Heute komme ich endlich dazu, den zweiten Teil der versprochenen Wahlprogramm-Vergleiche zu posten: Wie positionieren sich die Parteien zum Atomausstieg?

Das Thema Atomkraft hat im Wahlkampf der letzten Wochen – zumindest gefühlt – stark an Bedeutung zugenommen. Erst gestern sorgten diverse Medienberichte über ein Gutachten zum Thema Energieforschung im Auftrag von Bundesforschungsministerin Schavan für viel Wirbel, in dem angeblich der Neubau von AKW empfohlen wird. Die Ministerin dementierte diese Darstellungsweise inzwischen und verwies auf das Wahlprogramm der Union, in dem sich ein klares Nein zum Bau neuer Kernkraftwerke findet.

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Kernkraftwerk Grohnde, Foto von Heinz-Josef Lücking (via Wikipedia)

Nun kursiert zwar seit gestern eine vermeintliche Kopie des Berichts durchs Netz, da die Authentizität des Dokuments aber (verständlicherweise) nicht bestätigt ist und es zudem einen Sperrvermerk trägt, werde ich (vorerst) auf eine Besprechung verzichten. Statt dessen habe ich mal in den Wahlprogrammen der Parteien recherchiert, wie sie sich zur Bundestagswahl zum Thema Atomausstieg positionieren. Wie schon im letzten Beitrag zur Forschungspolitik bemühe ich mich dabei um inhaltliche Neutralität und freue mich dafür umso mehr über lebhafte inhaltliche Diskussionen in den Kommentaren.

Christlich-Demokratische Union (CDU)
Christlich-Soziale Union (CSU)

  • Kein Neubau von Kernkraftwerken
  • Kernenergie gehört (noch) zu einem ausgewogenen Energiemix
  • Laufzeitverlängerung für diejenigen deutschen AKWs, die als sicher gelten
  • Sofortige Aufhebung des Moratoriums zur Erkundung des Standorts Gorleben
  • Investition des Gewinns aus der Laufzeitverlängerung in erneuerbare Energien
  • Kernenergie als reine Brückentechnologie bis bessere Alternativen verfügbar sind

Money Quote:

Wir verstehen den Beitrag der Kernenergie zur Stromversorgung als Brückentechnologie, weil heute klimafreundliche und kostengünstige Alternativen noch nicht in ausreichendem Maße verfügbar sind. Daher streben wir eine Laufzeitverlängerung der sicheren deutschen Anlagen an. Einen Neubau von Kernkraftwerken lehnen wir ab.

Bemerkenswert an dieser Aussage finde ich vor allem (um mir doch noch einen kleinen inhaltlichen Kommentar zu erlauben), dass damit im Wahlprogramm der Union explizit festgeschrieben wird, dass die Kernenergie nicht zu den klimafreundlichen Technologien gehört. Weniger gelungen finde ich dagegen die Formulierung “sichere Kernkraftwerke”, die sich auch im FDP-Programm findet. Da keine Kriterien benannt werden bleibt unklar, wie zwischen sicheren Kraftwerken (die eine Laufzeitverlängerung erhalten) und unsicheren Kraftwerken (die früher stillgelegt werden) unterschieden werden soll.

https://cdu.de/doc/pdfc/090628-beschluss-regierungsprogramm-cducsu.pdf

Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

  • Vollständiger Ausstieg aus der Atomkraft bis 2021
  • Bis zum Ausstieg Pflicht zur sicherheitstechnischen Nachrüstung
  • Keine politische Vorentscheidung für den Endlager-Standort Gorleben
  • Beteiligung der Atomwirtschaft an der Sanierung von Asse II und Morsleben
  • Neues Auswahlverfahren zur Auffindung eines alternativen Endlager-Standorts

Money Quote:

Die Nutzung der Atomenergie birgt zu große Risiken. Nicht zuletzt ist die Frage der Endlagerung des Atommülls bis heute ungelöst. Der im Atomgesetz geregelte Ausstieg wird durchgesetzt. Wir steigen bis 2021 komplett aus der Atomenergie aus.

https://www.spd.de/de/pdf/parteiprogramme/Regierungsprogramm2009_LF_navi.pdf&title=&lnkname=material–/de/pdf/parteiprogramme/Regierungsprogramm2009_LF_navi.pdf

Freie Demokratische Partei (FDP)

