Auf diese Weise sammelte Alpha Go Zero in wenigen Tagen und ungezählten Millionen Spielen gegen sich selbst das Äquivalent von Tausenden Jahren menschlicher Erfahrung und erreichte eine Elo-Zahl von >5000! Dabei entdeckte es zudem noch neues Wissen über Go, erfand neue unkonventionelle Strategien und kreative Züge, die sogar diejenigen übertrafen, mit denen schon die Alpha Go Versionen „Lee“ und „Master“ ihre menschlichen Gegner bezwungen hatten.
Die Maschinen haben uns also nun auch und endgültig Go weggenommen, kein Mensch wird jemals Alpha Go Zero schlagen und der beste Go-Spieler der Welt ist und wird von jetzt an immer sein: eine Maschine. Aber wie geht es nun weiter? Werden die Maschinen richtig kreativ? Kann man solche Entwicklungen wie bei Alpha Go Zero nutzen, um Algorithmen zu kreieren, die den menschlichen Erfindungsgeist unterstützen, gar überflügeln? Können Maschinen dabei helfen, einige der schwierigsten und wichtigsten Probleme unserer Zeit zu lösen?
Ich selbst bin noch unentschlossen in meiner Haltung zu den rasanten Entwicklungen der KIs und der damit verbundenen Zukunftsperspektive. Natürlich finde ich das Feld unglaublich spannend und beeindruckend. Viel eher als die Forschung an Primatenhirnen wird, davon bin ich überzeugt, die Arbeit mit KIs Erkenntnisse über das menschliche Hirn und seine Funktion, über das Bewußtsein, den (un)freien Willen und vielleicht gar das Konzepts des „Ich“ ermöglichen, uralte Menschheitsrätsel also. Ich bin arg neugierig zu sehen, welche Fortschritte diese Systeme in den nächsten Jahren machen werden, wann die erste Maschine den Turing-Test mit fliegenden Fahnen besteht und an Dystopien wie in der Terminator-Reihe oder in I, Robot mag ich nicht recht glauben. Ich frage mich allerdings schon, wie eine Gesellschaft funktionieren würde und wie man soziale Gerechtigkeit aufrechterhalten könnte, wenn immer mehr Tätigkeiten (teils sogar viel besser) von Robotern verrichtet werden können und menschliche Arbeit fast vollständig überflüssig wäre. Und dann gibt es Leute wie Stephen Hawkings und Elon Musk, die offenbar ziemlich besorgt über die Möglichkeit sind, daß KIs sogar das Ende der menschlichen Existenz einläuten könnten.
Wie empfinden die LeserInnen diese Entwicklung? Seht Ihr der Evolution der KIs mit Vorfreude oder Furcht entgegen? Werdet Ihr den ersten Roman, den eine Maschine für Menschen geschrieben hat, lesen? Wie würde wohl Maschinen-Lyrik auf Euch wirken? Komponieren können sie ja schon. Würdet Ihr zu einem Robo-Doc gehen, um Euch medizinisch behandeln zu lassen? (Auch nicht, wenn er sehr viel bessere Behandlungserfolge aufweisen könnte, als sein bester menschlicher Kollege?) Würdet Ihr Eure Eltern von einem Roboter pflegen lassen und würdet Ihr selbst Euch einer solchen Maschine aussetzen? Würden wir Maschinen-Richter (s.u.) haben wollen, die nicht mit Hunger im Bauch strengere Urteile fällen als ihre anfälligen menschlichen Pendants? Und zuletzt: Könntet Ihr Euch vorstellen – eines Tages – eine Beziehung mit einer Maschine einzugehen?
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### UPDATE am 15.11.: Hier haben wir nun schon die erste Evidenz [2], daß Maschinen besser sind als menschliche Richter bei der Entscheidung, ob ein Straffälliger bis zur Verhandlung auf Kaution freigelassen werden sollte oder nicht: in einer Untersuchung von 758000 Fällen konnten die Vorhersagen von Maschinen aufgrund der Vorgeschichte der Straffälligen die Verbrechensrate um 25% senken ohne die Inhaftierungsrate zu erhöhen bzw. die Inhaftierungsrate um 42% senken ohne die Verbrechensrate zu erhöhen. Alle Arten von Verbrechen einschl. Gewaltverbrechen konnten reduziert werden und, sehr wichtig!, die durch Rassismus begründete Disparität bei den Inhaftierungszahlen.
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Referenzen:
[1] Silver, D., Schrittwieser, J., Simonyan, K., Antonoglou, I., Huang, A., Guez, A., … & Chen, Y. (2017). Mastering the game of Go without human knowledge. Nature, 550(7676), 354-359.
[2] Kleinberg, J., Lakkaraju, H., Leskovec, J., Ludwig, J., & Mullainathan, S. (2017). Human decisions and machine predictions (No. w23180). National Bureau of Economic Research.
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