In “Verschwörung gegen Amerika” zeichnet Pulitzer-Preisträger Philip Roth das düstere Bild eines isolationistischen Amerikas, dessen Regierung den Eintritt in den Zweiten Weltkrieg mit allen Mitteln zu umgehen versucht – eine Regierung, geführt von einem der populärsten Vertreter des US-Isolationismus der 40er Jahre: dem Fliegerheld Charles A. Lindbergh.
Da ich zwischen den Feiertagen ausnahmsweise einmal erfreulich viel Zeit zum Lesen hatte, habe ich für die kommenden Wochen einige Rezensionen im Programm, wobei ich mit einem Roman beginnen möchte, dessen Erzählweise mich nachhaltig beeindruckt hat – ist das 2004 erschienene Buch doch nichts anderes, als eine autobiographische Schilderung der Kindheit des 1933 geborenen Autors – Philip Roth – in einem Amerika der frühen 40er Jahre, das man zwar zunächst noch wiedererkennt, das sich aber noch im Laufe der ersten Kapitel in einen isolationistischen und zunehmend antisemitischen Staat verwandelt. Roths eigenwöhnlicher aber spannender Ansatz, sein eigenes Leben und das Leben seiner realen Familienmitglieder in diesem fiktionalen Amerika zu schildern, sorgt für einen beklemmenden Realismus, der sich mit erdachten Charakteren vermutlich kaum erzeugen ließe.
Der Roman beginnt im Juni 1940 im jüdischen Newarker Stadtteil Weequahic, in dem der siebenjährige Philip gemeinsam mit seinen Eltern, seinem Bruder und dem Neffen seines Vaters noch in der „realen” Welt lebt: Franklin D. Roosevelt ist Präsident und auf dem besten Weg in seine dritte Amtszeit, während in Europa bereits seit fast einem Jahr der Zweite Weltkrieg tobt, in den die USA zunächst nur indirekt involviert sind. Während die meisten Demokraten Roosevelts Auffassung teilen, dass ein Kriegseintritt der USA auf Seiten Englands unabwendbar sein dürfte, engagieren sich etliche republikanische Abgeordnete sowie bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, wie etwa der Filmemacher Walt Disney oder der Schriftsteller Gore Vidal, im Ende 1940 gegründeten, isolationistischen America First Committee, dessen Mitglieder sich vehement gegen eine Beteiligung der USA am „europäischen Krieg” einsetzen. Nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs sollten nie wieder junge Amerikaner in Europa sterben – und mit Stalin, der im Falle eines Kriegseintritts zum natürlichen Verbündeten avanciert wäre, wollte man in den Reihen des AFC ebenso wenig zu tun haben, wie mit der Führerschaft des Dritten Reichs.
Einer der wichtigsten Fürsprecher des Isolationismus war Charles A. Lindbergh, der berühmte Fliegerheld, dem 1927 mit der Spirit of St. Louis die erste Alleinüberquerung des Atlantiks gelang, und den die Entführung und Ermordung seines zweijährigen Sohnes drei Jahre darauf zu einer Art tragischem Idol hatten werden lassen – ein Bild, dass auch durch die Annahme des von Göring im Jahr 1938 an Lindberg verliehenen „Adlerordens” kaum gelitten hat. Dieser Charles Lindbergh, der durchaus echte politische Ambitionen hegte, avanciert in Roths Roman im Juni 1940 anstelle des tatsächlichen Herausforderers – des Anwalts Wendell L. Willkie – zum republikanischen Gegenkandidaten Roosevelts bei den US-Präsidentschaftswahlen im November des gleichen Jahres – und fährt, getragen von seiner Popularität und dem Versprechen, die USA aus allen ausländischen Kriegen herauszuhalten, einen erdrutschartigen Wahlsieg ein.
„Wir stehen am Rande eines Krieges, aber noch ist es nicht zu spät, noch können wir zurück. Es ist nicht zu spät, den Beweis anzutreten, dass kein Geld der Welt, keine Propaganda und keine Vetternwirtschaft ein freies und unabhängiges Volk gegen seinen Willen in einen Krieg treiben kann. Noch ist es nicht zu spät, die Unabhängigkeit Amerikas, die unsere Vorväter in dieser neuen Welt geschaffen haben, zu retten und aufrechtzuerhalten.”
– Charles Lindbergh während einer (realen) Kundgebung des AFC am 11. September 1941 in Iowa
An diesem Punkt driften Realität und Fiktion auseinander, und während für den kleinen Philip und seine Familie zunächst alles beim Alten bleibt, wettert Vater Herman gegen den Personenkult um den neuen Präsidenten – und gegen die antisemitischen Äußerungen des Deutschen Bundes, der nach einem Treffen Hitlers und Lindbergs in Reykjavík sowie gegenseitigen Neutralitätsbekundungen und einem Besuch Ribbentrops im Weißen Haus offen für einen Kriegseintritt Amerikas auf Seiten der Achsenmächte wirbt. Die Angst der Eltern und Verwandten vor Antisemitismus, die schon am Abend der Nominierung Lindbergs zum Präsidentschaftskandidaten einsetzt, nimmt während der Jahre 1941 und 1942 immer weiter zu, und erreicht im Vorfeld der Kongresswahlen des Jahres 1942 einen Höhepunkt, als Vertreter der Opposition sowie der jüdischen Gemeinden, die sich angesichts der Greultaten der Wehrmacht an der jüdischen Bevölkerung Osteuropas gegen die fortgesetzte Neutralität der USA aussprechen, als „jüdische Kriegstreiber” verhetzt werden – und es im Umfeld des Wahlkampf-Tour eines demokratischen Gegenkandidaten, der die Lindbergh-Regierung als „fünfte Kolonne Hitlers” attackiert, zu antisemitischen Ausschreitungen kommt.
