Um sich die nötigen und in Vietnam nicht ohne Weiteres zu erlangenden Kenntnisse und Fertigkeiten für die Durchführung der Arbeiten anzueignen, werden sechs vietnamesische Wissenschaftler nächsten Monat nach Hamburg reisen und dort einige Monate lang bei Bioglobe die Anwendung der DNA-Methoden zu lernen. Zwischendurch sollen sie einen Abstecher nach Sarajevo machen, um beim ICMP eine zusätzliche Ausbildung zum Umgang mit Knochen, deren sachgerechter Untersuchung, Bergung, Sortierung etc. zu erhalten. Daß die Wissenschaftler beim ICMP etwas von DVI verstehen, sieht man daran, daß sie aus 80% der Knochen der Opfer des Genozids von Srebrenica auswertbare DNA gewinnen konnten. Die vietnamesischen Knochen werden zwar deutlich älter und in einem schlechteren Zustand sein doch haben sich die Methoden in den letzten 20 Jahren so stark verbessert, daß die Aussichten dennoch nicht schlecht sind.
Ein weiteres Problem ist natürlich, daß für eine DNA-basierte Identifikation einer verstorbenen Person grundsätzlich immer zwei DNA-Profile verglichen werden müssen. Das des oder der Toten mit entweder der DNA von einem Asservat, wie z.B. einem persönlichen Gegenstand (Rasierer, Kamm etc.), dessen Besitzer eindeutig feststeht (was bei der großen Mehrheit der Vietnamtoten nicht verfügbar sein dürfte) oder aber dem DNA-Profil einer mit dem/der Toten verwandten Person. Bei direkter Verwandtschaft (Kinder oder Eltern) ist das einfach, je geringer jedoch der Verwandtschaftsgrad (Onkel, Cousin), desto schwieriger und indirekter wird der Nachweis der Identität. Da viele der Kriegstoten in Vietnam zu jung waren, um schon Kinder zu haben aber schon zu lange tot sind, als daß ihre Eltern noch lebten, wird man sehr häufig nur auf entferntere Verwandte zurückgreifen können, die man auch erst einmal ausfindig machen muß. Zu diesem Zweck soll ein öffentlicher Aufruf gestartet werden, in dem die vietnamesische Öffentlichkeit aufgefordert wird, Speichelproben abzugeben, damit eine Datenbank mit Referenz-DNA-Profilen angelegt werden kann.
Etwa 2017 sollen die DNA-Zentren auf den neuesten Stand gebracht sein und dann können die Arbeiten beginnen. Die Aufgabe, die vor den vietnamesischen Wissenschaftlern liegt, ist gewaltig! Die Zentren werden zusammen vielleicht 10.000 Individuen pro Jahr identifizieren können. Der Krieg und seine Toten wird das Land also noch eine ganze Weile beschäftigen.
Ich wünsche dieser Anstrengung allen erdenklichen Erfolg denn ich weiß inzwischen aus eigener Erfahrung, wie wichtig vielen Menschen die Gewißheit um das Schicksal auch lange verstorbener Angehöriger ist. Ich hoffe also, daß irgendwann ein Großteil der vermißten Toten aus diesem schrecklichen Krieg identifiziert sein wird und daß die vietnamesische Wissenschaftslandschaft von den bis zu diesem Tag zu unternehmenden Anstrengungen profitiert und daran wächst. Und wer weiß, vielleicht fahre ich in 20 Jahren ja mal zu einem Kongreß in Hai Phong oder Hanoi, weil dann dort die besten DVI-Experten der Welt sitzen…
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Nachtrag am 14.06.16: Wer an mehr Details interessiert ist und gerne auch einmal die vietnamesischen Wissenschaftler sehen möchte, kann hier nachlesen (auf Englisch).
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