen noch dem anderen entsagen müssen. Das Problem daran ist in meinen Augen, daß man sich geistig wirklich extrem verbiegen, spreizen und verrenken muß, um die unzähligen sehr eindeutigen und kaum mißverständlichen Koranstellen, die z.B. die Minderwertigkeit der Frauen und die Legitimation von Hass auf Ungläubige verkünden, so zu interpretieren, daß sie als vollumfänglich mit Menschenrechten, Rechtsstaat und Gewaltenteilung aufgefasst werden können. Vielmehr müßte die islamische Lehre vom Absolutheitsanspruch des Korans abrücken. Wenn diesem Buch die gleiche für seine Religion zwar bedeutende aber nicht Wort für Wort bindende Rolle wie der Bibel zugemessen würde, könnten all die häßlichen Stellen statt als direkte und unverhandelbare Befehle Gottes als Metaphern, Allegorien, historisch begründbare aber inzwischen obsolete Symbole etc. gedeutet und entschärft werden.
Angehörigen der Kategorie C) kann man entgegenhalten, daß sie nicht unvoreingenommen sind (“Bias”): sie akzeptieren religiöse Motive nicht einmal dann, wenn die Täter selbst sie für sich in Anspruch nehmen, sondern suchen nach “tieferen” Gründen. Wenn aber andere Täter politische, wirtschaftliche oder psychologische Gründe für ihre Taten nennen, akzeptieren sie diese kritiklos. Nicht nur begehen sie damit einen “Bestätigungsfehler“, sie berauben damit auch die Moslems der Möglichkeit, den Islam kritisch zu reflektieren. Ohne Selbstkritik und Introspektion wird es im Islam aber nie eine “Reformation” geben, wie sie erforderlich war, um z.B. das Christentum zu entschärfen und mehr oder weniger kompatibel mit der Koexistenz zu säkularen Demokratien zu machen. Was Diskutanden vom Typ C ironischerweise ebenfalls nicht sehen (wollen), ist, daß die – durchaus realen – politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Mißstände, die sie als Motive für Greueltaten islamistischer Täter herbeiquälen, so gut wie immer Folgen und nicht Voraussetzung einer radikalislamischen Doktrin sind. Dem Argument übrigens, daß westlich geprägte und in westlichen Ländern aufgewachsene Islamkritiker notwendig nur eine verzerrte und unverständige Perspektive haben können, kann man nicht nur durch seine Enttarnung als Scheinargument (eine Variante der „Courtiers Reply“) entgegentreten, sondern auch, indem man auf eine ganze Reihe (ex-)moslemischer und/oder aus islamischen Ländern stammender IslamkritikerInnen verweist, die ganz ähnliche Positionen vertreten (eine kleine Auswahl gibt es im Anhang).
Ich kann nur wiederholen, für wie wichtig ich Religionskritik und aktuell Islamkritik (s. auch [4 a und b]) halte und zwar auch und gerade im Interesse derjenigen, die, obwohl sie selbst einer Religion angehören, darunter oft sogar am meisten zu leiden haben und sich am wenigsten wehren können. Und zu einer solchen Kritik gehört, davon bin ich überzeugt, daß man ernst nimmt und das heißt für möglich hält, daß ein Mensch nicht unabhängig davon handelt, was er glaubt.
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Literatur:
[1] “Das Ende des Glaubens“, Sam Harris
[2] „Denn sie wissen nicht, was sie glauben: Oder warum man redlicherweise nicht mehr Christ sein kann. Eine Streitschrift“, Franz Buggle
[3] “Der islamische Faschismus: Eine Analyse“, Hamed Abdel-Samad
[4a] „Islamverherrlichung: Wenn Kritik Tabu wird“, Thorsten Gerald Schneiders (Hrsg.)
[4b] „Islamfeindlichkeit: Wenn Grenzen der Kritik verschwimmen“, Thorsten Gerald Schneiders (Hrsg.)
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Anhang:
IslamkritikerInnen mit moslemischen Wurzeln/Hintergrund bzw. Herkunft aus moslemischen Ländern:
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