Eine faszinierende Fotografie aus dem Jahr 1838, über die ich im ScienceBlog von Greg Laden gestolpert bin, und die ich hier unbedingt kurz verbloggen wollte: Die (vermutlich) erste fotografische Aufnahme eines lebenden Menschen überhaupt.

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Bei der Aufnahme handelt es sich um eine Daguerreotypie – ein Fotografie-Verfahren, das nach dem französischen Künstler Louis Jacques Mandé Daguerre benannt wurde, der diese Aufnahme des Pariser Boulevard du Temple persönlich angefertigt hat. Aufgrund der langen Belichtungszeit von etwa zehn bis fünfzehn Minuten sind – wie auch auf den anderen frühen Szenerieaufnahmen – keine Passanten, Kutschen oder Tiere zu erkennen – bis auf den Mann in der linken unteren Ecke, der sich vermutlich gerade die Schuhe putzen lässt (und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht weiß, dass er gerade Geschichte schreibt).

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Auch vom philosophischen Standpunkt her faszinierend: Das erste Foto eines Menschen zeigt nicht etwa den Erfinder der Fotografie, seinen Geldgeber oder einen der Mächtigen seiner Zeit, sondern (vielleicht – siehe nächster Absatz) einen Schuhputzer bei der Arbeit.

Wer sich näher mit der faszinierenden Aufnahme befassen möchte, wird in der Blogosphäre fündig: Im Blog “Hokomburg Goombah” wird die Entstehungsgeschichte beleuchtet und nach “versteckten Objekten” gefahndet – und im Lunarlog findet sich eine schick nachkolorierte Fassung sowie eine spannende Betrachtung der Frage, ob es sich bei dem vermeintlichen Schuhputzer vielleicht nur um eine Wasserpumpe handelt (den gleichen visuellen Eindruck habe ich übrigens auch, die “gängige” Interpretation ist aber eine andere – siehe z.B. die Beschreibung der Aufnahme in der Wikipedia).

So, und nun auf zur nächsten Besprechung…

Kommentare (15)

  1. #1 Alexander
    2. November 2010

    Hier ist auch noch eine nette frühe Daguerreotypie mit Menschen, nur vier Jahre später in Cincinnati aufgenommen.
    Aber wohl definitiv nicht die erste, wie in der Quelle behauptet 😉

  2. #2 Christian Reinboth
    2. November 2010

    @Alexander: Wobei das Cincinnati-Bild dafür gestochen scharf ist – man glaubt ja beim Zoom gar nicht, dass die Aufnahme tatsächlich so alt ist. Hätte das in dieser Qualität vermutlich für eine Fälschung gehalten…faszinierend.

  3. #3 Florian Freistetter
    2. November 2010

    Irgendwann gabs bei Wikipedia mal die Diskussion, wer der älteste Mensch ist, von dem eine echte Fotografie existiert. Also jetzt nicht Bilder von über 100jährigen oder so sondern gefragt war nach der Person, deren Geburtsdatum am weitesten in der Vergangenheit liegt. Ich weiß nicht mehr, wie die Diskussion damals ausging – aber eine Zeitlang lag ein alter Bekannter ganz weit vorne im Rennen: Samuel Hahnemann. Geboren 1755 und hier auf einer Daguerrotypie von 1841: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Samuel_Hahnemann_1841.jpg&filetimestamp=20060414115356

  4. #4 Neuraum
    2. November 2010

    @Alexander @Florian Freistetter

    Ich dachte aber, dieses Foto mit Mozarts Witwe aus dem Jahre 1840 wäre eines der ältesten: https://news.bbc.co.uk/2/hi/europe/5157200.stm

    War sogar mal als Frage in “Wer wird Millionär?” Es gibt zwar einige Zweifel, ob tatsächlich Constanze darauf ist, aber die Datierung scheint korrekt zu sein.

  5. #5 Alexander
    2. November 2010

    @Neuraum: Zumindest die Cincinnati-Aufnahme ist eher als älteste Großaufnahme im städtischen Umfeld bekannt, weniger als Porträt. Aber auch so wäre die Paris-Daguerreotypie von 1838 älter, egal ob Menschen oder Stadt.

    @Christian: Ja, ich hab mich auch schon gefragt, ob der Qualitätsunterschied zwischen Paris und Cincinnati wirklich nur eine technische Entwicklung in vier Jahren war, oder ob doch andere Gründe eher verantwortlich waren – Lagerbedingungen, Scanqualität,…
    Aber noch was anderes zu Cincinnati, das auch bei Boing Boing in den Kommentaren schon diskutiert wurde: Der Ausschnitt am Fluss mit den zwei Menschen, was wäre, wenn es sich hier zufällig um ein Paar handelt, bei dem der Mann gerade zum Zeitpunkt der Aufnahme einen Antrag macht? Die Körperhaltung könnte ja dazu passen. Auf jeden Fall romantischer, als dass sie angeln, oder einen Eimer Wasser hochziehen.

