Mit einem der ersten großangelegten staatlichen Wohnbauprojekte der USA sollten in den 60er Jahren bezahlbare Wohnungen für Arbeitslose und Geringverdiener bereitgestellt werden. Die Mustersiedlung Puitt-Igoe in St. Louis versank jedoch nach kurzer Zeit in Gewalt und Vandalismus. Noch 40 Jahre später wird über die Ursachen diskutiert…
In einem Skript zum Thema “Nachhaltige Stadtplanung”, durch dass ich mich derzeit im Rahmen meines Fernstudiums arbeite, bin ich in einem Nebensatz über das Pruitt-Igoe-Projekt als eine Art Paradebeispiel für städtebauliche Fehlplanung gestolpert. Aus reiner Neugier habe ich mich mit der Geschichte hinter dem Projekt befasst, die mich enorm fasziniert hat – und da ich im “Frischen Wind” neben der Umwelt öfter schon historische Themen wie Neuschwabenland und den Great Smog of London behandelt habe, hoffe ich heute, den einen oder anderen Leser mit viel Zeit zu einem Ausflug ins St. Louis der 60er überreden zu können…
Die Vorgeschichte: Schwarze Slums und weiße Vorstädte
Als der Demokrat Joseph Darst 1949 zum Bürgermeister der US-Großstadt St. Louis im Bundesstaat Missouri gewählt wurde, hatte die Stadtverwaltung mit zahlreichen Problemen zu kämpfen: Viele der traditionellen Industriebetriebe gingen in Konkurs und mehr und mehr Einwohner aus der Mittelschicht kehrten St. Louis den Rücken oder verzogen sich zumindest in die Vorstädte, während die Innenstädte nach und nach verkamen. Als die allerschlimmste Wohngegend im St. Louis der Nachkriegszeit galt das Armenviertel DeSoto-Carr – und genau hier wollte Darst ansetzen, um das Ruder wieder herumzureißen.
Seine Vorgehensweise unterschied sich dabei kaum von dem, was in anderen US-Städten geschah, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hatten: Das Gelände, auf dem sich die Quasi-Slums befinden, wird von der Stadt aufgekauft (notfalls enteignet), geräumt und hinterher verbilligt auf den Markt geworfen, um Industrielle und Wohnbauunternehmer anzulocken. Parallel dazu errichtet man günstige Sozialwohnungen (public housing), um die ehemaligen Bewohner des Armenviertels aufzufangen und ihnen verbesserte Wohn- und Lebensmöglichkeiten zu bieten. Die US-Regierung unterstützte seit der Verabschiedung des American Housing Acts von 1949 den Bau derartiger Wohnungen mit finanziellen Mitteln, wodurch solche Vorhaben auch für weniger wohlhabende Städte bezahlbar wurden.
Darst selbst war kurz nach seiner Wahl bei seinem Amtskollegen William O’Dwyer in New York City vorstellig geworden, und hatte dort neue, vielstöckige Sozialbauten besichtigt – ein Wohnkonzept, das nach der Überzeugung Darsts auch in St. Louis aufgehen würde. Beflügelt von dem Gedanken an ein “Manhattan am Missisippi”, erging im Jahr 1951 der Planungsauftrag an Minoru Yamasaki – der erste Großauftrag für einen jungen Architekten, der viele Jahre später das World Trade Center in New York entwerfen sollte.
Dessen Entwurf orientierte sich an den Vorstellungen des Schweizer Architekten Le Corbusier, der die Zukunft des Städtebaus in hohen Wohngebäuden inmitten grüner Parkanlagen sah. Yamasakis Entwurf für insgesamt 33 elfstöckige Gebäude mit 2.870 Wohneinheiten, deren Bau 36 Millionen US-Dollar kosten sollte, wurde 1951 durch die Fachzeitschrift “Architectural Forum” als “bester Gebäudeentwurf des Jahres” geadelt.
Benannt werden sollte das neue Wohnviertel nach Wendell O. Pruitt – einem (schwarzen) Kampfpiloten des zweiten Weltkriegs – und William L. Igoe – einem langjährigen (weißen) Kongressabgeordneten des Staates Missouri. Diese Benennung erfolgte nicht ohne Grund, denn tatsächlich hatten die Stadtväter geplant, in Pruitt ausschließlich schwarze, in Igoe dagegen weiße Familien anzusiedeln. Nachdem der US Supreme Court noch während der Planungsphase im berühmten Fall “Brown vs. Board of Education” die unmenschliche Rassentrennung für verfassungswidrig erklärt hatte, rückte man von der Idee ab.
Obwohl Pruitt-Igoe 1955 also als “integriertes” Wohnviertel eröffnet wurde, verschwanden die wenigen weißen Familien innheralb weniger Jahre, nachdem sich die Lebensverhältnisse bereits nach kürzester Zeit rapide verschlechtert hatten.
Hellbrück und Fischer fassen die Entwicklung so zusammen:
Binnen weniger Jahre war sie (die Siedlung) von ihren Bewohnern in einen menschenunwürdigen Zustand versetzt worden. Zersplitterte Fensterschei- ben, als Toiletten benutzte Aufzüge, Spielplätze voller Müll und demolierte Kraftfahrzeuge beherrschten das Bild. Immer mehr Mieter zogen aus, so
dass die Häuser schließlich leer standen und zu Beginn der siebziger Jahre abgerissen wurden.
Der Niedergang: “Wir haben dort jeden Tag Leichen gesehen”
Der Niedergang von Pruitt-Igoe begann schleichend, nahm aber schnell immer mehr an Fahrt auf. Bereits 1963 – acht Jahre nach der Einweihung des Viertels – hatten Verwahrlosung und Verbrechen derartige Ausmaße angenommen, dass man 45 Sozialarbeiter dauerhaft nach Pruitt-Igoe entsandte, zudem nahmen sich Soziologen der Universität von St. Louis der Untersuchung der extremen Zustände an.
Ende der 60er waren alle Familien, die einen Umzug bezahlen konnten, aus der Gegend geflohen, 1971 lebten nur noch 600 Menschen in 17 Gebäuden, während 16 völlig leerstanden [Schlüter]. Pruitt-Igoe wurde zum Schauplatz zahlreicher Morde und Bandenkriege, wobei die Opfer nicht selten in den Aufzugsschächten der Gebäude “entsorgt” wurden.
“I saw my first murdered person when I was 10 or 11. I actually saw her. She had been decaying at the bottom of the elavator shaft of the third or fourth building on Ofallon, we lived in the second one. I remember seeing people carrying a stretcher, covered with a white sheet. Just as they were passing me the wind blew the sheet. I saw her. I had already known of a lot of us dieing but the vision of what was under that sheet still haunts me.”
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