  • Laufzeiten sicherer Kernkraftwerke müssen verlängert werden
  • Höchstmöglicher Sicherheit der deutschen AKWs gewährleisten
  • Ausstieg aus der Kernenergie ist ökonomisch wie ökologisch falsch
  • Sofortige Aufhebung des Moratoriums zur Erkundung des Standorts Gorleben
  • Abführung von Teilen des Gewinns der Atomwirtschaft in die Energieforschung

Money Quote:

Der Ausstieg aus der Kernenergie ist zum jetzigen Zeitpunkt ökonomisch und ökologisch falsch. Wir brauchen die Kernenergie als Übergangstechnologie, bis erneuerbare Energien in ausreichendem Umfang grundlastfähigen Strom erzeugen können oder die CO2-Abscheidung und -Einlagerung für Kohlekraft- werke im großtechnischen Maßstab zur Verfügung steht. Die Laufzeiten sicherer Kernkraftwerke müssen daher in diesem Sinne verlängert werden.

https://www.deutschlandprogramm.de/files/653/Deutschlandprogramm09_Endfassung.PDF

Bündnis 90 / Die Grünen

  • Keine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke
  • Fortsetzung des Atomausstiegs ohne Änderungen
  • Sofortige Abschaltung aller AKW bei Anschlagsgefahr
  • Abschaffung aller Subventionen für die Atomwirtschaft
  • Einberufung eines Untersuchungsausschusses zur Asse II
  • Ergebnisoffene Suche nach einer geeigneten Endlagerstätte
  • Aufhebung der Haftpflichtbegrenzung für Kraftwerksbetreiber
  • Überführung der betrieblichen Rückstellungen in einen öffentlichen Fonds
  • Beteiligung der Atomwirtschaft an der Entsorgung über eine Brennelementesteuer

Money Quote:

Der Atomausstieg ist nur gesichert, wenn die Grünen in der nächsten Regierung vertreten sind. Wir setzen den Atomausstieg ohne Wenn und Aber fort. Nach dem Atomausstiegsgesetz werden in der kommenden Legislaturperiode bis zu sieben
Atomkraftwerke abgeschaltet. Alte, besonders riskante Meiler wollen wir vorzeitig vom Netz nehmen.

https://www.gruene-partei.de/cms/files/dokbin/295/295495.wahlprogramm_komplett_2009.pdf

Die Linke

  • Verbot für den Export von Atomtechnik
  • Überführung der Energiekonzerne in öffentliches Eigentum
  • Sofortige und unumkehrbare Stillegung aller Atomkraftwerke
  • Aussetzung aller Atommülltransporte bis zur Lösung des Endlagerproblems

Money Quote:

Der rot-grüne Atomkonsens von 2000 ist Nonsens, denn die garantierten Restlaufzeiten dienen zuallererst den Profitinteressen der Atomindustrie. […] DIE LINKE fordert darum die unverzügliche und unumkehrbare Stilllegung aller Atomanlagen sowie ein Verbot für den Export von Atomtechnik.

Hier kann ich mir eine kurze Anmerkung nicht verkneifen. Selbst wer den Atomausstieg – wie ich – befürwortet dürfte wissen, dass eine sofortige Abschaltung aller Kraftwerke in der Tat nicht umsetzbar wäre – von der Überführung ausländischer Unternehmen wie Vattenfall in deutsches Staatseigentum ganz abgesehen. Auch die Forderung nach einer Aussetzung der Transporte scheint mir hanebüchen – immerhin kann es durchaus noch Jahrzehnte dauern, bis das Endlagerproblem einigermaßen sicher gelöst ist…

https://die-linke.de/fileadmin/download/wahlen/pdf/485516_LinkePV_LWP_BTW09.pdf

Soweit die Standpunkte der im aktuellen und vermutlich auch nächsten Bundestag vertretenen Parteien. In die Programme der kleineren Parteien habe ich wie schon beim letzten Mal auch einen Blick geworfen, allein schon um mir von den Piraten keine Vorwürfe machen lassen zu müssen. Mit denen steige ich dann auch gleich ein…

Piratenpartei

Ich gebe zu, das war polemisch. Tatsächlich findet sich aber im Piraten-Wahlprogramm keine Aussage zur Kernenergie (oder überhaupt zur Energiepolitik). Anfangs fand ich es ja durchaus bewundernswert, dass die Piraten darauf bestanden haben, sich zu Fragen, die außerhalb ihrer Kernkompetenz liegen, nicht äußern zu wollen. Da sie nun aber mittlerweile in Stadträten vertreten sind, bei der Europawahl gut abgeschnitten haben und für den Bundestag antreten kann man ihnen nur raten: Sucht euch Experten. Mal abgesehen davon, dass ich Jens Seipenbusch als Physiker durchaus eine Meinung zur Thema zutraue…

https://www.piratenpartei.de/tmp/Wahlprogramm_Bundestagswahl2009.pdf

Ökologisch-demokratische Partei (ödp)

