Eine Forsa-Umfrage zeigt, dass bereits eingetreten ist, was viele Kritiker der seit Jahresbeginn geltenden Vorratsdatenspeicherung schon von Anfang an befürchtet haben. Das Wissen um die Protokollierung der Telekommunikationsdaten verändert die Kommunikationsgewohnheiten der Deutschen – und zwar äußerst deutlich und auf dramatische Art und Weise.

Die Vorratsdatenspeicherung ist bekanntlich eine wichtige Waffe im Kampf gegen den Terrorismus, auch wenn selbst Verfechter des Gesetzes wie SPD-Urgestein Dr. Dieter Wiefelspütz das anders sehen (“Vorratsdatenspeicherung hat mit Terrorismusbekämpfung relativ wenig zu tun. Ich wäre für die Vorratsdatenspeicherung auch dann, wenn es überhaupt keinen Terrorismus gäbe.”).

Nach nunmehr fast einem halben Jahr gibt es nun erste ‘Erfolge’ zu vermelden: Laut einer bevölkerungsrepräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts FORSA würden ganze 52 Prozent der Bevölkerung aufgrund der Vorratsdatenspeicherung keinen Psychotherapeuthen, Suchtberater oder gar Eheberater mehr per Telefon oder E-Mail kontaktieren – zu groß ist die Angst vor einem späteren Mißbrauch der gespeicherten Verbindungsdaten. Für manchen Politiker sicher eine Überraschung, denn wer hätte jemals vermutet, dass Menschen ihr Verhalten ändern, wenn sie sich beobachtet fühlen?

Aber wer muss schon einen Psychotherapeuten, einen Suchtberater oder gar einen Eheberater telefonisch oder per E-Mail erreichen? Das können doch maximal Menschen mit Problemen sein, die aus irgendwelchen Gründen nicht persönlich bei einer lokalen Beratungsstelle vorsprechen können. Wenn diese Option jetzt also für 52 Prozent der Bevölkerung nicht mehr vorstellbar ist – was kann da schon schlimmstenfalls passieren? Eben. Und deshalb wird demnächst nochmal einer draufgesetzt: Online-Durchsuchungen, akustische und optische Wohnraumüberwachung (sprich: Kameras und Wanzen in der Wohnung), Telefonüberwachung, Rasterfahndung und vereinfachter Einsatz von V-Leuten.

Die maximale Sicherheit ist vermutlich dann erreicht, wenn keiner es mehr wagt überhaupt noch Hand an ein Telefon und/oder einen Computer zu legen….

Kommentare (11)

  1. #1 Andy
    4. Juni 2008

    Wie sinnvoll ist es, wenn es keiner mehr wagt Telefon oder Computer zu nutzen?

  2. #2 Christian Reinboth
    4. Juni 2008

    @Andy: Das frage ich mich allerdings auch! Scheinbar legen es einige Politiker aber genau darauf an – anders kann ich mir die ständige Ausweitung der Online-Überwachung jedenfalls nicht erklären. Terroristen fängt man damit auf jeden Fall keine….

  3. #3 knorke
    5. Juni 2008

    Ich würde gerne mal sehen, wie das gefragt wurde.
    Der Nein-Antwort nach zu urteilen “nein, es würden dies wegen der Verbindungsdatenspeicherung lieber unterlassen” hat man hinsichtlich der Formulierung ja alles getan, um dem ganzen einen entsprechend hohen Aufforderungcharakter zu verschaffen: Erst wird gefragt, ob man das überhaupt wisse, dann werden die meisten gefragt, ob sie deshalb weniger Kontakt per Handy etc. aufnehmen und zur allgemeinen Begeisterung werden jetzt “sensible Bereiche” aufgemacht.
    Dabei ist überhaupt nicht klar, wie die Frage verstanden wird. Wer sagt denn, dass der Nachsatz “wegen der Verbindungsdatenspeicherung” vom Befragten überhaupt so interpretiert wurde? Die meisten haben wahrscheinlich weder mit Sucht- noch mit Eheberatern überhaupt bisher zu tun gehabt. Warum sollten sie also überhaupt Kontakt aufnehmen.
    Ist nicht eher zu vermuten, dass die meisten, die sich dergestalt äußern, damit einfach nur ihre grundsätzliche Skepsis ausdrücken wollen? Ein Hinweis darauf bietet die letzte gestellte Frage, in der 46 Prozent angaben: “die Speicherung ist ein unverhältnismäßiger und unnötiger Eingriff in die eigenen Freiheitsrechte”.

