Ferner sollte der SVfMB weder der Versuchung noch der auch dringlichen Anfrage des Gerichts nachgeben und ad hoc Aussagen zum Spurenbild auf Aktivitätenebene tätigen. Diese erfordern sehr viel mehr Information und Vorbereitung als z.B. für die einfache Interpretation eines DNA-Profils erforderlich sind. Ein Beispiel: für standardmäßige DNA-Gutachten werden häufig die DNA-Quantifizierungswerte nicht angegeben, weil sie für diese Gutachten nicht erforderlich sind, für eine BAE sind sie hingegen unerlässlich; sie müssen, wenn sie nicht vorliegen, also erst von dem bearbeitenden Labor angefordert werden; außerdem erfordert eine BAE in der Regel eine umfangreiche und zeitintensive Literaturrecherche – das ist spontan an einem Prozesstag nicht zu leisten. Der SVfMB sollte stattdessen das Gericht beraten, ein formales, ausführliches Gutachten auf Aktivitätenebene einzuholen, das nach fachlichen Regeln und Richtlinien (s. Folge 3) erstattet werden sollte; das ist aus fachlicher Sicht dann sogar zwingend erforderlich, wenn mindestens eine der Hypothesen zur Entstehung des Spurenbilds indirekte Übertragung biologischen Materials, also die Einbeziehung von TPPR erfordert. In aller Regel wird das einige Wartezeit und eine spätere erneute Ladung des SVfMB erfordern.

Wenn der SVfMB, und das ist die eindeutig zu bevorzugende Situation, vor Prozessbeginn den Auftrag zur Erstattung einer BAE erhält, weil sich bspw. bereits im Vorfeld andeutet, daß der Kontext der Spurenentstehung im Zentrum des Interesses der Wahrheitsfindung stehen wird, sollte er ebenfalls den Auftraggeber (Gericht oder Verteidigung) beraten und wenn irgend möglich beide streitigen Parteien in einen Abstimmungsprozess involvieren, so daß sichergestellt wird, daß die alternativen Hypothesen, die der SVfMB seiner BAE zugrundelegt, auch wirklich exakt die Positionen der streitigen Parteien abbilden. In dieser Phase kann auch besprochen und abgestimmt werden, welche Hintergrundinformation von beiden Seiten anerkannt wird (z.B. daß der Täter Handschuhe getragen hat) und welche Annahmen der SVfMB für seine Begutachtung treffen kann und muß.

 

Wann eine BAE durchgeführt werden sollte

Eine BAE ist nicht immer hilfreich und sinnvoll durchführbar und wenn ein SVfMB die Anfrage zur Durchführung einer BAE erhält, kann er z.B. mithilfe des folgenden Schaubilds entscheiden, ob eine BAE durchgeführt werden sollte:

 

Die erste Anforderung ist zentral: eine BAE kann nur durchgeführt werden, wenn es mindestens zwei alternative Erklärungen zur Entstehung des Spurenbilds gibt. In der Regel ist die Hypothese der Anklage stets verfügbar (auch wenn nicht explizit ausgeführt) und besagt, daß das Spurenbild eben durch Tatbegehung durch den Angeklagten / Tatverdächtigen entstanden ist, z.B., daß die DNA auf dem Schraubenziehergriff, die ihm zuzuordnen ist, dorthin gelangte, als er mit dem Schraubenzieher ein Fenster aufhebelte.

Die Verteidigung hingegen ist nicht gezwungen, eine alternative Hypothese zu formulieren oder sonstwie bei Bemühungen des SVfMB mitzuwirken. Sie kann sich auf den Standpunkt stellen, lediglich zu sagen, daß der Angklagte die Tat nicht begangen hat, woraus folgt, daß die Spur auf andere Weise entstanden sein muß. An dieser Stelle kann es dennoch möglich/gewünscht (z.B. vom Gericht) sein, daß der SVfMB selbst eine für den Angeklagten möglichst günstige alternative Hypothese, die natürlich mit der verfügbaren Fallinformation kompatibel sein muß, formuliert, die das Spurenbild erklären könnte, um überhaupt eine BAE durchführen zu können. Ist das nicht möglich oder aufgetragen, kann eine BAE nicht durchgeführt werden.

Die zweite Anforderung zielt darauf ab, daß eine BAE mit „unmöglichen“ oder nicht prüfbaren bzw. innerhalb der Vorgaben für eine BAE nicht darstellbaren Hypothesen nicht durchzuführen ist. Wenn z.B. die Hypothese der Verteidigung besagen würde, daß sich die Spuren aufgrund eines Quanteneffekts einfach materialisiert haben, hat der SVfMB keine Möglichkeit, diese Hypothese anhand vorhandener Informationen zu prüfen. Eine BAE ist also nicht sinnvoll.

Die dritte Anforderung beschreibt eine Einschränkung, die ich im ersten Teil der Serie dargestellt hatte:

in einem Fall eines angeklagten Sexualdelikts gibt es von Quellen- und Aktivitätenebene sehr gute Belege, daß zwischen Tatverdächtigem und Geschädigter (Quellen) Geschlechtsverkehr (Aktivität) stattgefunden hat, den jener zunächst geleugnet hat; in Anbetracht der forensisch-molekulargenetischen Gutachten ändert der Tatverdächtige seine Einlassung, räumt den Verkehr ein, erklärt aber, daß dieser einvernehmlich gewesen sein, was die Geschädigte bestreitet. Die vorhandene Evidenz (hierzu würde auch die rechtsmedizinische Untersuchung der Geschädigten zählen) ist sowohl mit dem einen (einvernehmlichen) als auch dem anderen (nicht einvernehmlichen) Szenario kompatibel

Beide Hypothesen (Vergewaltigung vs. einvernehmlicher GV) würden das Spurenbild gleich gut erklären, die forensischen Befunde können zwischen den Szenarien nicht unterscheiden, eine BAE ist nicht sinnvoll durchführbar.

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