Ein düsteres, da nicht gänzlich unrealistisches Szenario, bereichert durch eine Vielzahl historischer Figuren, deren Leben nach der Wahl Lindbergs ebenfalls in neuen Bahnen verläuft – so wird etwa der republikanische US-Senator und bekennende Isolationist Burton K. Wheeler – in der Realität einer der wichtigsten Unterstützer von Joseph McCarthy in den 50ern – zum Vizepräsidenten, der Großindustrielle Henry Ford zum Innenminister und der frühere Finanzminister Henry Morgenthau zum politischen Gefangenen. Bernard Baruch, Felix Frankfurter, Louis Brandeis, William Hearst, J. Edgar Hoover, Herbert Lehman – es gibt kaum einen bedeutendern Amerikaner der 40er Jahre, der nicht im Roman auftaucht.
Gerade der durch die Verwendung historischer Figuren erzeugte Realismus, der einen großen Teil der Faszination des Buches ausmacht, ist es, der dazu geführt hat, dass mich das Ende des Romans – das ich hier natürlich nicht verraten möchte – dann doch ein wenig enttäuscht. Dies hat vor allem mit der – gemessen an der Plausibilität des restlichen Werks – völlig hanebüchenen Verschwörung zu tun, die schlussendlich das Ende der Regierung Lindbergh einläutet. Auch die Entscheidung des Autors, die veränderte Zeitlinie nach und nach wieder an die Realität anzugleichen, hat mich zunächst stutzig gemacht – denn wie plausibel ist es, dass es nach einem Präsidenten Lindbergh, nach einem Ribbentrop im Weißen Haus dennoch zur Präsidentschaft Eisenhowers, zum Mord an Kennedy und zur Watergate-Affäre kommt?
Tatsächlich erweist sich das vermeintliche Manko bei näherer Betrachtung allerdings als einzig richtiges Finale dieses Romans, der letztendlich endet, wo er auch beginnt – in der realen Welt, deren Zeitlinie Roth quasi mit einem „Schlenker” verlässt, nur um sie später wiederzufinden. Ein – wie ich finde – äußerst spannendes Konzept, das den Leser am Ende des Buches ähnlich verwirrt wie es die schleichende Ablösung der Erzählung von der Realität zu Beginn des Romans tut. (Nach-)Erlebte Geschichte, die ganz entgegen August Everdings Ausspruch letztendlich eben doch so etwas wie Wiedergutmachung kennt.
Wer sich für alternative Geschichte begeistern kann und zudem bereit ist, sich mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, welchen Schaden die – auch aus heutiger Sicht moralisch nur schwer zu verurteilende – US-Friedensbewegung der frühen 40er Jahre hätte anrichten können – dem kann man Philip Roths “Verschwörung gegen Amerika” – übrigens in 2005 ausgezeichnet mit dem Preis der amerikanischen Historikervereinigung für den besten historischen Roman und dem Sidewise Award for Alternate History – nur empfehlen…
Eine demokratische Bevölkerung muss vor allem eine informierte Bevöl- kerung sein. Wenn wir nicht wissen, was unsere Regierung unternimmt
oder zu unternehmen beabsichtigt, wenn wir über die Kriegsfrage nicht abstimmen dürfen; wenn unsere Medien zensiert oder mit Propaganda versetzt werden wie in totalitären Staaten; wenn ein Präsident, der we-
gen des Versprechens wirtschaftlicher Blüte in seine erste und wegen des Versprechen des Friedens in seine dritte Amtszeit gewählt wurde, unsere Bürger zum Militär einziehen und unsere Wirtschaft in Chaos stürzen kann – dann leben wir nicht mehr länger in einer freien und demokratischen Nation.– Aus einer für eine AFC-Kundgebung am 12. Dezember 1941 geplanten Rede Lindberghs, die nach dem Angriff auf Pearl Harbor nie gehalten wurde
Nachtrag: Über Lindberghs tatsächliche politische Aktivitäten in den Jahren von 1939 bis 1941 und das dahinterstehende Ideal eines isolationistischen Amerikas, das heute eher von der libertären als der republikanischen Partei vertreten wird, sollte ich bei Gelegenheit auch mal einen Artikel schreiben – dahinter steckt ein faszinierendes (und rückblickend betrachtet – wie Roths Roman eindrucksvoll belegt – auch leicht beunruhigendes) Stück Geschichte…
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