    Kurz: Ich halte es für nicht unwahrscheinlich, dass hier nur scheinbar eine tatsächliche Verhaltensänderung protokolliert wird. Wahrscheinlich ist es eher ein Mix aus Fragenmißverständis und grunsätzlicher Skepsis.

    Ich habe eben mal eine (zugegebenermaßen aber nicht sehr intensive) Suche nach einer entsprechenden Forsa Umfrage älteren Datums gemacht, bin aber nicht fündig geworden. Der Vergleich von damals zu heute hätte meine Vermutung erhärten oder auch widerlegen können, aber dem aktuellen Befund glaube ich – was die Interpretation angeht – nicht sehr weit.

  4. #4 Christian Reinboth
    5. Juni 2008

    @knorke: Die Frage, ob den Probanden die Vorratsdatenspeicherung bekannt ist, wurde meines Wissens nach bereits im Vorfeld gestellt, d.h. scheint mir ein solcher Effekt eher unwahrscheinlich zu sein. Sinnvollerweise müsste man nun eigentlich noch eine Befragung in Ehe- und Suchtberatungsstellen durchführen um festzustellen, ob die Zahl der Anrufe tatsächlich nachgelassen hat – erst dann könnte man vermutlich belastbare Ergebnisse liefern. Abgesehen davon gehört FORSA mit Sicherheit zu den professionellsten Meinungsforschungsinsituten, so dass ich ihnen (ohne die Fragen konkret gesehen zu haben) derartige Fehler im Erhebungsdesign wirklich nicht zutraue…

  5. #5 knorke
    6. Juni 2008

    @ Christian: Das ist richtig. So wie die Ergebnisdarstellung aufbereit wird, wurde zuerst gefragt, wem das bekannt ist. In der folgenden Frage waren dann ja auch nur die berücksichtigt, die dies angegeben hatten (war die Frage, ob das telefonierverhalten sich dadurch geändert habe).
    Dann waren aber wieder alle 100 die Basis.

    Mein Problem ist aber auch gar nicht, ob die Leute den Sachverhalt kannten oder nicht, mein Problem ist, dass der Verlauf der Befragung – sogar die Art der Antwort – bereits suggerierte, dass das Vorratsdatenspeicherung was Negatives sein müsse. Damit werden negative Bedeutungsinhalte voraktiviert – das ist ein klassischer Reihenfolgeeffekt. Die Tendenz, sich danach negativ zu äußern wird dadurch deutlich gefördert. (gabs mal’n nettes Experiment von Hyman & Sheatsley, 1950). Wenn ich von vornherein alles in positives Licht gerückt hätte, wäre der Effekt definitv schwächer ausgefallen.

    Schlimmer: Und dann kommt eben doch noch dazu, dass die Information, wie groß der Anteil der Bevölkerung bei den gleichen Fragen vor einem Jahr war – bzw. gewesen wäre – unberücksichtigt ist. Vielleicht gibt es den, der würde Licht in die Sache bringen. Aber sinnvoll interpretieren lässt sich die Antwort auf die Frage nur, wenn man das berücksichtigt. Dadurch ließe sich nämlich herausfinden, ob das Verhalten sich wirklich verändert hat. Eine reine Status Quo Abfrage ist da fehlerbehaftet (selektive Wahrnehmung, soziale Erwünschtheit, falsche Interpretation der Frage, fehlerhaftes Erinnern, Befragungskontext).

    Der Auftrag ist übrigens der “Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung”, deren Website legt den Eindruck nahe, dass eine gewisse Interessenlage vorhanden ist, solche Ergebnisse zu erhalten. Damit will ich nicht sagen, dass die das Ergebnis gefaked haben (bzw. haben wollten) – das sicher nicht – aber dass methodische Bedenken einem nicht kommen, wenn einem die Ergebnisse in den Kram passen könnte ich mir schon vorstellen. Und im Endeffekt mussten die ja bei Forsa auch sicher ihre Fragestellungen formulieren.