  • Verbot für den Export von Atomtechnik
  • Streichung aller Subventionen für die Atomwirtschaft
  • Unverzüglicher, weltweiter Ausstieg aus der Atomenergie
  • Bezugsverbot ausländischen Atomstroms für deutsche Versorger

Auf ein Zitat aus dem Programm verzichte ich. Die ödp ist tatsächlich die einzige Partei, die ein geschützes Wahlprogramm ins Internet gestellt hat – vermutlich um es allen an der Verbreitung ihres Programms Interessierten so schwer wie möglich zu machen…

https://oedp.de/files/pdf/programme/BundespolitischesProgramm.pdf

Die Tierschutzpartei

Im Jahr 2009, nachdem durch die skandalösen Vorkommnisse im Atommüll-Lager »Asse II« bewiesen wurde, dass eine risikolose Endlagerung der strahlenden Abfallprodukte nicht gewährleistet werden kann, ist die Forderung nach dem sofortigen Ausstieg aus dieser hochgefährlichen Energiegewinnung umso mehr berechtigt.

https://www.tierschutzpartei.de/pdf/Wahlprogramm_Bund09.pdf

Und nicht vergessen: Wer nicht zur Wahl geht, darf hinterher auch nicht meckern!

Kommentare (9)

  1. #1 Florian Freistetter
    17. September 2009

    Sehr schöner Überblick! Danke!

    “Und nicht vergessen: Wer nicht zur Wahl geht, darf hinterher auch nicht meckern!”

    Doch, ich schon! 😉 Ich bin ja leider nicht wahlberechtigt – aber von den Entscheidungen der Politiker in der Deutschland genauso betroffen wie alle Deutschen. Diese Wahlberechtigungssache halte ich sowieso für etwas absurd. Dort wo ich wählen darf – in Österreich – betreffen mich die Gesetze nur peripher bis gar nicht. Und ich Deutschland, wo sie wichtig für mich sind, bin ich nur bei Kommunalwahlen wahlberechtigt. Sinnvoller – mMn – wäre es ja, wenn jeder, der ordentlich mit Hauptwohnsitz in D gemeldet ist, auch überall wahlberechtigt wäre. Gibts irgendeine Partei, die sowas vertritt?

    Sorry, das war jetzt ein wenig off-topic…

    Die Position der Linken kann man ja wirklich nicht ernst nehmen. Das kann ja echt nur reine Polemik sein – so dumm können die dort doch nicht wirklich sein?

  2. #2 Christian Reinboth
    17. September 2009

    @Florian: Solche Forderungen kann nur stellen wer genau weiß, dass er nicht in die Verlegenheit kommt, irgendetwas davon umsetzen zu müssen. Da die Linken wissen, dass sie mir großer Sicherheit nicht an der nächsten Regierung beteiligt sind, können sie sich solche (und andere, ähnlich unrealistische) Forderungen eben leisten. Und selbst wenn es zu Rot-Rot kommen sollte, kann man die Nichtumsetzung immer noch auf die SPD schieben… Eben Populismus in Reinkultur…

    Zum Off-Topic-Thema:

    https://blog.tetti.de/sites/default/files/images/angestellte-950-8271.jpg

    Mindestens eine Partei scheint es also zu geben. Ansonsten kenne ich die politische Gemengelage nicht – wäre vielleicht mal eine Recherche wert. [sarc] Aber mal Hand aufs Herz – wenn Du hier wählen könntest ginge Deine Stimme doch sicher eh an die Violetten:

    https://www.die-violetten.de

    [\sarc off]

  3. #3 Florian2
    17. September 2009

    Die Position der Linken ist wohl eher als Verhandlungsbasis zu sehen und als solche finde ich sie gut. Dass die Grünen den Atomausstieg “ohne Änderungen” fortsetzen wollen, ist enttäuschend. Seit Monaten oder Jahren stehen Biblis A+B, Krümmel und Brunsbüttel still, diese AKW gehören auch nicht mehr angefahren! Zwei weitere AKW produzieren Strom nur für den Export (netto) und könnten auch am 28.9. abgeschaltet werden. Wenn man die Strommengen dieser Alt-AKW dann auf neuere überträgt, bestehen dort nach 2020 ähnliche Sicherheitsrisiken wie jetzt in den Altanlagen.

