“Wir sind aus Sternenstoff”. Dieses schöne Zitat von Carl Sagan bzw. eine Abwandlung davon griff ich in einem älteren Text auf:
„We are star stuff contemplating star stuff”: Jedes Eisenatom in jedem unserer Erythrozyten, das in diesem Moment lebenswichtigen Sauerstoff transportiert, ist einmal im Herzen eines gewaltigen Sterns entstanden, viel größer als unsere Sonne und beim Tod dieses Sterns in einer riesenhaften Explosion ins kalte Universum geschleudert worden. Jedes unserer Atome stammt aus den äonenalten Fusionsöfen der Galaxis und alles, was existiert, alles, worüber wir nachdenken können, hat dort seinen Ursprung…“
Diese Erkenntnis einer “wahrhaftigen und gottunbedürftigen All-Einheit”, die alle Unterschiede zwischen uns Menschen so trivial erscheinen läßt, empfinde ich als erhaben, demütig stimmend und wunderschön. Umso mehr habe ich mich über eine nahezu romantische Arbeit in Physical Review gefreut [1], in der in trauter Kooperation Bio- und Astrophysiker selbstordnende Strukturen beschreiben, die sie einerseits im Endoplasmatischen Retikulum (ER) und andererseits in Neutronensternen entdeckten und die sich um 14 Größenordnungen unterscheiden aber durch ganz ähnliche geometrische Bedingungen bestimmt sind. Aus diesen Befunden lassen sich Forschungsmodelle erarbeiten, in denen Neutronensterne unter dem Mikroskop untersucht und astrophysikalische Simulationen in der Zellbiologie eingesetzt werden können.
Wie kam es zu der Zusammenarbeit? Einem der Autoren der Studie fiel auf, daß die Neutronenstern-Simulation eines anderen Autoren der Studie sehr stark, ja erstaunlich seiner eigenen Arbeit zur ER-Morphologie ähnelte und die beiden entschlossen sich, zusammenzuarbeiten. Um das fruchtvoll zu tun, mußten sie sich ersteinmal einen Stein von Rosette meißeln, also eine von beiden zu verstehende Terminologie finden, denn Zellbiologen/-physiker und Astrophysiker verwenden völlig unterschiedliche Begriffe für die Gegenstände aber auch Phänomene, mit denen sie sich befassen.
In der äußeren Hülle von Neutronensternen (unterer Rand der inneren Kruste) befindet sich ein hochdichtes Gemisch aus Protonen, Neutronen und Elektronen, die sozusagen gefangen sind zwischen weitreichenden abstoßenden Kräften und nur kürzer reichenden anziehenden Kräften. Der Widerstreit zwischen diesen entgegengerichteten Kräften bewirkt, daß sich die Materie in dichten Regionen zusammendrängt, die von „leeren“ Bereichen umgeben bzw. dadurch voneinander getrennt sind. Diese Strukturen nennt man nukleare Pasta („nuclear pasta“), da sie den Pastaplatten oder -blättern ähneln, die man für Lasagne benutzt. Die Platten sind verbunden durch spiralförmige, rampenartige Verbindungen, die den schrägen Auf-/Abfahrten zwischen den Ebenen in einem Parkhaus ähneln. Huber, einer der Autoren, erkannte in dieser Konfiguration eine verblüffende Ähnlichkeit zu den Membranfalten des (rauhen) ER, die dessen Oberfläche für das Andocken von Ribosomen vergrößern.
Um herauszufinden, ob sich diese Strukturen deshalb so sehr ähneln, weil sie sich beide selbst anordnen (self-assembly) können, simulierten die Forscher die Bewegungen von zufällig verteilten Protonen und Neutronen, um zu berechnen, wie sie sich bewegen und welche Formen sie dabei bilden und visualisierten die Strukturen. Dabei fanden sie, daß viele ihrer Systeme sich tatsächlich spontan und selbständig so anordneten, daß flache Blattstrukturen entstanden, die durch helikale (schraubenartige) Rampen verbunden und durch eine Geometrie gekennzeichnet waren, die der in ERs beobachteten enorm ähnlich ist.
Natürlich gibt es erhebliche Unterschiede zwischen nuklearer Pasta und irdischer Zellbiologie, immerhin haben nur schwarze Löcher eine höhere Dichte als Neutronensterne, deren Schwerefeld ungefähr eine Billion mal stärker ist als das der Erde. Die Zellbiologie funktioniert ja auch nach ganz anderen Regeln, bei denen die Entropie des Wassers und biomolekulare Interaktionen eine wichtige Rolle spielen. Dennoch sind beide Strukturen einer ähnlichen Dynamik unterworfen, die nach gemeinsamen geometrischen Prinzipien funktioniert.
Deshalb wollen die Forscher auch ein Modell für nukleare Pasta anpassen und für die Untersuchung biologischer Systeme nutzen. Für Biophysiker ist es nämlich schwierig, nur auf Grundlage mikroskopischer Beobachtungen Membranen wie im ER zu simulieren und zu untersuchen. Das Pasta-Modell ist deutlich einfacher und erlaubt es, Phänomene wie Selbstanordnung (self-assembly) viel leichter zu untersuchen. Auf der anderen Seite kann man nukleare Pasta auf der Erde nicht herstellen und experimentell untersuchen (ohne sie zu zerstören ;-)), deshalb können die Erkenntnisse aus der Untersuchung von ER-Strukturen als Referenz und als Quelle für Ideen, wonach man suchen und in welche Richtung man forschen sollte, überaus hilfreich sein.
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