Ende Februar findet jedes Jahr der Spurenworkshop der Spurenkommission der DGRM statt.
Der historische und aktuelle Hauptzweck der Spurenworkshops ist dabei immer, die Ergebnisse der beiden jährlichen GEDNAP-Ringversuche für forensische Labore vorzustellen und zu diskutieren. Inzwischen ist die Veranstaltung, die wirklich als ganz kleiner Workshop ihren Anfang nahm, aber zu einer großen internationalen Tagung mit Hunderten Teilnehmern und zahlreichen Industrieausstellern geworden, auf der inzwischen auch immer wissenschaftliche Vorträge präsentiert werden.
Letztes Jahr waren wir in Berlin, wo ich über die „visuelle und bildgebende Darstellung von Rückschleuderspuren und Wundkanal bei simultaner Analyse von DNA und RNA“ sprach.
Dieses Mal waren wir in Essen, dessen, ich muß annehmen, innere und gut versteckte Werte ihm 2010 zum Titel der Europäischen Kulturhauptstadt (#kognitive_Dissonanz) verholfen haben müssen.
Neben Essens eher herber und einen höhnischen Verzicht auf jegliche Gefälligkeit brutalstmöglich demonstrierender städtebaulicher Ästhetik trug auch die Tatsache nicht zu meiner entspannten Gemütslage bei, daß aus der Hölle, deren Eingang sich offenbar unter dem Kennedyplatz, an dem mein Hotel lag, befindet, so eine Art verkorkste, prekariatäre Wintermarkt/Schlittschuhdisko-Abnormität gespieen worden war. Dort nahm man sich heraus, bis halb zwei nachts „Fetenhits & Après Ski“, Techno-Schlümpfe und Dj Ötzi meets the Zillertaler Katzenquäler (oder wie dieses Gerümpel immer heißt) in einer Lautstärke darzubieten, die die Geisteshaltung der Betreiber, derzufolge es sich bei einem Schlafbedürfnis zu dieser Zeit um unerträgliches und gleich hier und jetzt zu läuterndes Spießertum handeln muß, recht unzweideutig zum Ausdruck brachte.
Die Tagung fand im Audimax der Uni Essen statt und obwohl die Organisation ansonsten gut und auch die Lokalität samt Verpflegung recht ordentlich war, war ich doch von der spartanischen und unzureichenden Präsentationstechnik enttäuscht, die ein kleines Netbook ohne Videoplayer (die Vortragenden, die ein Video zeigen wollten, hatten Pech), genau ein Mikrofon (Typ: Headset) für die Vortragenden (also jeweils mit mühseliger Übergabe zwischen den Vorträgen), und ein (!) Mikrofon für die Vorsitzenden UND den ganzen Saal mit hunderten Delegierten umfaßte. Schön war dafür das „Conference Dinner“ am Freitag in der Weststadthalle, wo es neben einem ausgezeichneten Buffet auch ausgezeichnetes Malzbier gab („tut gut“) und von wo ich mich – wie immer – verabsentierte, kurz bevor sich die Funktionsgraphen des steigenden allgemeinen Alkoholisierungsgrades und der sinkenden Tanzhemmung kreuzten 😉
Doch nun zum Programm, das auch dieses Jahr reichlich interessantes und, wie zu erwarten, wieder etliche Vorträge zu und über die Anwendung von NGS bei forensischen Fragestellungen bot, darunter die „Keynote“ von Walter Parson, worin er das Problem der Nomenklatur für die STR-Allebezeichnung beleuchtete, das sich zwangsläufig ergeben wird, wenn mittels NGS nicht nur, wie bisher, die Längen sondern die komplette Sequenzinformation der STR-Fragmente routinemäßig bestimmt wird.
Dann gab es drei Vorträge zur Analyse von DNA-Methylierungsmustern (s. Epigenetik) zur Altersbestimmung, Spurenartidentifikation und zur Differenzierung des Rauchverhaltens der Mütter von Babys, die dem SIDS erlegen sind. Besonders den Vortrag zur Altersbestimmung fand ich spannend, weil darin die Anwendung des sog. „Random Forest Modells“ (RFM) zur Vorhersage des biologischen Alters anhand des Methyierungsstatus’ vieler verschiedener CpGs (Stellen im Genom mit altersabhängig differentieller Methylierung) vorgestellt wurde. Im Gegensatz zu anderen Regressions- und Klassifizierungsverfahren zeichnet sich das RFM als besonders genau und robust gegen Überanpassung aus. Es ist ein Maschinen-Lern-Algorithmus, der auf der Verwendung zahreicher randomisierter Entscheidungsbäume (daher Forest = Wald) beruht. Klingt bizarr und abstrakt?
Es folgt ein weitschweifiger Exkurs:
Stellt Euch vor, Ihr guckt gerne Filme, seid aber sehr unentschlossen und könnt nie einschätzen, ob Euch ein Film gefallen wird. Also fragt ihr einen Freund, den Fred, ob er Euch hilft. Dafür müßt ihr ihn aber erstmal trainieren, indem Ihr mit ihm einen Stapel Filme, die Ihr schon kennt, durchgeht und ihm sagt, welche Euch gefallen und welche nicht (das entspricht einem gelabelten Trainingsset). Wenn Ihr Fred dann fragt, ob Euch wohl Film X gefallen wird, spielt er mit Euch eine Art 20-Fragen/Wer bin ich?-Spiel mit der IMDB und fragt Sachen wie: “Ist X ein romantischer Film?”, “Kommt Christian Bale in X vor?” usw. und am Ende gibt er eine Ja/Nein-Antwort. Fred ist jetzt ein Entscheidungsbaum für Eure Filmvorlieben.
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