Warnung: in dieser Reihe stelle ich schräge, drastische, extreme oder auf andere Weise merkwürdige Studien und Fallberichte vor, die die Forensischen Wissenschaften in ihrer ganzen Breite und Vielseitigkeit portraitieren sollen, die aber in ihrer Thematik und/oder den beigefügten Abbildungen nicht für alle LeserInnen geeignet sind und obgleich ich mich stets bemühen werde, nicht ins Sensationalistische abzugleiten, mag bisweilen die unausgeschmückte/bebilderte Realität bereits mehr sein, als manche(r) erträgt.
Das war jetzt schon die 20. Nacht in Folge, die er sich hier damit um die Ohren schlug, das Haus dieser merkwürdigen Frau zu observieren. Eine Tierretterin sei sie, hieß es, die in den letzten 10 Jahren schon tausende Tiere, Streuner von der Straße, bei sich aufgenommen und solange versorgt hatte, bis sie sie an jemanden vermitteln konnte, der ihnen ein neues Zuhause geben wollte. Doch so ganz schienen seine Auftraggeber, eine Tierschutz-NGO, nicht daran zu glauben. Deshalb stand er jetzt hier im Halbdunkel einer Januarnacht in Sao Paulo, machte Photos und führte eine Strichliste. Links einen Strich für jedes Tier, das ins Haus gebracht wurde, rechts einen für jedes Tier, das das Haus wieder verließ. Die linke Seite seines Blocks war schon fast voll, über 200 Striche hatte er in den letzten Wochen gemacht, rechts war kein einziger. Das einzige, was die Frau jede Nacht aus dem Haus brachte, waren eine Menge Mülltüten. Wahrscheinlich für die Futterdosen und was sonst so anfiel, wenn man zahlreiche Tiere beherbergte. Aber soviel Müll, jede Nacht? Moment! Sie wird doch nicht… Bevor er den Gedanken zuende führen konnte, öffnete sich die Tür und die Frau trat auf die Straße, abermals schwer beladen mit mehreren Müllsäcken, die sie ächzend an den Straßenrand beförderte, wo sie gleich morgen abgeholt würden. Sie sah sich kurz um und ging schnell wieder zurück ins Haus. Glück gehabt, sie hatte ihn nicht gesehen, obwohl er seine Tarnung nach 20 ereignislosen Nächten etwas hatte schleifen lassen. Nachdem er sich versichert hatte, daß sie nicht am Fenster stand, lief er zu den Säcken, öffnete den ersten, sah hinein und erstarrte. Ein toter Hund lag darin, eine pinke Schleife noch um den Hals. Er erkannte sie, das war doch dieselbe Schleife, die er an einem niedlichen Mischlingshund gesehen hatte, der am Abend zuvor in das Haus gebracht worden war. Der Hund lag obenauf, darunter noch weitere Tierkadaver, einige schon faulig und stinkend. Hastig riß er die anderen Säcke auf: noch mehr tote Tiere, Hunde und Katzen, insgesamt 37. „Jetzt bist Du dran.“, dachte er, knirschte mit den Zähnen und rief die Polizei.
So oder so ähnlich mögen sich die Observierung des Hauses einer vermeintlichen Tierfreundin und der nächtliche Fund von 37 toten Tieren in Müllsäcken vor dem Haus durch einen Privatdetektiv, der von einer Tierschutzorganisation engagiert worden war, abgespielt haben. Die Polizei kam und durchsuchte das Haus der Frau, wo sie neben zahllosen Tieren in gutem Zustand, die in Obhut genommen wurden, noch etliche Kisten mit verschreibungspflichtigen Medikamenten, darunter Ketamin und Xylazin (die man in der Tiermedizin zusammen in der Hellabrunner Mischung verwendet), fanden.
Die Kadaver, einige davon bereits mit deutlichen Fäulniszeichen, wurden an ein tierdiagnostisches Zentrum (LAB&VET) der Uni Sao Paulo überstellt, wo die Todesursache ermittelt werden sollte. In Brasilien hatte der Fall recht hohe Wellen geschlagen, es gab Proteste vor dem Haus der Frau und erste Vermutungen sahen die Tiere sogar schon als Opfer schwarzer Messen oder gingen davon aus, daß man ihr Blut auf dem Schwarzmarkt für Transfusionen verkauft habe.
Bei der Untersuchung der Kadaver bot sich dann ein bedrückendes Bild:
Untersuchung: Zuerst wurden alle Kadaver geröntgt, dann mit einem tragbaren Scanner auf möglicherweise subkutan eingepflanzte Mikrochips (sowas hier) geprüft und anschließend entsprechend etablierter Obduktionsrichtlinien für Kleintiere seziert. Alle Befunde einschl. postmortaler Veränderungen wurden dokumentiert und photographiert. Die Lungen wurden zusätzlich feingeweblich untersucht, um eventuelle Lungenblutungen beurteilen zu können. Blut wurde aus Herz und Thoraxhöhle entnommen und zur toxikologischen Analyse mittels GC-MS gegeben.
Befunde: Bereits bei der äußerlichen Beschau fiel bei der großen Mehrzahl der – sämtlich von Flöhen befallenen – Tiere eine einfache oder doppelte Einstichverletzung im Thorax nahe dem Brustbein auf, jeweils ca. 0,1-0,2 cm durchmessend. Nur die Hündin mit der pinken Schleife, das größte der gefundenen Tiere, wies 18 Einstiche auf der linken Thoraxseite auf.
