Überaus besorgniserregend ist, daß nur 60,8 % all dieser Tiere vor dem Experiment bzw. der Tötung sicher eine Betäubung erhielten und die Autoren waren überrascht über die sehr häufig fehlenden oder unzureichenden Angaben in den Studien zu Anzahl und Betäubung der Versuchstiere. Man muß also davon ausgehen, daß in vielen Fällen an unbetäubten Tieren experimentiert wurde.
Die Autoren wollen sogar einen Trend zu mehr statt weniger Tierexperimenten festgestellt haben (man darf allerdings bezweifeln, ob diese Einschätzung einer statistischen Prüfung standhalten würde):
Das ethische Problem von Tierexperimenten in den forensischen Wissenschaften werde noch dadurch verschärft, so die Autoren, daß in vielen Fällen die Erkenntnisse aus den Tierexperimenten gar nicht auf den Menschen übertragbar seien, beispielsweise gebe es wesentliche Unterschiede zwischen den Knochen [5] und Hirnen [6] von Menschen und Tieren. Auch fehlten für das forensische Feld Metaanalysen und systematische Übersichtsartikel bereits durchgeführter Tierexperimente, die einen Überblick verschaffen und so verhindern könnten, daß identische Experimente von unterschiedlichen Forschern doppelt durchgeführt würden. Als Alternativen zu Tierexperimenten schlagen sie für die verschiedenen forensischen Fragestellung die Verwendung von Modellen, Simulatoren und sonstigen Substituten vor, etwa in-vitro-Zellkulturen, künstliche Schädel- und Hautmodelle etc.
Sie schließen mit dem Verweis auf die Bedeutung von Tierrechten, die sie als moralische Errungenschaft der Zivilisation ansehen und zitieren Kant:
Die Grausamkeit gegen die Tiere ist der Pflicht des Menschen gegen sich selbst entgegengesetzt.
I. Kant
Diese Auffassung gehe konform mit neuen Erkenntnissen aus Neuroethologie und Bioethik und auch der forensische Wissenschaftler möge sich in empathisches Einvernehmen mit allen Tieren setzen, so wie Darwin es schon andeutete mit seiner “Sympathie über die Grenzen der Menschheit hinaus” und jener
[…] Tugend, eine der edelsten, welche dem Menschen eigen sind, scheint als natürliche Folge des Umstands zu entstehen, daß unsere Sympathien immer zarter und weiter ausgedehnt werden, bis sie endlich auf alle fühlenden Wesen sich erstrecken. Sobald diese Tugend von einigen wenigen Menschen geehrt und ausgeübt wird, verbreitet sie sich durch Unterricht und Beispiele auf die Jugend und wird auch eventuell in der öffentlichen Meinung eingebürgert.
C. Darwin
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Abschließend stelle ich mir die Frage: wie gehe ich mit der Thematik um und würde ich selbst forensisch-wissenschaftliche Exprimente an Tieren durchführen?
Ich habe schon mit Tieren experimentiert. Allerdings war das zu meiner Diplomandenzeit, als ich einen adenoviralen Impfvektor gegen Malaria testete, also an der Bekämpfung der gefährlichsten Infektionskrankheit der Welt beteiligt war (und die Mäuse, die meinen Vektor bekamen, haben es überlebt). Und ich würde es wieder tun. Für forensische Experimente würde ich jedoch nicht an Tieren experimentieren und auch nicht an entsprechenden Kooperationsprojekten teilnehmen, es sei denn, es wäre für ein Projekt von ganz erheblichem gesellschaftlichen Nutzen unerläßlich, was aber wohl nur eine theoretische Ausnahme sein dürfte. Zum Glück werde ich bei meiner miRNA-Forschung kaum in die Verlegenheit kommen und falls ich im Rahmen meines anderen Forschungsschwerpunkts je auf ein Tier schießen müßte (was dank unserer ballistischen Modelle ohnehin sehr unwahrscheinlich ist), würde ich nur bereits tote und zwar nicht für meine Versuche getötete Tiere dafür verwenden.
In den meisten Fällen, in denen Tierexperimente für forensisch-wissenschaftliche Fragestellungen in Frage zu kommen scheinen, müßte man bei der Abwägung der Güter Nutzen und Erkenntnisgewinn des Experiments vs. Schutz des Tiers vor Leid und Tod wohl zum Schluß kommen, daß erstere letztere nicht aufwiegen und die Experimente daher nicht durchgeführt werden sollten. Ich kann mich daher nur B. Knight sowie Cattaneo und Kollegen anschließen und dafür plädieren, daß forensische Fachjournale hohe Hürden vor der Annahme zur Publikation von Studien mit Tierexperiementen errichten und für solche zudem einen eigenen, einheitlichen ethischen Standard etablieren, der übrigens deutlich schärfer als derjenige in den jeweiligen Herkunftsländern der Autoren solcher Studien sein darf.
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