Um sicherzustellen, dass die im British Museum ausgestellten Artefakte eine angemessene Würdigung in der Wikipedia erfahren, hat sich die altehrwürdige Institution auf eine recht unkonventionelle und äußerst spannende Kooperation mit den Wikipedianern eingelassen, die möglicherweise bald Schule machen könnte.
Den Anstoß für das Projekt gaben zwei Artikel über den Stein von Rosette, jene berühmte, während Napoleons Feldzug in Ägypten aufgefundene Steintafel, welche den Schlüssel zum Verständnis der Hieroglyphenschrift bildete, da sie eine inhaltlich identische Inschrift sowohl in Hieroglyphen als auch in Altgriechisch und Demotisch enthielt. Nach diesem Artefakt wird (sicher auch wegen der gleichnamigen Software, wie man wohl leider vermuten muss) viel “gegoogled”, wobei es die meisten englischsprachigen Surfer offenbar zum entsprechenden Artikel in der Wikipedia zieht.
Der wird nämlich mehr als fünf mal häufiger aufgerufen als der Artikel auf der Webseite des Museums selbst, was wiederum den Webmaster des Museums, Matthew Cock, auf die Idee brachte, Kontakt zu Wikipedia-AutorInnen zu suchen und nachzufragen, ob möglicherweise Interesse an einer engeren Zusammenarbeit besteht.
Zu einer daraufhin vom Museum organisierten, speziellen Backstage-Pass-Tour für “Wikipedianer” mit anschließender Diskussion mit den Kuratoren erschienen knapp 40 Interessenten – Beginn einer Kooperation, die mit äußerst fachkundigen Artikeln über Museums-Exponate wie den Seax of Beagnoth, das Nereid Monument oder den Lothair Crystal bereits erste Früchte trägt. Inzwischen gibt es schon eine eigene Projektseite
und sogar vom Museum ausgelobte Preise für besonders gute Artefakt-Artikel.
Ich persönlich finde diese Entwicklung aus vier Gründen äußerst begrüßenswert:
(1) Museen haben einen Bildungsauftrag, den sie – zumindest soweit es das Medium Internet betrifft – nur mit einer entsprechenden Sichtbarkeit erfüllen können. Es besteht daher ein inhärentes Interesse an einer guten Auffindbarkeit fachlich korrekter (eigener) Informationen im Hinblick auf eigene Exponate oder Themenbereiche. Als Beispiel sei auf den Harzmaler Wilhelm Pramme verwiesen, dessen spärlicher Wikipedia-Artikel in keinem Verhältnis zu seinem reichhaltigen künstlerischen Schaffen steht. Das sich in Wernigerode befindliche Harzmuseum, das über zahlreiche seiner Werke verfügt, stünde hier – ebenso wie das British Museum im Fall des Steins von Rosette – bei entsprechender Auslegung des Bildungsauftrags durchaus in der Pflicht, den Artikel um Informationen oder digitalisierte Werke zu ergänzen (wobei letzteres aus juristischen Gründen nicht immer möglich ist).
Das ein umfangreiches Engagement in diesem Bereich aufgrund der dünnen Personaldecke und der spärlichen finanziellen Ausstattung zahlreicher Museen von diesen kaum realisiert werden kann, bringt mich direkt zum zweiten Punkt…
(“Die Jäger im Schnee” von Pieter Bruegel im Kunsthistorischen Museum in Wien)
(2) Das Budget vieler Museen schrumpft – zum einen aufgrund sinkender Besucherzahlen, zum anderen aufgrund schwindender staatlicher Mittel. Vor diesem Hintergrund steigt die Bedeutung des ehrenamtlichen Engagements gerade im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit. Und während eine theoretisch denkbare Möglichkeit, die in (1) angesprochene Sichtbarkeit zu erhöhen – nämlich die Planung und Durchführung einer umfangreichen SEO-Kampagne – mit einigem zeitlichem und finanziellem Aufwand verbunden ist, ist die Steigerung der Sichtbarkeit eigener Inhalte und Themen über Wikipedia-Artikel dann fast aufwands- und kostenfrei, wenn es gelingt, die Community für ein entsprechendes Projekt zu begeistern.
(3) Viele Museen stehen in der Pflicht, Erfolge nachweisen zu müssen, um den Erhalt staatlicher Finanzmittel und privater Fördergelder zu rechtfertigen. Besonders vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung des Internets für den Bildungssektor ist hier während der kommenden Jahre ein Umdenken zu erwarten: Nicht nur die “realen” Besucherzahlen sondern auch die Anzahl derer, die beispielsweise ein digitalisiertes Kunstwerk auf der Webseite des Museums, in der Wikipedia oder bei Flickr “virtuell besichtigen”, dürften irgendwann in das System der Erfolgskennzahlen Eingang finden
– wenn auch sicher nicht mit gleicher Gewichtung.
Ein Eigeninteresse an der Steigerung der eigenen Sichtbarkeit ergibt sich daher nicht nur aus dem in (1) genannten – im Grunde ja eher ideellen – Bildungsauftrag, sondern auch aus der Notwendigkeit, irgendwann vielleicht einmal nachweisen zu können, dass man mit der eigenen Arbeit auch über den Kreis der Besucher hinaus Interessenten erreicht.
(4) Eine Kooperation nutzt beiden Partnern. Während die Museen ihrem Bildungsauftrag nachkommen und ihre Sichtbarkeit für die “Generation 2.0” erhöhen können, profitiert die Wikipedia vom Fachwissen der Museums-Kontributoren und verbessert damit langfristig auch ihre Zitierbarkeit. Wenn ich mir als Laie beispielsweise sicher sein kann, dass der Artikel über den Seax of Beagenoth nicht “nur” von interessierten Laien auf Basis des Museumsführes verfasst, sondern von einem Experten des Museums zumindest gegengelesen wurde, wertet das den Artikel schließlich erheblich auf.
Vor diesem Hintergrund fände ich auch die Einführung eines “Seals of Approval” spannend, wobei ich mir nicht sicher bin, inwiefern sich eine solche Form des Qualitätsmanagement mit den bereits existenten Qualitätssicherungsstrukturen der Wikipedia vertragen würde…
Die Kooperation zwischen dem British Museum und den Londoner Wikipedianern wird aus diesen vier Gründen auf jeden Fall noch Einzug in meinen Vortrag zu den Möglichkeiten und Grenzen der Nutzung des Web 2.0 durch Museen finden, den ich in der kommenden Woche auf dem VII. Rheinischen Museumstag halten, und über den ich natürlich auch hier im Blog berichten werde (den gerade aktuellen Folienentwurf, der sich bis Montag aber sicher noch mehrfach ändern wird, habe ich einfach mal ans Ende des Blogposts gehängt).
Spannend wäre es auch, einmal der Frage nachzugehen, ob sich auch hier im Harz ein paar Wikipedianer für eine ähnliche Kollaboration beispielsweise mit den Museumsverbänden der drei Bundesländer oder größeren Museen wie dem Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle finden würden. Eventuell komme ich in den nächsten Wochen ja mal dazu, einen Aufruf auf meiner Userpage einzustellen und in den Versionshistorien nach “museums-interessierten” Wikipedianern aus der Region zu fahnden…
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