Ich bin gerade im schönen Gießen, wo ab heute der 37. Spurenworkshop der DGRM stattfinden wird (Bericht folgt) und habe nicht viel Zeit zu bloggen. Ihr könnt stattdessen aber stattdessen etwas anderes lesen:

Das 2012 gegründete Wissenschaftsnetzwerk “European Forensic Genetics Network of Excellence” (dt. Europäisches Forensische Genetik Exzellenz-Netzwerk, Euroforgen-NoE), das sich der Etablierung eines virtuellen europäischen Zentrums für forensisch-genetische Forschung verschrieben hat, hat kürzlich eine 40-seitige, sehr gute und informative (englischsprachige) Broschüre herausgegeben, die den Titel trägt: “Making Sense of Forensic Genetics” (dt. Forensische Genetik verstehen), Untertitel: “What can DNA tell you about a crime?” (dt. Was kann die DNA über ein Verbrechen verraten?).

Die Broschüre entstand in Zusammenarbeit mit dem „Sense about Science“-Projekt, einer Initiative zur öffentlichen und allgemein zugänglichen Kommunikation sozial oder wissenschaftlich schwieriger Probleme, für die Wissenschaftler überzeugende (Lösungs-)Ansätze diskutieren, die von öffentlichem Interesse sind, für die aber die Belege wenig bekannt, widersprüchlich oder häufig mißverstanden sind.
Dazu heißt es:

Die Erstellung von DNA-Profilen wird immer empfindlicher und kommt immer häufiger bei strafrechtlichen Ermittlungen zum Einsatz. Es ist daher essentiell, daß die öffentliche aber auch professionelle Erwartungshaltung gegenüber dieser Technologie nicht durch CSI und Krimiserien im Fernsehen sondern durch die Realität begründet werden.

CSI vs. Realität

CSI vs. Realität

In der Broschüre wird erklärt, wie und wo an Tatorten Proben genommen werden, wie DNA-Profile erstellt werden, was sie umfassen, was sie bedeuten, wie sie interpretiert werden, wie die Seltenheit  von DNA-Profilen berechnet und interpretiert wird, welche Probleme und Schwierigkeiten es gibt und welches Potential die Methode des “Forensic DNA profiling” und NGS birgt.

Ich finde die Broschüre sehr gelungen, sie ist verständlich geschrieben, angereichert mit interessanten Berichten über reale Fälle und enthält gute, intuitiv erfaßbare graphische Darstellungen wichtiger Konzepte aber auch Probleme, sowie Verweise zu weiterführender Literatur. Das einzige Manko dieser Broschüre, die sich “Making Sense of Forensic Genetics” nennt, besteht m.E. im völligen Verschweigen RNA-basierter Analysemethoden und deren enormem Potential und Vielseitigkeit.

Nicht nur gibt es dazu wesentlich mehr Forschung und Literatur als z.B. zu FDP, es gab sogar schon einen mehrteiligen internationalen Ringversuch dazu und RNA-basierte Körperflüssigkeitenidentifikation wird bereits in der forensischen Routine einiger Länder, z.B. den Niederlanden, eingesetzt. Dieses Versäumnis führt dann zu irreführenden Schilderungen: auf S. 20 heißt es z.B., daß aus sehr kleinen, unsichtbaren Spurenproben die Art der Spur (also z.B. welche Art von Körperflüssigkeit sie enthält) nicht bestimmt werden könne, ohne die ganze Probe zu verbrauchen, so daß kein Material mehr für die DNA-Analyse zur Verfügung steht. Das ist inkorrekt. Die forensische RNA-Analyse ist vollständig kompatibel mit der DNA-Analyse und der Erstellung von STR-Profilen. Sie ist sehr sensitiv, funktioniert also auch mit winzigen Spurenmengen und einer ihrer Vorteile besteht gerade darin, daß RNA und DNA aus ein- und derselben Probe extrahiert und parallel analysiert werden können. Naja, so bleibt noch etwas zu tun für einen zweiten Teil 🙂

###Update am 19.02.: es gibt nun in den Kommentaren eine Erklärung zur Nichterwähnung von RNA-basierten Methoden von einem der Autoren der Broschüre.

Ich unterstütze diese Initiative, kann jedem/r LeserIn mit Interesse an forensischer Genetik die Lektüre dieser Broschüre (und natürlich meiner eigenen Artikelserie zur Forensischen Genetik 😉 ) nur wärmstens empfehlen und hoffe, sie trägt dazu bei, das Verständnis für unsere Disziplin zu verbessern, Mißverständnisse auszuräumen und den CSI-Effekt zu bekämpfen.

Hier kann man sie herunterladen.

