Gibt es einen besseren Weg, um das neue Blogjahr einzuleiten, als Bilder vom familiären Neujahrsspaziergang zu posten? Ich denke nicht – vor allem, wenn es neben der Natur auch noch Quellungshöhlen zu sehen gab – eine weltweit äußerst seltene geologische Formation.

Einen Teil meiner Jugendjahre habe ich im kleinen Klosterort Walkenried im Südharz verbracht, wo ich von meinem Vater regelmäßig zu Ausflügen in die umliegenden Harzer Wälder genötigt wurde. Solche Wanderungen sorgten damals bei mir nicht immer für Begeisterungsstürme, dienten sie doch hauptsächlich dazu, mich vom Bildschirm meines 486ers loszueisen. Mit dem Alter ändern sich jedoch die Vorlieben, so dass ich mich dem diesjährigen familiären Neujahrsspaziergang nicht verweigert habe. Und da auch das Ausschau-halten nach neuen Themen für den „Frischen Wind” inzwischen zu einer festen Angewohnheit geworden ist, kam mir auf dem Weg der Gedanke, dass die Harzer Gips-Quellungshöhlen ein gutes Thema für den ersten Post des Jahres sein könnten.

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Gips-Quellungshöhlen sind so selten, dass sie nicht einmal in der Wikipedia auftauchen – allein das macht sie schon interessant. Tatsächlich existieren nennenswerte Vorkommen von Quellungshöhlen nur im Harz und in den US-Bundesstaaten New Mexico und Okahoma sowie auch in Kanada („gypsum bubbles”). Sogar via Google Scholar finden sich nur zwei Publikationen, in denen der Begriff vorkommt (Calaforra & Pulido-Bosch: Genesis and Evolution of Gypsum Tumuli, Earth Surface Processes and Landforms, 1999 und Beish & Wefer: The Shape of Gypsum Bubbles, 8th International Congress on Speleology, 1981).

Was aber sind Gips-Quellungshöhlen – und wie entstehen sie?

Quellungshöhlen entstehen, wenn Anhydrit – ein wasserfreies Sulfat – sich durch die allmähliche Einlagerung von Wasser in Gips verwandelt. Die Vergipsung ist mit einer Volumenzunahme von bis zu 17% verbunden, d.h. das sich bildende Gips nimmt mehr Raum ein als das Anhydrit, aus dem es entsteht. Unter bestimmten Bedingungen (seitlicher Druck, sohlige Lagerung, geringe Klüftung) kann es passieren, dass die aufquellende Gipsschicht nach oben ausweicht. Es entsteht ein blasenartiger Hohlraum – eine Gips-Quellungshöhle bzw. „Quellkuppe”, wie die Geoden gelegentlich bezeichnet werden. In Walkenried hat sich – aus naheliegenden Gründen – darüber hinaus die Bezeichnung „Zwergenloch” etabliert.

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Das Spannende an der Entstehung solcher Quellungshöhlen ist, dass man sie quasi „live” beobachten kann. Während viele geologische Prozesse in Dimensionen ablaufen, die sich der menschlichen Vorstellungskraft (zumindest meiner) entziehen, können sich Quellungshöhlen durchaus innerhalb von Jahrzehnten verändern. Die beiden Geologen Matthias Reimann und Firouz Vladi, die etliche Studien der Harzer Karstlandschaft publiziert haben, geben für diese Veränderungen eine Geschwindigkeit von einigen Milimetern im Jahr an. So hat sich beispielsweise die Basis der „Zwergenkirche” – einer der größeren Quellungshöhlen bei Walkenried – ihren Messungen zufolge zwischen 1999 und 2002 um 7mm verengt.

Wie viel Kraft in diesem Prozess steckt, erkennt man an Stellen, an denen ganze Bäume mitsamt der Wurzeln von der Gips-Anhydrit-Decke nach oben gedrückt werden. Es gibt da im Südharz eindrucksvollere Höhlen, als die unten abgebildete, leider habe ich im Moment aber kein besseres Foto (das wird dann erst beim nächsten Spaziergang nachgereicht).

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Die vergleichsweise „schnelle” Entwicklung führt dazu, dass die Veränderungen über kurze Zeit deutlich in Erscheinung treten, insbesondere dann, wenn die Höhle ihr „natürliches Ende” erreicht, d.h. der Hohlraum nach oben aufbricht und irgendwann einstürzt. Dieses Foto zeigt eine Quellungshöhle, die bereits deutliche Anzeichen des Zusammenbruchs zeigt – die obere Decke ist teilweise eingebrochen und Licht fällt von oben in den Hohlraum ein.

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Einige Quellungshöhlen werden so groß, dass man sie betreten kann, die meisten bleiben jedoch eher bescheidene Bodenlöcher. Die folgende Skizze meines Ur-Großvaters, der sich als leidenschaftlicher Harz-Maler betätigte, zeigt beispielsweise die „Waldschmiede” bei Walkenried irgendwann in den1950er Jahren:

Zeichnung Waldschmiede.gif

(Kleine Korrektur nach Hinweis aus berufenem Munde: Die Zeichnung zeigt vermutlich doch nicht die “Waldschmiede”, sondern die ebenfalls breits eingestürzte “Zwergenkirche” auf dem Sachsenstein.)

Diese Quellungshöhle ist inzwischen eingestürzt, heute sieht die Stelle so aus:

Foto Waldschmiede.jpg

Ich kann mich gut daran erinnern, in jüngeren Jahren (Anfang der 90er) noch im Hohlraum gestanden zu haben – allerdings nicht in dem der Original-Quellungshöhle, die bereits in den 60er Jahren eingestürzt ist, sondern in einem unsinnigerweise „restaurierten” Hohlraum, der inzwischen – wie man am Bild erkennen kann – ebenfalls einen Einbruch erlitten hat.

Es ist auf jeden Fall eine geologische Besonderheit, die man da im Walkenrieder Wald zu sehen bekommt. Nicht dass die Harzer Natur- und Karstlandschaft ansonsten keinen Besuch wert wären, ganz im Gegenteil. Vielleicht sollte ich 2009 ernsthaft versuchen, öfter mal vor die Tür zu kommen. Das wäre mal ein Vorsatz, der es wert wäre, eingehalten zu werden…


Weiterführende Quellen:

Reinboth, Fritz: Die Zwergenlöcher bei Walkenried im Südharz – Bemerkungen zur Frage der Quellungshöhlen, in: Zeitschrift für Karst- und Höhlenkunde, Heft 1 / 97, Wien, 1997. (Ja, da besteht ein Verwandtschaftsverhältnis…)

Reimann, Matthias & Vladi, Firouz: Zur Entwicklung der sog. Zwergenkirche am Sachsenstein bei Walkenried, Landkreis Osterode am Harz, Niedersachsen und vergleichende Beobachtungen zur rezenten Entstehung von Quellungshöhlen in einem aufgelassenen Gipssteinbruch bei Dingwall, Nova Scotia, Kanada, in: Mitteilungen des Verbandes der Höhlen- und Karstforscher, Ausgabe 49 (3), München, 2003.

Bebilderter Bericht von Wolfgang Rainer Kunzmann von der Höhlengruppe Nord e.V. (HGN) über die Quellungshöhlen zwischen Walkenried und Bad Sachsa: https://www.hgnord.de/artikel/zwergen_06.html

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Die Harzer Natur: Blick vom Röseberg in Richtung Bad Sachsa im Südharz

Kommentare (1)

  1. #1 Kat
    7. Januar 2009

    Sehr cool und quasi gleich vor der Haustür.