Genie und Wahnsinn, so behauptet der Herr Volksmund, lägen oft dicht beieinander. Und manchmal ist an solchen Redensarten ja sogar etwas dran, wobei gerade die obige häufig eher ein Anzeichen dafür ist, daß die sie äußernde Person einfach nur einen sehr engen Horizont hat. Aber wenn man „Genie“ durch (die sich mit Genie ja eine erhebliche Schnittmenge teilende) Kreativität und „Wahnsinn“ durch Schizophrenie bzw. bipolare Störung ersetzt, dann stimmt es tatsächlich, laut einer Studie von Power und Kollegen [1]. Darin schreiben sie:
„Great thinkers of the past, from Aristotle to Shakespeare have remarked that creative genius and insanity are often characterized by the same unleashing of thoughts and emotions“
“Viele Große Denker der Vergangenheit, von Aristoteles bis Shakespeare, haben festgestellt, daß kreatives Genie und Wahnsinn oft durch die gleichen entfesselten Gedanken und Gefühle charakterisiert sind“ (Übersetzung CC)
Power und seine Gruppe haben entdeckt, daß es eine genetische Verbindung gibt zwischen Kreativität und dem Risiko, an Schizophrenie bzw. einer bipolaren Störung zu erkranken. Aufmerksam wurden sie auf diese Möglichkeit durch mehrere Studien, die andeuteten, daß Schizophrenie-Patienten regelmäßig gesunden Probanden bei Aufgaben überlegen waren, die nicht nur nicht auf konventionellem „geradlinigen“ Denken basierten, sondern ein Denken außerhalb eines vorgegebenen Rahmens erforderten (hier ein Beispiel). Weil solch „kreatives“ Denken ein erheblicher Vorteil wenn nicht Voraussetzung für künstlerische Betätigung ist, suchten Power und Kollegen in einem sehr großen Kollektiv von 150.000 Individuen nach genetischen Determinanten, die sowohl mit Kreativität als auch bestimmten psychiatrischen Erkrankungen assoziiert sind.
Dazu entwickelten sie an zwei Populationen zunächst eine Methode, das genetische Risiko für Schizophrenie und bipolare Störung zu berechnen. In einer dritten Test-Population konnten sie dann mit dieser Methode genau berechnen, ob eine Person erkrankt war oder nicht. Um nun die Verbindung zwischen diesen genetischen Prädiktoren für psychische Erkrankungen und Kreativität zu finden, sahen sich die Forscher Probanden an, die in Anbetracht ihrer genetischen Konfiguration ein hohes Risiko, zu erkranken, aufwiesen und fanden, daß sehr viele von ihnen Künstler waren oder zu künstlerischen Gesellschaften von Musikern, Schauspielern, Tänzern, Schriftstellern etc. gehörten. In der Tat sagten die genetischen Prädiktoren für Schizophrenie und bipolare Störung das Vorhandensein von Kreativität genauso präzise voraus, wie die Entwicklung einer der Krankheiten.
Die Gegenprobe zeigte zudem, daß bei den kreativen Probanden keine von 20 nicht-psychiatrischen Erkrankungen gehäuft auftrat und daß wiederum die psychiatrischen Erkrankungen nicht assoziiert waren mit fünf verschiedenen, weniger kreativen Tätigkeiten. Außerdem zeigte sich eine Korrelation zwischen erhöhtem Risiko für Schizophrenie/bipolare Störung und der Anzahl absolvierter Schuljahre oder dem Besitz eines Universitätsabschlusses und auch das Herausrechnen der Faktoren IQ, Bildungsniveau und Vorhandensein von Verwandten mit Schizophrenie/bipolarer Störung brachte die Verbindung zwischen Kreativität und Schizophrenie/bipolarer Störung nicht zum Verschwinden.
Eine interessante Frage ist nun, wenn man einmal davon ausgeht, daß es einen echten kausalen Zusammenhang gibt und die genetischen Determinanten tatsächlich Kreativität und Krankheit (mit)bedingen, ob der evolutive Nachteil, der durch den Phänotyp dieser Krankheiten bedingt wird, durch die konkomitant erhöhte Kreativität und Fähigkeit zu unkonventionellem Denken ausgeglichen wird, so daß die zugrundeliegenden Genvarianten in der Population erhalten bleiben.
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Referenz:
[1] Power, R. A., Steinberg, S., Bjornsdottir, G., Rietveld, C. A., Abdellaoui, A., Nivard, M. M., … & Stefansson, K. (2015). Polygenic risk scores for schizophrenia and bipolar disorder predict creativity. Nature neuroscience.
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