Ein schönes Beispiel für die bisweilen wirklich bizarre Auswirkung von Empathie beschreibt er im ersten Kapitel. Es geht um die Reaktionen nach dem Amoklauf an der Sandyhook-Grundschule in Newtown vor fünf Jahren: bei dieser Tat kamen 20 Kinder ums Leben und die ganze Welt war entsetzt und nahm Anteil. Im selben Jahr wurden jedoch allein Chicago mehr Kinder ermordet als in Newtown doch dafür interessiert sich niemand, auch Bloom nicht, wie er zugibt. Warum? Weil wir viel leichter in empathischen Rapport mit den Schulkindern und deren Angehörigen in Newtown treten, die viel mehr so sind wie wir, als etwa mit unbekannten schwarzen Teenagern in Chicago. Bizarr wird es, wenn man liest, daß die schiere Masse von Spenden und Zuwendungen zuletzt eher zur Belastung für die Stadt wurde, die Hunderte Freiwilliger rekrutieren mußte, um all die Geschenke, Spielzeuge und Spenden zu sortieren und zu lagern, welche beständig weiter eintrafen, obwohl die Stadt Newton öffentlich darum gebeten hatte, nichts mehr zu schicken. Am Ende hatten sie ein ganzes Lagerhaus voller Plüschtiere, mit denen sie nichts anfangen konnten und auch der Millionen an Spendengeldern bedurfte die wohlhabende Gemeinde eigentlich nicht, im Gegensatz, ironischerweise, zu den meisten derjenigen Gemeinden, aus denen die Spendengelder stammten.
Aber was wäre die Alternative zu Empathie? Bloom schlägt vor, sich der bereits in buddhistischen Texten vorfindlichen Unterscheidung zwischen „sentimentalem Mitgefühl“ (das, was er unter Empathie versteht) und „großem Mitgefühl“ (das, was man einfach als Mitgefühl bezeichnen könnte) anzunähern. Ersteres wird als erschöpfend und nicht ratsam beurteilt, letzteres sei stattdessen der anzustrebende Weg. Bloom hält es da mit dem Buddhisten und Wissenschaftler M. Ricard (,an dem auch der neurologische Unterschied zwischen Empathie und Mitgefühl demonstriert wurde,) aber auch T. Singer und O. Klimecki, die in einem Übersichtsartikel über das Verhältnis von Empathie zu Mitgefühl schrieben: „Im Gegensatz zur Empathie bedeutet Mitgefühl (compassion) nicht, die Gefühle und das Leid Anderer zu teilen. Es wird vielmehr charakterisiert durch ein Gefühl der Wärme, Anteilnahme und Zuwendung für den Anderen sowie durch eine starke Motivation, sein/ihr Wohlergehen zu fördern. Mitgefühl bedeutet, für jemanden zu empfinden, nicht mit ihm.“
Das Buch hat mich überzeugt, es hat mein Verständnis und meine Aufmerksamkeit für Empathie verbessert und mir die Notwendigkeit ihrer konturscharfen Konzeptionalisierung sowie ihrer rationalen Einhegung aufgezeigt. Ich schrieb einmal über die Rolle von Empathie bei meiner eigenen moralischen Verortung:
„ein wichtiges meine persönlichen Werte und moralische Anschauung mit konstituierendes Konzept ist Empathie, also im weitesten Sinn die Annahme, daß alle Menschen unter Dingen wie Schmerz, Hunger, Einsamkeit, Unfreiheit, Angst etc. leiden und das Bedürfnis, eigenes und fremdes Leid zu vermeiden bzw. eigenes und fremdes Wohlergehen zu fördern.“
Hier meinte ich Empathie also nicht im bloomschen Sinne, in dem man dagegen sein muß, sondern in meinem damaligen, laienhaften Verständnis, in dem ich Empathie am ehesten und ungenauerweise mit rationalem Mitgefühl gleichsetzte. Das soll mir künftig nicht mehr passieren: ich bin gegen Empathie und für rationales Mitgefühl.
___
Wer lesen will, wie Bloom sich in einem Interview äußert, als „Against Empathy“ noch im Entstehen war, wird hier fündig und hier kann man ihn im Gespräch mit Sam Harris hören, kurz bevor das Buch veröffentlicht wurde.
Hier gibt es ein literarisches Forum zu “Against Empathy” mit verschiedenen Leseproben und Diskussionsbeiträgen.
Eine Möglichkeit, rationales Mitgefühl tatkräftig zum Ausdruck zu bringen, ist effektiver Altruismus, zu dem auch ich mich bekenne. Wer mehr darüber erfahren möchte, kann sich hier ein Gespräch zwischen Sam Harris und William MacAskill, einem prominenten Vertreter des effektiven Altruismus’ und Gründer des Zentrums für effektiven Altruismus, anhören.
Kommentare (105)