Wie kann man denn gegen Empathie sein? Spinnt der? Genau diese Reaktion, die angesichts des Titels seines Buchs (erschienen im Bodley Head Verlag) sicher viele haben werden, hat Paul Bloom, Professor für Psychologie in Yale, natürlich antizipiert.
Der Titel ist denn freilich auch eine Finte: Bloom legt in seinem hervorragenden und interessanten Buch ein komplexes aber überzeugendes Argument gegen Empathie vor und ist auch auf die allermeisten zu erwartenden Angriffe schon bestens vorbereitet. Um das verstehen und richtig einordnen zu können, ist es zunächst jedoch zwingend erforderlich, zu erläutern, was genau Bloom unter Empathie versteht und was nicht, bzw. was genau es ist, das er ablehnt.
Bloom wendet sich gegen Empathie, wenn der Begriff wie von den meisten Psychologen und Philosophen verwendet und darunter das Einfühlungsvermögen und die Neigung, sich einzufühlen verstanden wird. Also die Fähigkeit und die Tendenz dazu, die Gefühle, von denen man glaubt, das Gegenüber fühle sie, selbst auch zu empfinden.
Er ist hingegen nicht gegen Moral, Freundlichkeit (kindness) und Mitgefühl (compassion), was für viele Menschen synonym mit Empathie ist, noch ist er gegen „kognitive Empathie“, also die Fähigkeit, andere Menschen und was sie denken zu verstehen, die man auch als soziale Intelligenz bezeichnen könnte und die, wie Bloom zeigt, als Kraft zum Guten überschätzt ist.
Das Buch ist also ausdrücklich keins dieser Bücher, die mehr oder weniger offen mit den Vorteilen eines psycho- bzw. soziopathischen Charakters flirten und ebensowenig argumentiert es für egoistisches, unmoralisches Verhalten. Im Gegenteil, es ist ein durch und durch besonnenes, menschenfreundliches, moralisches und sogar ein wenig optimistisches Buch. Und natürlich, und das verhehlt Bloom keineswegs, hat Empathie auch ihre guten Seiten: sie spielt eine Rolle in der Kunst und beim Sport und sie kann Quelle größten Vergnügens und Genusses und ein wichtiger Aspekt enger zwischenmenschlicher Beziehungen sein. Und manchmal kann sie uns sogar dazu anleiten, Gutes zu tun. Doch im großen Ganzen, so Blooms Erkenntnis, ist sie eine schlechte moralische Richtschnur, auf die wir törichte Urteile gründen und durch die oftmals Gleichgültigkeit und Grausamkeit motiviert sind. Empathie verleitet zu irrationalen und unfairen politischen Entscheidungen, kann bestimmte wichtige Beziehungen, etwa das Arzt-Patienten-Verhältnis zersetzen und macht uns zu schlechteren Freunden, Eltern und Ehepartnern.
Empathie, so Bloom, verengt unseren moralischen Fokus auf bestimmte Personen im Hier und Jetzt, um die wir uns dann verstärkt kümmern. Dabei verlieren wir aber die längerfristigen Konsequenzen unserer Handlung aus den Augen und schotten uns ab gegen das Leid derjenigen, die sich nicht in unserer empathischen Reichweite befinden. Empathie ist also voreingenommen (biased) und sie nötigt uns provinzielle bis gar rassistische Reflexe auf. Empathie ist kurzsichtig, indem sie vor allem Handlungen motiviert, die kurzfristig Besserung bringen sich aber auf lange Sicht als tragische Fehler herausstellen und sie ist maßlos, indem sie das Wohlergehen einer Person dem vieler überordnet: unsere Empathie für diejenigen, die uns nahestehen, ist eine starke Mitursache für Krieg und Grausamkeit gegen andere.
Sein Wunsch, so Bloom, sei nicht, in einer Welt ohne Empathie zu leben, sondern in einer Kultur, in der man sich der Rolle und Gefahren der Empathie bewußt(er) ist und sich zu den rechten Gelegenheiten von ihrer Einflußnahme befreit.
Blooms Argument gegen Empathie ist dabei dreiteilig. Es geht so: 1. unsere moralischen Entscheidungen und Handlungen werden maßgeblich durch Empathie geprägt. 2. häufig macht das die Welt schlechter. 3. wir sind in der Lage, es besser zu machen. Für alle diese Thesen legt Bloom in seinem Buch gut (auf 24 Seiten Bibliographie) referenzierte und erklärte Belege vor und illustriert diese anhand zahlreicher Beispiele und (z.T. eigener) Studien.
Das Buch umfaßt sechs Kapitel und zwei „Zwischenspiele“ (Interludes). In den ersten drei Kapiteln wird das Konzept der Empathie genau erklärt und Bloom gibt Erwiderungen auf die acht häufigsten und besten Argumente gegen seine Position, versehen mit psychologischen und neurowissenschaftlichen Belegen und deren Diskussion, wodurch die Untauglichkeit von Empathie als moralischer Richtschnur deutlich wird. Im vierten Kapitel wird die Rolle von Empathie innerhalb enger zwischenmenschlicher Verhältnisse und Beziehungen beleuchtet, im fünften Kapitel wirft Bloom einen kritischen Blick auf die These, der zufolge ein Mangel an Empathie Personen zu schlechteren Menschen mache. Im letzten Kapitel tritt er einen Schritt zurück und verteidigt den Menschen als rationales Wesen, das nicht hilflos seinen Emotionen und dem Gängelband der Empathie ausgeliefert ist.
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