Über die grundsätzliche Notwendigkeit von Tierexperimenten in Forschung und Wissenschaft und meine Meinung dazu habe ich ja schon geschrieben. Ich finde sie ethisch vertretbar und sogar geboten, wenn sie nachweislich dem Zweck dienen, Menschenleben zu retten oder die menschliche Gesundheit zu verbessern, etwa durch Forschung an Krankheiten, Medikamenten oder gefährlichen Umwelteinflüssen. Die Experimente sollten dabei selbstverständlich nach modernsten Standards sowie nur nach strenger ethischer Prüfung und wann immer möglich mit Betäubung durchgeführt und schon bei der Planung einer Prüfung im Sinne der 3R-Regel unterzogen werden: kann man das Tierexperiment durch eine andere Untersuchungsform ersetzen? Kann man die Anzahl der Tierexperimente reduzieren? Kann man die Methodik der Tierexperimente verbessern, so daß möglichst wenig Streß und Leid beim Tier erzeugt wird?
Was aber ist mit den forensischen Wissenschaften, wovon mein Gebiet, die forensische Genetik, ein Teil ist? Unsere Forschung dient in erster Linie der Verbesserung der Aufklärung von Straftaten und anderen, rechtlich relevanten Sachverhalten und häufig nur sehr indirekt dem Schutz oder der Gesundheit des Menschen. Sollten wir also überhaupt Tierexperimente durchführen?
Bereits 1992 hat Bernard Knight sich dazu sehr klar positioniert [1], indem er schrieb:
„eine große Menge des publizierten Materials, welches Tierexperimente umfaßt, scheint wenig praktische Relevanz zu haben, außer den Lebenslauf und die Karriereaussichten der jeweiligen Wissenschaftler zu verbessern“ (Übersetzung CC)
Knight, der Herausgeber des bedeutenden forensisch-wissenschaftlichen Journals „Forensic Science International“ war, beklagte, daß an unbetäubten Tieren schmerzhafte und verkrüppelnde Experimente durchgeführt wurden, nur um wenig aussagekräftige Daten zu rechtsmedizinischen Problemen zu generieren, die nur sehr selten irgendeinen praktischen Nutzen hatten. Er plädierte daher dafür, daß die forensischen Journale Manuskripte, die Tierexperimente umfaßten, nur noch zur Veröffentlichung annehmen sollten, wenn es wirklich überzeugende Gründe für diese Experimente gab und daraus wichtige Forschritte in der praktischen forensischen Wissenschaft zu erwarten seien. Knights Aufruf vor mehr als 20 Jahren wurde unter anderem dadurch motiviert, daß damals immer wieder tierethisch überaus fragwürdige Studien durchgeführt wurden, etwa das Ertränken unbetäubter Hunde, um den Vorgang des Ertrinkens zu erforschen.
In einem Aufsatz in eben jener Zeitschrift, „Forensic Science International“, haben nun kürzlich Cattaneo und Kollegen untersucht, ob Knights Appell irgend eine Wirkung hatte [2]. Dazu führten sie für die Jahre 2000-2014 eine Stichwortsuche in neun wichtigen forensischen Fachjournalen mit den Schlüsselwörtern „animal“ und „animal experimentation“ durch und analysierten die insgesamt 404 Artikel, die die Suche ausgab. Hier fallen freilich sofort methodische Schwächen auf, die die Anzahl der auffindbaren Artikel reduziert haben dürften: sie haben bei der Suche ausgerechnet die (gemessen am Impactfaktor) wichtigste Zeitschrift, „Forensic Science International: Genetics“, nicht einbezogen und natürlich „übersieht“ ihr Suchalgorithmus auch alle Studien, die zwar Tierexperimente umfassen, aber die o.g. Schlüsselwörter nicht verwenden.
Dennoch förderte ihre Suche Bedenkliches zutage: immer noch fanden sich zahlreiche Beispiele für Experimente, in denen Tieren Pestizide verabreicht, tödliche Hirntraumata und stumpfe Herztraumata beigebracht oder in denen Luftembolien, Stich- und Schußwunden verursacht wurden. In vielen Studien wurden zudem die Auswirkungen von Elektroschocks, Strangulation durch Hängen, Asphyxie, Ertrinken, hypovolämischem Schock u.a. an Tieren untersucht. Besonders krass fand ich persönlich eine Studie aus China (wo man es mit Tierrechten ja ohnehin nicht so genau nimmt, was unter anderem den TCM-Freunden zugutekommt), für die offenbar unbetäubte Kaninchen als „Kontrollgruppe“ aus 40 m Höhe fallen gelassen, verbrannt, vergiftet und erstickt wurden [3] und eine aus Studie aus Japan, für die Ratten mit sarin– und soman-artigen Organophosphaten vergiftet wurden, was einen extrem qualvollen Tod bewirkt [4].
Insgesamt wurden in den untersuchten Studien 8203 Tiere „verbraucht“, die meisten davon Ratten und Mäuse, in einigen Fällen aber auch Hunde und sogar Affen. In 69,1 % der Studien wurden die Tiere dabei eigens für oder durch die Experimente getötet und in 84 % davon wurde an lebenden und nur in 16 % an getöteten Tieren experimentiert.
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