    Übrigens: Ich habe keinen Zweifel, dass eine Großteil der Deutschen gegen die Vorratsspeicherung ist. Das bin ich auch. Das lese ich auch aus dem bericht raus. Ich glaube dem bericht aber bis ich was anderes seheh NICHT, dass plötzlich die der Bürger, per E-Mail oder Telefon sensible Kontakte zu knüpfen drastisch gesunken ist.

    Deine Lösungsmöglichkeit, einfach bei den entsprechenden Stellen nachzufragen wäre eine Möglichkeit, das zu prüfen. Allerdings weiß ich nicht, ob die valides Datenmaterial haben.

  6. #6 Marc | Wissenswerkstatt
    11. Juni 2008

    Ich sehe die Sache ganz ähnlich wie “knorke”. In meinen Augen ist die Umfrage und v.a. deren Darstellung absolut unseriös. Denn in den Medien wurde fast einstimmig berichtet, daß sich die Nutzung von Telefon, Handy etc. “verändert” (!) habe – das kann durch diese einmalige Erhebung niemals festgestellt werden.

    Außerdem ließ die Fragestellung ohnehin jedes demoskopische Feingefühl vermissen. Wörtlich wurde gefragt:

    “Wenn Sie den Rat einer Eheberatungsstelle, eines Psychotherapeuten oder einer Drogenberatungsstelle benötigten, würden Sie Kontakt über Telefon, Handy oder per E-Mail aufnehmen oder würden Sie dies wegen der Verbindungsdatenspeicherung lieber unterlassen und dort persönlich vorsprechen?”.

    Schon seltsam, daß bei einer solchen Frage ein nennenswerter Teil der Interviewten sich als “sensibel” outete und die Angabe machte, auf das Telefon verzichten zu wollen. Der zweite Halbsatz ist einfach vollkommender Blödsinn, wenn es mir um eine halbwegs seriöse Analyse geht. Solche Topics muß man anders abfragen…

  7. #7 L. Carone
    11. Juni 2008

    Forsa? Oh kommt Leute! Die von Forsa beweisen immer wieder, dass sie nie was vom Versuchsleitereffekt und Suggestivfragen gehört haben. Oder es einfach mal geflissentlich vergessen.

    Dass man mit der Formulierung der Frage ganz erheblich die Art der Antworten beeinflussen kann, ist doch ein alter Hut. Dass außerdem ein ganz großer Unterschied besteht, zwischen dem, was man sagt und dem, was man dann tatsächlich tut, das ist übrigens auch schon längst bekannt.

    Deswegen gehen bei mir immer die Warnlämpchen an, wenn ich höre – aufgrund dieser und jener Umfrage – wurde xyz rausgefunden. Nur allzuoft findet man nur folgendes heraus. Wie wunderbar die Befragten sich durch die Fragesteller manipulieren lassen.

    Es gibt auch seriöse und gute Umfragen, aber die sind aufwendig, langwierig und kosten mehr Geld, als einfach mal tausend Leute aus dem Telefonbuch zu suchen und denen eine einzige Frage zu stellen. Für manche Zwecke mag das sogar ausreichen. In diesem speziellen Fall aber ganz sicherlich nicht.

  8. #8 knorke
    12. Juni 2008

    @ L.Carone
    Schreib doch mal ‘ne Email an Forsa: “Sie haben doch bestimmt auch schon vom Versuchsleitereffekt und Suggestivfragen gehört – ODER?!” Dann haben wir endlich belastbare Beweise YAK YAK YAK YAK 😀

  9. #9 L. Carone
    12. Juni 2008

    @knorke: Hmm, ja. Vielleicht war ich da auch einfach zu harsch. Man muss bedenken, dass FORSA auch ein Dienstleistungsunternehmen ist. Und wie heißt es so schön? Wes Brot ich ess, des Lied ich sing!

    Wahrscheinlich können und wissen es die Leute bei FORSA auch besser. Aber letztendlich bestimmt der Kunde, wo es langgeht. Man schaue sich mal die Dienstleistungsbeschreibung auf deren Seite an (1500 Euro pro Frage Minimum? Da darf man schon was verlangen. Nicht wahr ;-)).