    Von den kleinen Parteien sind REP, BüSo und Zentrum für Weiterbetrieb / Neubau von AKW, sagt der Wahl-O-Mat.

  4. #4 TheK
    17. September 2009

    Ich kann ja kurz man den Stand der Diskussion bei den Piraten nennen: Hauptsächlich gibt es Diskussionen, was zwischen Kohle und Kernkraft das kleinere Übel ist (die Tendenz geht aber dahin, den bereits begonnenen Weg nicht zu verlassen). Einen sofortigen Ausstieg wie ihn die Linke fordert, halten alle für schlicht nicht machbar. Außerdem haben die Betreiber *sämtliche* Kosten zu übernehmen – auch für die Endlager-Suche und den Rückbau. Der LV SH hat dazu bereits recht deutlich “nein” zu Krümmel gesagt (nicht wegen akuter Gefahr, sondern um ein Zeichen zu der Desinformationspolitik des Betreibers zu setzen).

    Das Programm der ödp ist hier übrigens lesbar.

  5. #5 Christian Reinboth
    18. September 2009

    @TheK:

    Vielen Dank für die Ergänzungen zur inoffiziellen Position der Piratenpartei, die ich persönlich ganz vernünfig finde – insbesondere soweit es die längst überfälligen Konsequenzen für Vattenfall aufgrund der unsäglichen Informationspolitik zu Krümmel betrifft. Dennoch wird die Piratenpartei mittelfristig nicht umhin kommen, sich auch mehr “offizielle” Positionen zuzulegen. Eine Partei, die sich zu ganz wesentlichen Fragen des öffentlichen Lebens in keinster Weise äußert, wird immer eine reine Nischenpartei bleiben – vielleicht ist das ja aber auch so gewollt…

    Lesen kann ich das ödp-Programm übrigens auch, nur nicht draus kopieren…

  6. #6 lupe
    18. September 2009

    Hat bestimmt viel Arbeit gemacht, dass alles zusammenzutragen. Nur wozu soll es nützen?

    Seit wann halten sich denn Politiker an Aussagen, die sie vor der Wahl trafen? (Bspe.: Mehrwertsteuer SPD,CDU), Kohlekraftwerk Moorburg (B 90/Grüne))

    An die Wahlwilligen: Sie wählen die Katzen im Sack.

  7. #7 lappen
    9. Oktober 2009

    letzter satz hätte man sich sparen können, war wirklich nicht der hellste satz von unseren superdemokraten (daher stammt er doch). wer seine stimme abgibt, sollt lieber schweigen 😉

    nun, zu den rest: ich finde es interessant, dass sich die atomenergiefrage wieder neu entfacht. klar, viele haben angst, das noch nicht schluss ist mit den reaktoren. die restlaufzeiten sind aber auch nicht wirklich schön, das ist wirklich ein einknicken vor der wirtschaft gewesen. mit den MWh, die so ein kraftwerk an bleibt, haben wir noch mehr strahlende spaltprodukte.
    die frage der sicherheit sollte uach immer aktuell sein.

  8. #8 Blaine Mcgehee
    6. April 2011

    Es fehlt bei den Debatten über die Atomkraft häufig der Tiefsinn und die Kompetenz in den Begründungen. Jetzt habe ich bei Erlbaum eine sehenswerte Internetseite gefunden, wo jeder Einzele seine Bücher vorschlagen kann, damit man besser informiert ist für heiße Diskussionen. Finde ich sehr interessant, denn es wurde in vielen Diskussionen in meinem Freundeskreis schnell emotional. Und die Argumente waren alles andere als fundiert.

  9. #9 Alan Haldiman
    13. Juni 2011

    Es geht den Firmen immer nur ums Geld. Sie kümmern sich nicht um unsere Umwelt, Hauptsache sie bekommen ihr Geld. Im Moment sprechen die Konzerne davon, dass nicht ausreichend Elektrizität produziert würde ohne die Atomkraft, aber das ist erneut nur eine der vielen Ausreden um den Atomausstieg zu bremsen. Auch die Bundesregierung möchte den Kraftwerksbossen entgegenkommen, indem sie ihnen die Erlaubnis erteilen, die Stromkontingente der sieben Atommeiler, die ab sofort abgeschaltet werden sollen, auf neuere Kraftwerke zu übertragen. Ich denke, dass das alles nur zur Zeitgewinnung dient. Ich werde weiterhin gegen die Atomkraft vorgehen.