Nach Abhebung der Oberhaut zeigte sich bei einigen Tieren, darunter der Hündin mit der pinken Schleife, ein großflächiges Hämatom im Unterhaut- und Muskelgewebe, um die Einstiche herum. Alle festgestellten Stichwunden hatten jeweils das Herz oder große Gefäße, wie die Hohlvene, die Lungenarterie oder die Aorta verletzt, wodurch jeweils ein Hämoperikard und ein Hämatothorax enstanden waren. Bei einigen Tieren wurden noch weitere, kleinere innere Verletzungen gesehen.Die Magen-Darm-Trakte der meisten Tiere waren noch mit verschiedenen Mengen von Nahrung gefüllt, darunter Hunde- und Katzenfutter, Reis, schwarze Bohnen und Milch bei den Jungtieren.
Bei einigen Tieren fanden sich zudem Darmparasiten wie der Gurkenkernbandwurm, einige Katzenjunge zeigten Anzeichen von Diarrhoe.
Andere Verletzungen oder Anzeichen von Krankheit oder Gewalteinwirkungen fielen nicht auf und auch die Röntgenuntersuchung hatte keine Anhaltspunkte für Knochenbrüche oder Dislokationen erbracht. So wurde als Todesursache jeweils Kreislaufversagen und Herzbeuteltamponade durch nicht-natürliche Ursache festgestellt. Bei der toxikologischen Untersuchung konnte schließlich in den Blutproben in allen Fällen Ketamin nachgewiesen werden.
Beurteilung: Die unterschiedlichen Stadien von Fäulnis und Zersetzung, in denen sich die Kadaver befanden, ließen auf unterschiedliche Todeszeitpunkte der Tiere schließen, wobei unklar blieb, ob und wie lange einige der Kadaver nach dem Tod eingefroren worden waren. Die Flöhe, der gelegentliche Parasitenbefall sowie die vegetarische Nahrung wiesen zudem auf mangelnde Hygiene und Gesundheitsversorgung, sowie unartgerechte Ernährung der Tiere hin.
Die Einstichverletzungen an den Kadavern imponierten uniform und stammten vermutlich von demselben Instrument, etwa einer Injektionsnadel und alle Befunde sprachen dafür, daß die Tiere mit Absicht durch Stiche ins Herz bzw. nahe Gefäße getötet worden waren. Das nachgewiesene Ketamin, wurde vermutlich zur Betäubung benutzt (wenngleich der alleinige Einsatz von Ketamin zur Viszeralanalgesie wegen schwacher Wirkung nicht empfohlen ist). Es ist auch in Brasilien verschreibungspflichtig und die tatverdächtige Frau war nicht zum Besitz berechtigt.
Juristische Bewertung: Die unterschiedlichen Tötungszeitpunkte der Tiere verleihen den Taten den Charakter eines Serienmords, als Ermordung von zwei oder mehr Opfern durch dieselbe Person bei mehr als einer Gelegenheit [2]. Andere Tiermorde ließen sich der Frau mangels Beweisen wie weiterer Kadaver nicht nachweisen, doch waren laut des Berichts des Privatdetektiv während seiner Observation über 200 Tiere ins Haus der Tatverdächtigen gekommen, von denen keines das Haus wieder verlassen habe.
Die Tatverdächtige räumte nur die Tötung von fünf der gefundenen Tiere ein und behauptete, diese nur vorgenommen zu haben, um die Tiere von einem schmerzhaften und unheilbaren Leiden zu erlösen. Über die Herkunft der anderen Tiere wisse sie nichts und könne sich diese auch nicht erklären.
Nach zweijährigem Prozeß wurde sie schließlich für den Mord an 37 Tieren zur überaus harten Strafe von 12 Jahren, 6 Monaten und 14 Tagen (die Brasilianer nehmen es offenbar sehr genau) Gefängnis verurteilt, der ersten Haftstrafe wegen Verbrechen gegen Tiere überhaupt. Das Gericht sah die Verurteilte als Tierserienmörderin an (gem. der Definition des FBI [2]), weshalb die Strafe in seinen Augen so hart ausfallen mußte.
Dieser Fallbericht soll auch auf die Existenz und den Stellenwert der Disziplin der forensischen Veterinärmedizin aufmerksam machen, die als Teil der „Wildlife Forensics“ im Zuge der Verbesserung von Tierrechten immer mehr an Bedeutung gewinnt. Nur mittels forensisch-veterinärmedizinischer Untersuchung konnten in diesem Fall die unterschiedlichen Todeszeitpunkte sowie die Todesursache der Tiere eindeutig als „nicht-natürlich“ festgestellt und die Aussage der Tatverdächtigen, daß die Tiere, deren Tötung sie einräumte, unheilbar krank und leidend gewesen seien, als falsch erkannt werden. Auch konnten im Vorfeld in den Medien geäußerte Vermutungen, daß die Tiere ausgeblutet bzw. Opfer von Ritualen im Rahmen schwarzer Messen geworden seien, entkräftet werden. Ohne diese Untersuchungen wäre also die Schuldfrage in diesem Fall kaum objektiv zu klären gewesen.
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Referenzen:
[1] Salvagni, F. A., de Siqueira, A., Fukushima, A. R., de Albuquerque Landi, M. F., Ponge-Ferreira, H., & Maiorka, P. C. (2016). Animal serial killing: The first criminal conviction for animal cruelty in Brazil. Forensic Science International, 267, e1-e5.
[2] Serial Murder: Multi-Disciplinary Perspectives for Investigators, in: R.J. Morton, M.A. Hilts (Eds.), U.S. Department of Justice, Federal Bureau of Investigation, 2008.
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