Statt eines hypothetischen, haploiden Handwerkers, der an einem Kreuz gestorben sein soll, gedenke ich heute lieber eines anonymen Japaners, der an einer Nadel gestorben ist. Genauer an einer Akupunkturnadel, die ihm der freundliche Quacksalber von nebenan in den Vagusnerv gerammt hat (der Bericht dazu findet sich in Legal Medicine [1]) .
In Japan ist es üblich, sich die Akupunkturbehandlungen nicht von Ärzten, sondern von einer Art Heilpraktiker, die oft auch Moxibustion anbieten, angedeihen zu lassen. Natürlich ist das Konzept beider Praktiken esoterisch und irrational: es gibt für die sogenannten Meridiane keinerlei anatomisches Korrelat, niemand weiß, welcher Art die ominöse Lebensenergie” sein soll und große Studien* zeigten, daß Akupunktur bei einigen wenigen Leiden/Krankheiten zwar besser als die Standardtherapie wirkt, es aber dabei egal ist, wohin man die Nadeln sticht. Entweder ist Akupunktur, zu deren Anwendung ja ein umfangreiches, ritualhaftes Brimborium gehört, also ein besonders sophistiziertes und daher stärker wirksames Placebo (so wie Scheinoperationen) oder, auch das wäre nicht allzu verwunderlich, das Einstechen von Nadeln in den Körper erzeugt irgendeinen unspezifischen, aber tatsächlichen Effekt.
Im hier besprochenen Fall war der Effekt allerdings nicht unspezifisch, sondern relativ endgültig. Ein Japaner in seinen 40ern suchte, wie es offenbar seine liebe Gewohnheit war, den Quacksalber seiner Wahl auf und ließ 1,5 Stunden lang das ganze Programm über sich ergehen: mehr als 100 Nadeln im Hintern, im Bauch, in der Brust, den unteren Gliedmaßen, dem Augenrand und eben auch dem Hals. Am Ende der Prozedur wurde er geheißen, sich aufrecht hinzusetzen, damit sein Stecher den Erfolg der Maßnahme überprüfen könne, wozu es offenbar nötig war, ihm eine weitere Nadel in den Hals zu stechen. Kurz darauf klagte er über Übelkeit und fiel vornüber. Als der Rettungsdienst eintraf, hatte er bereits einen Herzstillstand und starb später im Krankenhaus trotz Intensivpflege.
Bei der äußeren Leichenschau wurden zahlreiche Einstiche von Nadeln (Ekchymosen) am Torso, den Beinen, dem Kopf und dem Hals festgestellt
Bei der Obduktion fanden sich als einziger auffälliger Befund massive Einblutungen in den rechten Vagusnerv. Das Herzgewicht war normal, die Herzkranzgefäße gut durchlässig und nicht stenosiert, die Lungen, obwohl deutlich ödematös, zeigten keinerlei Anzeichen eines traumatischen oder spontanen Pneumothorax‘, alle anderen Organe waren ohne Befund.
Die feingewebliche Untersuchung bestätigte den Vagusnerv-Befund, auch hier wurde eine massive Einblutung in den oberen Nervenstrang und das umgebende Bindegewebe festgestellt
Toxikologische und biochemische Untersuchungen erbrachten keine Hinweise auf erhöhte Alkoholkonzentration, Entzündungsparameter, Herzinsuffizienz oder allergische Reaktionen. Als Todesursachen wurde daher entweder schwere vagale Bradykardie und/oder durch Vagusstimulation ausgelöste Arrhythmie , angenommen, kurz: Vagustod.
Der Vagusnerv ist der zehnte Hirnnerv und die Überaktivität dieses Nervs ist eine bekannte Ursache für Herzstillstand, da der Nerv das Herz hemmen kann. Vagusüberaktivität kann durch Druck auf den oberen Halsbereich ausgelöst werden oder, indem ein Akupunkteur eine Nadel reinsticht.
Der vorliegende Fall ist zwar der erste in der Literatur, der einen Vagustod nach Akupunktur dokumentiert, aber keineswegs der einzige durch Akupunktur ausgelöste Todesfall:
Todesursache | Land | Alter und Geschlecht der verstorbenen Person | Referenz |
Toxisches Schock- Syndrom | Japan | 41, m | [2] |
Beidseitiger Spannungs-Pneumothorax | Japan | 72, w | [3] |
Beidseitiger Spannungs-Pneumothorax | Japan | 71, w | [4] |
Infektion | Korea | 68, w | [5] |
Sepsis und Pneumonie | UK | 69, m | [6] |
Berichte über 12 weitere Todesfälle finden sich darüber hinaus noch bei White [7].
Grundsätzlich sind unerwünschte und erst recht tödliche Nebenwirkungen bei Akupunkturbehandlungen recht selten. Dennoch stellt sich mir die Frage, ob eine Behandlung, deren Nutzen höchst fragwürdig ist und die dazu führen kann, daß jemand, der ansonsten auch Chakren auspendelt und Irisdiagnostik durchführt, einem eine Nadel in den Vagusnerv steckt, das Risiko wert ist.
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