Ich befinde mich derzeit noch im labilen Zustand der Meinungsbildung hinsichtlich der Genderforschung, ich tendiere aber momentan zu der Einschätzung, daß zumindest einige der in diesem Feld vertretenen Thesen einer wissenschaftlich haltbaren Grundlage entbehren und eher einen ideologiekonformen post-hoc-angepassten Charakter besitzen. Daß, beispielsweise, die bei (biologischen) Frauen und Männern unterschiedlichen chromosomalen Ausstattungen, entwicklungsbiologischen Verläufe, hormonellen Milieus und neurologischen Strukturen keinerlei Auswirkung auf Denken, Fühlen und Verhalten haben sollen und das Geschlecht einzig und allein ein soziales Konstrukt sei, halte ich für eine These, für die bislang keinerlei Belege existieren.
Daß biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen eine Rolle spielen, finden übrigens auch einige Viren, die das Glück haben, keine „hot topic“ Genderdebatten in den sozialen Medien mitverfolgen zu müssen, sondern stattdessen lieber selber „viral gehen“ (und damit soll es mit den potthäßlichen Anglizismen hier auch sein Bewenden haben):
Es gibt Belege dafür, daß Männer stärkere Symptome durch Infektionskrankheiten aufweisen und auch häufiger daran sterben als Frauen, was man allgemein häufig auf das vergleichsweise bessere Immunsystem der Frauen zurückgeführt hatte. Eine Gruppe um V. Jansen an der Royal Holloway Uni in London haben kürzlich aber gezeigt, daß auch die Viren selbst eine Rolle bei diesem geschlechtsspezifischen Unterschied spielen und daß man immer beide Parteien einer Infektion, Wirt und Parasit, sowie deren Interaktion betrachten muß [1].
Sowohl Frauen als auch Männer können Viren von Person zu Person (=horizontal) verbreiten, doch nur Frauen können ein Virus während der Schwangerschaft, Geburt oder durchs Stillen auch auf ihr Baby (=vertikal) übertragen. Es könnte also einen selektiven Vorteil für ein Virus bedeuten, diese Transmissionsroute, die ja eine noch weitere Verbreitung des Virus‘ ermöglicht, zu erhalten und Frauen daher nicht so stark erkranken zu lassen, daß sie sterben.
In Ihrer Arbeit präsentieren Jansen und Ubeda nun ein epidemiologisches Modell, um die geschlechtsspezifische Virulenz zu untersuchen und zu beschreiben. Dafür schufen sie zunächst ein grundlegendes Krankheitsmodell und fügten darin Geschlecht, horizontalen und vertikalen Transfer und weitere Variablen ein:
(hier noch die Formeln für Infektionskraft in Männern: Hm=β(δm)γmmmi + β(δf)γfmfi und Frauen: Hf=β(δf)γfffi + β(δm)γmfmi ).
Nach Ausarbeitung der epidemiologischen und populationsgenetischen Gleichungen zeigte das Modell, daß vertikal und horizontal übertragende Viren sich so anpassen, d.h. evolvieren, daß sie ihre Virulenz reduzieren, um weniger tödlich für Frauen zu sein. Viren, die weniger häufig tödlich für Frauen sind, sind demnach evolutiv bevorteilt. Dieses Phänomen tritt allerdings nicht auf bei Viren, die nur horizontal verbreitet werden.
Anschließend testeten sie ihr Modell in der Wirklichkeit: ein Virus, das vor allem in Japan und im karibischen Raum vorkommt und das von der Mutter während der Schwangerschaft und durchs Stillen auf ein Kind übertragen werden kann, ist das HTLV1-Virus, welches auch eine meist tödlich verlaufende adulte T-Zell-Leukämie (ATL) hervorrufen kann. Daß eine HTLV1-Infektion eine ATL hervorruft kommt nun bei japanischen Männern deutlich häufiger vor als bei japanischen Frauen aber etwa gleich häufig bei Männern und Frauen aus dem karibischen Bereich, wo Frauen ihre Kinder deutlich kürzer stillen als in Japan und somit eine geringere vertikale Übertragungsrate des Virus’ bewirken. Auf diese Beobachtung angewendet konnte das Modell von Jansen und Ubeda zeigen, daß das Virus in japanischen Frauen weniger virulent ist.
Es ist noch unklar, wie ein Virus „bemerken“ kann, ob sein Wirt weiblich oder männlich ist, um seine Virulenz daran anzupassen und es bedarf weiterer Forschung, um die Signale ausfindig zu machen, auf die das Virus entsprechend reagieren kann. Wenn man sie aber gefunden hat, wäre es möglich, sie therapeutisch einzusetzen, um einem Virus einen „falschen“ Wirtskörper vorzugaukeln und damit ihr weniger virulentes Programm zu initiieren und einen milderen Verlauf der Infektion zu bewirken. Cool, oder?
Angesichts solcher Befunde frage ich mich nun noch, wie sie wohl von Hardliner-Gendertheoretikern, die biologische Unterschieden zwischen Männern und Frauen leugnen bzw. Kreationisten, die die Evolutionstheorie ablehnen, erklärt werden.
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Referenz:
[1] Úbeda, F., & Jansen, V. A. (2016). The evolution of sex-specific virulence in infectious diseases. Nature Communications, 7.
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