Vor einer Weile habe ich schon vom Nutzen eines Schlangengifts für die Schmerztherapie berichtet. In der Tat sind viele im Tier- oder auch Bakterienreich vorkommende Gifte sehr interessant und lassen sich vom Menschen auch noch für andere als die vom Hersteller angestrebten Zwecke nutzen, etliche davon sogar würdiger, als die Mimikablation alternder Actricen.
Heute geht es um das Gift der Tarantel. Damit kann man nämlich Ionenkanäle anfärben. Der Transport von Ionen durch die Membranen von Zellen spielt für etliche fundamentale biologische Vorgänge, z.B. die Funktion von Nerven, eine zentrale Rolle. Da die Zellmembran normalerweise für die meisten Ionen, z.B. Kaliumionen, undurchlässig sind, müssen die Ionen durch spezielle, die Membran durchdringende Kanäle transportiert werden. Diese Kanäle oder Poren werden durch Proteine gebildet und die Funktionsweise und Interaktion dieser Proteine mit den sie durchquerenden Ionen ist von großem Interesse für die Zellbiologie.
Es gibt sehr viele verschiedene Kanalproteine und allein mehrere Hundert, die Kaliumionen transportieren, die auch noch unterschiedlich funktionieren, abhängig davon, wo (ob z.B. im Hirn oder im Herz) sie sich befinden. Zudem können die Proteine ihre Konformation ändern, wenn wie aktiviert werden. Um diese Proteine in ihrer ungeheuren Komplexität und Plastizität auseinanderhalten, untersuchen und in ihren unterschiedlichen Konformationen und letztlich Funktionen in situ analysieren zu können, muß man sie anfärben. Das ist allerdings nicht so einfach, denn dafür braucht man einen Farbstoff, der genau den Typ von Ionenkanal in genau dem Zustand, der einen interessiert, anfärben kann.
Ein Trick besteht darin, Fluoreszenzfarbstoffe an Moleküle zu binden, die spezifisch für einen bestimmten Ionenkanal sind. Und solche Moleküle findet man regelmäßig im Gift von Tieren, z.B. solchen Giften, die das Nervensystem angreifen, indem sie bestimmte, für die Nervenfunktion wichtige Ionenkanäle lahmlegen.
Das Gift der Tarantel Plesiophrictus guangxiensis (Bild), das Guangxitoxin-1E (GxTX) ist so eines. Es bindet an die inaktive Form (und nur diese) des sog. Kv2.1-Ionenkanals, ein spannungsgesteuerter Kaliumkanal. Wenn der Kanal aktiviert wird, wird das GxTX-Molekül abgeworfen und bindet nicht mehr. Die Gruppe um J. Sack hat genau dieses Gift verwendet, um die Kv2.1-Kanäle anzufärben. Dazu haben sie sich eines Tricks bedient, um das Gift mit einem Farbstoff zu koppeln: sie haben nicht, wie es normalerweise versucht wird, den Farbstoff an die denaturierte Form des Gifts gehängt und dann versucht, es sich in seine normale Form zurückfalten (renaturieren) zu lassen. Stattdessen haben sie modifizierte GxTX-Moleküle hergestellt, mit speziellen Andockstellen, so daß sich der Farbstoff direkt an das aktive Giftmolekül anfügen ließ [1]. Mit diesem modifizierten, Farbstoff tragenden GxTX ließen sich präzise inaktive Kv2.1-Kanäle auf isolierten Zellen anfärben und so detektieren und wenn die Kanäle aktiviert wurden, fielen die GxTX-Moleküle ab. So ließen sich selbst sehr schwache Aktivierungen erkennen. Als nächstes wird die Gruppe die Technik an Nervenzellen und Modellorganismen ausprobieren.
Da es im Tier- und Bakterienreich noch Tausende vielleicht Millionen solcher Gifte gibt, die an die verschiedensten Proteine und Strukturen binden, um ihre Wirkung zu entfalten, steht durch Integration der neuen Technik ein riesiges Repertoire möglicher Detektoren für die verschiedensten biologischen Prozesse zu Verfügung. Wer kann da noch etwas gegen all die giftigen Krabbler, Kriecher, Summer, Brummer, Schlängler, Weber und Hüpfer haben? Einer gewissen Dame sage ich immer wieder: Spinnen sind unsere Freunde 🙂
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Referenz:
[1] Tilley, D. C., Eum, K. S., Fletcher-Taylor, S., Austin, D. C., Dupré, C., Patrón, L. A., … & Sack, J. T. (2014). Chemoselective tarantula toxins report voltage activation of wild-type ion channels in live cells. Proceedings of the National Academy of Sciences, 111(44), E4789-E4796.
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