  6. #6 Florian Freistetter
    2. November 2010

    @Neuraum: Constanze Mozart wurde aber erst 1762 geboren; 7 Jahre nach Hahnemann.

  7. #7 michael
    3. November 2010

    Das Foto von Mozarts Witwe ist (ein Jahr) älter .

  8. #8 Christian Reinboth
    3. November 2010

    Der Ausschnitt am Fluss mit den zwei Menschen, was wäre, wenn es sich hier zufällig um ein Paar handelt, bei dem der Mann gerade zum Zeitpunkt der Aufnahme einen Antrag macht?

    Auf jeden Fall ein schöner Gedanke (wäre mal was für einen Post am Valentinstag). Wobei ich die Erklärung zumindest nicht für völlig unvernünftig halte, schließlich muss man sich bei einer Belichtungszeit eine ganze Weile in der gleichen Position aufhalten, um auf einer Daguerreotypie überhaupt zu sehen zu sein – auf jeden Fall länger als es dauert, einen Eimer Wasser zu holen. Wobei man beim Angeln ja auch lange in der gleichen Position sitzt…

  9. #9 Anton
    3. November 2010

    Laut: https://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Geschichte_und_Entwicklung_der_Fotografie#Die_.C3.A4ltesten_fotografierten_Menschen

    Hannah Stilley Gorby, geb. um 1746. Also 9 Jahre vor Hahnemann, auch finde ich nichts das es nur ein abfotografiertes Gemäde ist ()was offenbar öfters vorkam.

  10. #10 Roman Müller
    15. März 2011

    Dass Daguerre einen Schuhputzer und seinen Kunden zuerst photographierte, lag daran, dass er eine Person benötigte, die sich nicht bewegte und im Stillstand war. Allerdings wollte er auch niemanden direkt bitten, sich als Photographier-Objekt zur Verfügung zu stellen, weil er die ablehnende und furchtsame Reaktion seiner Zeitgenossen fürchtete.

  11. #11 Roman Müller
    15. März 2011

    Natürlich war der Schuhputzer von Daguerre selbst engagiert worden, sich unter sein Atelierfenster zu stellen. Denn man sieht, auf dieser menschenleeren Strasse hätte ein Schuhputzer kein grosses Geschäft gemacht, und diese sind für gewöhnlich nur in sehr belebten Strassen anzutreffen.

  12. #12 Christian Reinboth
    15. März 2011

    @Roman Müller: Ich vermute eher, dass die Straße nur menschenleer aussieht, weil bewegte Personen es wegen der langen Belichtungszeit nicht auf die Daguerrotypie geschafft haben…

  13. #13 HARAYM
    27. Februar 2012

    Sehr geehrter Herr Reinboth. Ich habe Ihren Blog gelesen und hoffe ich , dass Sie auf Daguerotypie die Interesse haben. Ich brauche Ihre Hilfe. In meiner Sammlung habe ich deutsche Daguerreotypie. Auf seine zweite Seite auffindet sich die Aufschrift: Silber auf Kupferplatte. Bildnis der Gräfin Stolberg. Nach meiner Meinung ist das Porträt der Gräfin Eleonore zu STOLBERG – WERNIGERODE (1835 -1903). Diese Daguerreotypie wurde warscheinlich vor 1855J. gemacht . In diesem Jahr heiratete sie den verwitweten Prinzen Heinrich LXXIV. Reuß zu Köstritz. Viellecht ist das Verlobungsportrait? Also bleibt die Frage , wer könnte der Autor dieser Daguerreotypie sein? Weil im Herbst 1838 zog die Familie von Gedern nach Ilsenburg , den Autor der Daguerreotypie soll ich in Ilsenburg, Wernigorode oder in den anderen Städten von Sachsen suchen. Leider habe ich keine Möglichkeit in diesem Bereich , vielliecht koennen Sie mir helfen. Ich danke im Voraus.

    Mit freundlichen Gruessen

    Dr. Ing.Zenon Harasym Wrocław

    P.S. Ich lege einige Photos bei.

  14. #14 Christian Reinboth
    29. Februar 2012

    @HARAYM: Vielen Dank für den Kommentar. Derartige Daguerrotypien wären für die Historiker im Harzmuseum bzw. im Wernigeröder Schlossmuseum sicherlich von Interesse, möglicherweise ließen sich auf diesem Wege dann auch die historischen Hintergründe der Entstehung klären. Entsprechende Kontakte vermittele ich sehr gerne, wegen der Fotos melde ich mich gleich noch direkt per E-Mail bei Ihnen.

  15. #15 kdm
    10. Dezember 2017

    Es steht auch im Artikel: Die vermeindliche “Leblosigkeit” ist wegen der langen Belichtungszeit: alles Bewegte – Menschen wie Kutschen oder Tiere – verschwimmt und ‘verschwindet’.