    Dann darf man sich nicht wirklich wundern, wenn bei den Profis von der FORSA sowas rauskommt:
    Wie z.B. bei dieser wunderbare Frage im Auftrag des Stern nach dem Eva Herman-Eklat: „Auf die Frage, ob der Nationalsozialismus auch gute Seiten gehabt habe, wie etwa den Bau der Autobahnen oder die Förderung der Familie, antworteten 25 Prozent der Befragten mit ja.“

    https://www.stern.de/politik/deutschland/600274.html?q=umfrage

    Na, wenn man natürlich die “guten” Beispiele ohne Kritik mal eben so nachschickt, dann muss man sich nicht wundern, wenn das Ergebnis “so hoch” ausfällt. Oder?

  10. #10 Christian Reinboth
    16. Juni 2008

    Sehe ich das richtig – ihr seid euch alle einig, dass FORSA die Ergebnisse von Befragungen grundsätzlich im Sinne der Auftraggeber verbiegt? 🙂 Und ich dachte schon, ich würde negative Vorurteile bezüglich der Marktforschungsbranche mit mir herumtragen….

    Um das mal zurechtzurücken: Die Fragestellung ist tendenziös, ich würde jedoch noch nicht soweit gehen, das ganze als Suggestivfrage zu brandmarken, denn schließlich wird die Vorratsdatenspeicherung nur erwähnt. Eine anständige Suggestivefrage hätte dagegen ganz klar die Konsequenzen der VDS stärker betont, also z.B. so:

    “Wäre das Risiko, dass VDS-gespeicherte Daten von unberechtigten Dritten eingesehen werden könnten Grund genug für Sie, auf eine telefonische Drogenberatung zu verzichten?”

    Oder noch besser:

    “Würde Sie das Wissen, dass Ihre Telefondaten möglicherweise von Dritten eingesehen oder in Umlauf gebracht werden könnten, von einem Anruf z.B. bei einem Drogen- oder Eheberater abhalten?”

    So, meine sehr verehrten Damen und Herren, sieht doch eine echte Suggestivfrage aus. In der FORSA-Frage wird lediglich das Wort “Vorratsdatenspeicherung” erwähnt – das reicht meines Erachtens noch nicht aus, um die ganze Befragung zu verwerfen, denn schließlich war es ja Ziel der Befragung zu ermitteln, ob die Probanden vor dem Hintergrund der VDS ihre Nutzung von TK-Diensten eventuell einschränken. Die Erwähnung des Begriffs halte ich in diesem Zusammenhang daher für legitim, auch wenn man es geschickter hätte anstellen können.

    Mich persönlich würde es übrigens nicht wundern, wenn die Nutzung von “sensiblen” TK-Diensten wirklich zurückgehen würde – aber um das herauszufinden müsste man, wie oben schon geschrieben, am anderen Ende (nämlich beim Dienstleister) ansetzen.

  11. #11 Marc Scheloske
    16. Juni 2008

    Hallo Christian,

    also ich halte das (ebenso wie Du) noch nicht für eine Suggestivfrage wie aus dem Bilderbuch, aber sie ist zumindest tendenziös und wir brauchen hoffentlich nicht darüber streiten, ob die Fragestellung nun eine grobe oder nur eine mindere Verzerrung darstellt.

    Die Tatsache, daß man es noch schlimmer (=schlechter) hätte machen können, rettet die Sache ja nicht. 😉

    Ich bleibe bei meiner Darstellung:

    Außerdem ließ die Fragestellung ohnehin jedes demoskopische Feingefühl vermissen…

    Ansonsten bin ich nicht (!) der Meinung, daß Forsa, Infratest und Co. ihre Befragungen bzw. deren Ergebnisse grundsätzlich der Erwartung der Auftraggeber anpassen. Aber es lohnt sich durchaus ein kritischer Blick darauf, was, mit welchen methoden untersucht wurde – nicht selten fördert man haarsträubenden Quark zu Tage.

    Die obige kleine Befragung ist jedenfalls meines Erachtens unbrauchbar.