Schönheit, heißt es, sei relativ und liege im Auge des Betrachters. Dennoch dürfte es selbst für dehnbarste ästhetische Relativisten nicht allzu nahe liegen, die Schönheit jener fahlen Ratten, genannt NacktBlindmulle, zu beschwärmen, die mit schiefen, falben Zähnen aufwarten, wo es ihnen an niedlichen Knopfaugen gebricht.
Und doch: einige Forscher sahen tatsächlich hinter die wenig einladende Fassade jener seit über 50 Millionen Jahren unterirdisch und in komplizierten Eusozialitäten lebenden Kreaturen und in ihr seit kurzem komplett sequenziertes Genom und entdeckten dort eine andere Art von Schönheit: die Schönheit der Anpassung [1]. Sie fanden die genetischen Grundlagen für die sagenhafte Widerstandsfähigkeit von NacktBlindmullen (Spalax galili) gegen Krebs, extremen Sauerstoffmangel und andere Gefahren des unterirdischen Lebens.
Gelänge es, einige dieser Gene zu klonieren, könnte das nicht nur sehr interessant für menschliche Therapieansätze, sondern auch für die Raumfahrt oder das Tiefseetauchen sein, wo man also von einem besseren Verständnis des zellulären Sauerstoffverbrauches profitieren könnte.
Unter den über 22.000 Genen des NacktBlindmulls befinden sich 247 non-funktionale Gene, von welchen 22 als degenerierte Gene identifiziert wurden, welche für bestimmte Bestandteile des Sehsinns kodieren und die Blindheit der Tiere begründen. Andererseits wurden auch drei Retina-Proteine entdeckt, die dem NacktBlindmull dabei helfen, Lichtreize, die bis zu einer bestimmten Tiefe unter die Erde dringen können, mit seinen rudimentären Augen aufzunehmen, zu verarbeiten und somit etwa die Tages- oder Jahreszeit zu erkennen.
Insgesamt stellen die überaus merkwürdigen und zum Teil extremen genetischen und physiologischen Eigenheiten des NacktBlindmulls offenbar einen evolutiven Kompromiss dar, der sich aus ihrem Übergang zu und der notwendigen Anpassung an ein unterirdisches Leben ergeben hat. Durch den Abstieg nach Untertage entzog sich der NacktBlindmull zwar dem Zugriff von Raubtieren und den Auswirkungen des dramatischen Klimawandels auf der Erdoberfläche, hatte sich dafür aber an die Gefahren und Belastungen der Unterwelt, völlige Dunkelheit, Hypoxie und Hyperkapnie, Sauerstoffmangel und Nahrungsknappheit, anzupassen und dabei einen ständigen Kampf gegen Krankheitserreger zu führen. Die NacktBlindmulle haben überlebt und ihrem Genom sieht man diese „Anpassungsschlacht“ deutlich an: man fand Anzeichen für hochaktives DNA- und RNA-Editing, unterdurchschnittlich wenige Chromosomenaberrationen und eine Überfülle an SINEs, die sich mit der enormen Widerstandsfähigkeit der NacktBlindmulle gegen Hypoxie in Verbindung bringen ließen: 43% ihres Genoms besteht aus repetitiven DNA-Elementen, die Gene regulieren, deren Produkte dem NacktBlindmull helfen, Hypoxie-Zustände zu überstehen. Sehr wahrscheinlich trage das auch zu ihrer Resistenz gegen Krebs und dem „biblischen“ Alter von bis zu ca. 30 Jahren bei, das diese Tiere erreichen können.
Diese Befunde gaben den Anreiz, sich nun mit den Details und Mechanismen der SINE-vermittelten Genregulation zu befassen, speziell in Hinsicht auf Prozesse in der Immunabwehr. Auf die Eregebnisse bin ich schon sehr gespannt. Und wer weiß, vielleicht werden wir dieser kleinen unscheinbaren Kreatur eines Tages einen Durchbruch in der Krebsforschung zu verdanken haben. Wäre das nicht schön?
Nachtrag 12.11.14: Nach einem freundlichen Hinweis eines der Co-Autoren habe ich nun einen Übersetzungsfehler korrigiert: richtig heißt das Tier, um das es hier geht natürlich “Blindmull” (nicht Nacktmull).
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Referenz:
[1] Fang X, Nevo E, Han L, Levanon EY, Zhao J, Avivi A, Larkin D, Jiang X, Feranchuk S, Zhu Y, Fishman A, Feng Y, Sher N, Xiong Z, Hankeln T, Huang Z, Gorbunova V, Zhang L, Zhao W, Wildman DE, Xiong Y, Gudkov A, Zheng Q, Rechavi G, Liu S, Bazak L, Chen J, Knisbacher BA, Lu Y, Shams I, Gajda K, Farré M, Kim J, Lewin HA, Ma J, Band M, Bicker A, Kranz A, Mattheus T, Schmidt H, Seluanov A, Azpurua J, McGowen MR, Ben Jacob E, Li K, Peng S, Zhu X, Liao X, Li S, Krogh A, Zhou X, Brodsky L, & Wang J (2014). Genome-wide adaptive complexes to underground stresses in blind mole rats Spalax. Nature communications, 5 PMID: 24892994
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