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Kommentare (10)

  1. #1 Johann
    17/02/2017

    Nur mal so aus Neugier, im verlinkten Artikel über die RNA Analyse wird ja auch über den schnellen Zerfall selbiger geschrieben. Gibt es bereits Methoden, die diesen Zerfall nutzen um zu zeigen, daß die DNA nicht erst später/früher an den Tatort gelangte sondern daß die DNA Probe zeitlich zur Tatzeit paßt?

  2. #2 RPGNo1
    17/02/2017

    Kurzer Blick in den Himmel: Tiefgrau und verregnet. Die Broschüre könnte somit eine interessante Wochenendlektüre werden.

    BTW, CC, viel Spaß in Gießen, und vielleicht kommst du ja auch dazu, einen kurzen Überblick von der Tagung in deinem Blog zu geben. 🙂

  3. #3 JW
    17/02/2017

    Das “schöne” Gießen hat mir gefallen. Allerdings habe ich mich dort deutlich wohler gefühlt als im geleckten Tübingen.
    Zur Broschüre: Super Idee, mal sehen ob ich Zeit dafür habe. Meine Zeiten in der DNA und RNA-Welt sind ja auch schon etwas her

  4. #4 Cornelius Courts
    18/02/2017

    @Johann: “Gibt es bereits Methoden, die diesen Zerfall nutzen um zu zeigen, daß die DNA nicht erst später/früher an den Tatort gelangte sondern daß die DNA Probe zeitlich zur Tatzeit paßt?”

    Logo, geht aber mit RNA, statt DNA. Klickstu hier: https://scienceblogs.de/bloodnacid/2011/07/12/haare-haben-eine-rnauhr/ und hier (Frage 18): https://scienceblogs.de/bloodnacid/faq-fragen-zur-forensik/

    @RPGNo1: ” und vielleicht kommst du ja auch dazu, einen kurzen Überblick von der Tagung in deinem Blog zu geben”

    ganz sicher. Habe ich bis jetzt immer:https://scienceblogs.de/bloodnacid/?s=spurenworkshop

  5. #5 RPGNo1
    18/02/2017

    ganz sicher. Habe ich bis jetzt immer:https://scienceblogs.de/bloodnacid/?s=spurenworkshop

    Fein, ich warte gespannt drauf. 🙂

  6. #6 Peter Schneider
    Köln
    19/02/2017

    Vielen Dank für diesen Hinweis auf die “Makling Sense” Bröschüre. Als einer der Autoren möchte ich eine kleine Erläuterung geben, warum der gesamte Komplex der RNA-Analyse (so wie DNA-Methylierungsanalyse zur Spurenart- und Altersbestimmung) nicht enthalten sind. Wir hatten dieses Thema selbstverständlich auch auf unserer Liste gehabt und hätten es gern mit einbezogen. Es wurde jedoch wieder herausgenommen. Es gab große Bedenken wegen der dann zusätzlich erforderlichen umfangreichen Erläuterungen zur RNA-Analyse – denn es ist der Anspruch von “Sense about Science”, dass alles was in dem Guide drinsteht, auch für den Laien verständlich nachvollziehbar sein muss. Weiterhin spielt die RNA-Analyse (leider) in der Praxis bisher kaum eine Rolle, während die Problematik von “DNA-Phenotyping” in den Medien wesentlich präsenter ist und gerade dort auch viel Unsinn verbreitet wird. Alles dies hat dann zur Entscheidung geführt, die RNA-Analyse hier nicht zu erwähnen.

  7. #7 Cornelius Courts
    19/02/2017

    @Peter Schneider: “Alles dies hat dann zur Entscheidung geführt, die RNA-Analyse hier nicht zu erwähnen.”

    Vielen Dank für die Erläuterung der Beweggründe. Aus dieser Sicht finde ich die Entscheidung nachvollziehbar.

  8. #8 Johann
    20/02/2017

    @CC: Thx 🙂

    @Peter Schneider:
    Gibts denn ein gutes Review zur RNA Thematik zu empfehlen?

  9. #9 Cornelius Courts
    20/02/2017

    @Johann: “Gibts denn ein gutes Review zur RNA Thematik zu empfehlen?”

    oh ja, eine ganze Menge, aber die folgenden könnten schon mal ein guter Ausgangspunkt sein:

    An, J. H.; Shin, K. J.; Yang, W. I.; Lee, H. Y. (2012): Body fluid identification in forensics. In: BMB.Rep. 45 (10), S. 545–553.

    Courts, C.; Madea, B. (2012): Ribonukleinsäure – Bedeutung in der forensischen Molekularbiologie. In: Rechtsmedizin 22, S. 135–144.

    Sijen, T. (2015): Molecular approaches for forensic cell type identification. On mRNA, miRNA, DNA methylation and microbial markers. In: Forensic Sci Int Genet. 18, S. 21–32.

  10. #10 Johann
    20/02/2017

    Danke 🙂