So brach es schließlich aus Richard Dawkins heraus, nachdem man im Rahmen einer TV-Show über Liberalismus und Gender-Bewegung thematisch auf Abwege geraten und u.a. zur Sprache gekommen war, daß aus Furcht vor etwaigen religiösen Empfindlichkeiten eine Ex-Muslimin als Sprecherin an einer Universität ausgeladen worden und damit die Freiheit der Rede verletzt worden sei.
Hinter diesem, angesichts Dawkins‘ Atheismus leicht ironischen und offenbar frustrierten Ausruf steht eine Haltung, die ich grundsätzlich teile: Kulturen sind nicht gleichwertig. Es gibt bessere und schlechtere Kulturen und wir halten eine von freiheitlich-demokratischen Grundsätzen getragene und durch universell geltende Menschenrechte eingehegte Kultur solchen Kulturen für überlegen, die nicht alle Menschen (z.B. Frauen, Homosexuelle und Apostaten) gleich achtet und bestimmte fundamentale Menschenrechte nicht anerkennt.
Natürlich spiegelt das einerseits Dawkins‘ bzw. meine persönliche Sichtweise, als jeweils Staatsbürger freiheitlich-demokratischer, die Menschenrechte (zumindest größtenteils auf dem Papier) achtender westeuropäischer Staaten wider, andererseits aber auch unsere Bedenken, daß die politisch korrekte und im aktuellen Fall islamophobiephobe Duldungsstarre sich als Liberale oder auch „Progressive“ Auffassender dem Fußfassen von Werten und Ideen in unserem Lebensraum Vorschub leistet, die aus einer menschen- und menschenrechteverachtenden Kultur stammen.
Hier gilt es unbedingt zu beachten und zu verstehen, daß eine solche Aussage über die Ungleichheit von Kulturen in keiner Weise unsere tiefe Überzeugung einschränkt oder relativiert, daß alle Menschen gleich viel wert sind und gleichen Anspruch auf die Menschenrechte haben. (Warum Kritik an Abstrakta wie Kultur oder Religion im Besonderen absolut nichts mit Rassismus zu tun hat, habe ich schon diskutiert.) Im Gegenteil: die Tatsache, daß eben diese Überzeugung in bestimmten Kulturen nicht geteilt wird, begründet gerade die Auffassung, daß diese Kulturen, NICHT die darin lebenden oder leben müssenden Menschen, minderwertig sind. Daher wird, insofern moralische Werte eine für eine Kultur konstituierende Rolle spielen, Kulturrelativismus notwendig zum moralischen Relativismus, der vollkommen unvereinbar mit Humanismus und universell gedachten Menschenrechten ist.
Zur Einordnung meiner Position: ein wichtiges meine persönlichen Werte und moralische Anschauung mit konstituierendes Konzept ist Empathie, also im weitesten Sinn die Annahme, daß alle Menschen unter Dingen wie Schmerz, Hunger, Einsamkeit, Unfreiheit, Angst etc. leiden und das Bedürfnis, eigenes und fremdes Leid zu vermeiden bzw. eigenes und fremdes Wohlergehen zu fördern. Ein Konzept von Ethik oder Moral, das nichts mit dem Leid oder Wohlergehen, also letztlich der Erfahrung, dem Erleben bewußter Wesen zu tun hat, ist für mich völlig nutzlos und uninteressant. Da nun Leiden ein Bewußtsein voraussetzt und das Bewußtsein etwas ist, das (heute) in einem Gehirn stattfindet und das aufgrund zwar noch unverstandener aber nicht unverstehbarer, naturwissenschaftlich beschreibbarer Prozesse entsteht, scheint es plausibel, daß menschliche Werte nicht völlig relativ sein müssen, sondern mit Hilfe der Wissenschaft mehr oder weniger objektiv bestimmbar sein können (und trotzdem mit dem Stand der Wissenschaft provisorisch und ohne Letztbegründung sind). Das löst nicht Moores “open-question”-Problem, verhindert aber auch moralischen Relativismus.
Von Sam Harris stammt ein Beispiel dafür, welche Blüten letzterer treiben kann und das ich hier sinngemäß nacherzählen möchte: auf einem Kongreß traf er eine Frau, die später zum Beraterstab des US-Präsidenten in Fragen der Bioethik gehörte und die der Gleichheit aller Kulturen das Wort redete. Harris konstruierte daraufhin ein Gedankenexperiment: wie würde die Frau eine Kultur beurteilen, die, weil es eine Forderung der ihr angestammten Religion sei, jedem dritten Kind kurz nach der Geburt die Augen entfernen würde, weil in einem ‘heiligen‘ Text geschrieben stehe, „jeder Dritte soll in Dunkelheit gehen“? Die Frau fragte, wer sie schon sei, dieses Verfahren zu verurteilen und daß es moralisch nicht anfechtbar sei, wenn es eben Teil ihrer Kultur sei!
Wer also wissen will, wie eine Kultur ist, wie es sich darin lebt und ob es erstrebenswert ist, ihrer Verbreitung beizuhelfen, sollte dafür nicht im eigenen Kulturraum lebende Angehörige einer religiösen oder kulturellen Minderheit, sondern einen Menschen zum Maßstab nehmen, der aus einem der Länder stammt und/oder dort noch lebt, wo diese Religion oder Kultur tatsächlich vorherrschend ist. Über das Leben in islamisch geprägten Kulturen könnte man sich beispielsweise bei Ayaan Hirsi Ali, Majeed Nawaz oder Malala Yousafzai erkundigen. Wie es in Großbritannien und anderswo seiner Auffassung zufolge baldmöglichst sein soll, kann man andererseits den öffentlich proklamierten Wunschträumen eines Anjem Choudary und Konsorten entnehmen:
“I am 100 percent certain that the sharia will be implemented in America and in Britain one day. The question is, ‘when?’ and how it will come to fruition. […] If people are afraid of having their hands cut, don’t steal. If you don’t want to be stoned to death, don’t commit adultery.”
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