Warnung: in dieser Reihe stelle ich schräge, drastische, extreme oder auf andere Weise merkwürdige Studien und Fallberichte vor, die die Forensischen Wissenschaften in ihrer ganzen Breite und Vielseitigkeit portraitieren sollen, die aber in ihrer Thematik und/oder den beigefügten Abbildungen nicht für alle LeserInnen geeignet sind und obgleich ich mich stets bemühen werde, nicht ins Sensationalistische abzugleiten, mag bisweilen die unausgeschmückte/bebilderte Realität bereits mehr sein, als manche(r) erträgt.
Ich habe ja, auch in dieser Rubrik, schon mehrfach auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die ungewöhnliche und ausgefallene Suizidmethoden bei der postmortalen Abgrenzung der Todesursache Suizid vom Tötungsdelikt bereiten können. Der heute dargestellte Versuch eines Suizids durch Einsatz einer Bohrmaschine gegen den eigenen Kopf ist ein Beispiel dafür:
Penetrierende, also durchdringende Verletzungen der Schädelhöhle bei Zivilisten werden in den meisten Fällen durch Unfälle mit Kraftfahrzeugen oder durch Schußwaffen verursacht. Akzidentelle, also durch einen Unfall begründete, durchdringende Kopfverletzungen sind häufiger bei Kleinkindern, die durch eine noch nicht abgeschlossene Fusion der Schädelknochen, die nur durch fibröse Fontanellen verbunden sind, vulnerabler sind.
Die Häufigkeit von Schußwaffenverletzungen ist hingegen abhängig vom rechtlichen Status der Schußwaffen im jeweiligen Land und der Verfügbarkeit dieser Waffen. Schußverletzungen am Kopf können dabei akzidentell sowie in homizidaler (Tötungsdelikt) und suizidaler Absicht entstehen und die für eine eventuell notwendige Strafverfolgung so wichtige Rekonstruktion des Geschehens kann oft erst gelingen, nachdem die am Sterbeort und während der Obduktion erhobenen Daten ausgewertet worden sind.
Im hier berichteten Fall [1] kam es zu einer durchdringenden Schädelverletzung durch einen Bohrer, anhand derer die Schwierigkeit der Abgrenzung solcher Verletzungen von Schußwaffenschäden kenntlich wird.
Zum Fall:
Ein 61-jähriger Mann wurde in seinem Garten tot in einem Stuhl sitzend vorgefunden. Neben ihm lag eine Bohrmaschine mit eingesetztem Bohrer, daran Anhaftungen von Blut und einem weißlichen Pulver, anscheinend Knochenmehl.
Bei der äußeren Leichenschau fiel sofort eine kreisförmige, 5mm durchmessende Wunde, leicht links von der Mitte der Stirn auf:
Außerdem wurden zwei oberflächliche Hautwunden am linken Arm (13 und 25 mm) bemerkt, sowie vier Stichwunden im oberen linken Abdomenbereich, jede davon ca. 13 mm lang. Am Sterbeort fand sich ein möglicherweise dazu passenden Gemüsemesser. Vor der Obduktion wurde der Schädel des Leichnams noch geröntgt, wobei ein einzelner, kreisrunder Defekt (= fehlendes Gewebe/Knochen) im linken Os frontale festgestellt wurde.
Bei der Obduktion dann stellten sich die Stichwunden im Bauchbereich als die schwersten Verletzungen des Verstorbenen heraus. Eine davon hatte den vorderen Teil der Milz durchbohrt und eine Blutung verursacht, so daß sich knapp 2 Liter Blut im Bauchraum befanden.
Die Verletzung der Kopfhaut war umgeben von einem gering ausgeprägten Kepalhämatom mit einem Bohrloch im unterliegenden Stirnbein, welches keine Abschrägungen aufwies, wie es bei Schußverletzungen typisch wäre. Am vorderen Pol des Frontallappens, in dem eine 75 mm tief eindringende Verletzung festgestellt wurde, war eine Subarachnoidalblutung zu erkennen. Die Verletzung betraf jedoch nur die weiße Substanz und erstreckte sich nicht bis zu den Basalganglien (betraf also keine lebenswichtigen bzw. funktional essentiellen Bereiche).
Darüber hinaus war der Verstorbene unverletzt und wies insbesondere keinerlei Abwehrverletzungen oder sonstige Anzeichen für eine Beteiligung an einer körperlichen Auseinandersetzung auf. Auch war keines seiner Organe auf eine Weise erkrankt, die seinen Tod hätte erklären oder dazu beitragen können. Die feingewebliche Untersuchung des die Verletzungen im Bauchraum umgebenden Gewebes belegte schließlich eine Vitalreaktion: die Verletzungen waren also entstanden, als der Verstorbene noch lebte.
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