Das bekannte Universitätsklinikum überrascht diese Woche mit einem Novum und beruft die Epidemiologin Claudia Witt auf den ersten Lehrstuhl für “alternative Medizin”. Ihre zukünftigen Forschungsschwerpunkte lauten Homöopathie, Akupunktur und Quigong.
Als Nicht-Mediziner kann zu dieser Entscheidung der Charité relativ wenig sagen. Von den Medizinern in meinem Bekanntenkreis weiß ich, dass diese gerade die Homöopathie mehr oder weniger für eine Pseudowissenschaft mit positiven Placebo-Effekten halten. Die Kosten für Quigong-Kurse – eine Art autogenes Training aus China – werden dagegen sogar von der AOK übernommen – auch wenn sich die Erläuterungen auf der AOK-Webseite ein wenig mystisch anhören:
Krankheiten sind in der TCM Ausdruck einer Störung im Fluss von Qi. Daher ist es nach diesen Vorstellungen möglich, durch ein gezieltes Lenken seiner Körperenergie gegen Krankheiten vorgehen. Durch die Qigong-Übungen soll also das Qi in die “richtigen Bahnen” geleitet werden. Vor allem bei chronischen Krankheiten wie Bluthochdruck, Magen-Darm-Beschwerden, Asthma oder Rückenschmerzen kann ein Versuch mit Qigong nützlich sein.
Nun, wenn die AOK das so sieht, wird es schon stimmen. Aber zurück zur Charité. Prinzipiell würde ich ja hoffen, dass die neue Professur auch dazu beitragen könnte, unwirksame alternative Heilmethoden zu identifizieren und so ggf. zur Aufklärung der Öffentlichkeit über den Sinn und Unsinn bestimmter Methoden beizutragen. Glaubt man aber der Berliner Zeitung, dann brauche ich mir solche Hoffnungen nicht zu machen, denn die Marschrichtung scheint klar vorgegeben zu sein:
Die Wirksamkeit etwa von homöopathischen Mitteln lässt sich bislang nur schwer nach den strengen Kriterien beurteilen, die bei klassischen Therapien üblich sind. Daher herrscht vor allem an den Unikliniken immer noch große Skepsis gegenüber den neuen Methoden. Die Berufung Witts soll dazu beitragen, dass sich das bald ändert.
Das klingt zunächst einmal äußerst ergebnisorientiert und wenig neutral – da kann man nur hoffen, dass der offensichtliche Bias in der Zielsetzung auf den Schreiber des Artikels und nicht auf die tatsächliche Zielvorgabe der Charité zurückzuführen ist. Denn leider ist auch die Finanzierung der Professur alles andere als neutral:
Finanziert wird die Professur von der Carstens-Stiftung, die der ehemalige Bundespräsident Karl Carstens Anfang der Achtzigerjahre zur Förderung von Naturheilkunde und Homöopathie ins Leben gerufen hatte.
Eine Stiftung für die Förderung von Naturheilkunde und Homöopathie finanziert also die erste deutsche Professur für “alternative Heilmethoden” – und das mit dem ausdrücklichen Ziel, die Skepsis gegenüber besagten Alternativmethoden aufzuweichen. Um das zu erkennen, reicht im übrigen schon ein Blick auf die Webseite der Carstens-Stiftung:
Die Karl und Veronica Carstens-Stiftung fördert die wissenschaftliche Durchdringung von Naturheilkunde und Homöopathie sowie den wissenschaftlichen und ärztlichen Nachwuchs; das langfristige Ziel ist die Integration der Komplementärmedizin in Forschung und Lehre der Hochschulmedizin.
Schaubild aus der Wikipedia: Kriterien bei der homöopathischen Mittelauswahl
Ich persönlich habe überhaupt nichts gegen alternative Heilmethoden und traditionelle chinesische Medizin einzuwenden – aber dieser Artikel aus der Berliner Zeitung hat mir doch ein wenig zu denken gegeben. Was wäre denn, wenn demnächst die Malboro-Stiftung eine Professur zur Erforschung “alternativer Krebstheorien” finanzieren würde? Der Vergleich ist sicher inhaltlich unangebracht – aber in der Sache doch nicht vollkommen verkehrt, denn eine Zielvorgabe scheint ja durchaus zu existieren.
Es würde mich brennend interessieren, wie die mitlesenden Mediziner das sehen!
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