Zum zehnten Jahrestag der Terroranschläge des 11. September 2001 wird an diesem Wochenende sicher auch auf den ScienceBlogs viel geschrieben und diskutiert werden. Wer etwa über die außenpolitischen Folgen des 11. Septembers debattieren will, wird bei Zoon Politikon fündig, während man sich bei Astrodicticum Simplex mit Verschwörungsexperten streiten kann – und sicher wird es irgendwo auch wieder eine Debatte darüber geben, wie und warum die Religion alles vergiftet…
An all diesen Diskussionen will ich mich dieses Jahr gar nicht erst beteiligen; wer also auf Kontroverse und Debatten aus ist, ist heute an anderer Stelle vermutlich besser aufgehoben. Wer dagegen seine persönlichen Erinnerungen und Gedanken an den 11. September teilen möchte, ist hierzu herzlich eingeladen. Und auch wenn die oft gestellte Frage, wo man den 11. September 2001 verbracht und wie man ihn erlebt hat, selbst schon fast ein Klischee an sich ist, möchte ich genau damit einsteigen. Das muss heute einfach mal sein – mit der Wissenschaft geht es hier dann kommende Woche mit einigen Thesen zur Zukunft der medizinischen Versorgung aus dem dieswöchigen Demografiekongress weiter…
Am 18. Geburtstag meiner Mutter wurde John F. Kennedy erschossen – und noch Jahrzehnte später kann sie sich ganz genau an den entsetzten Ausdruck im Gesicht ihres Vaters und die erste Radio-Sondersendung zum Attentat erinnern. Ich habe mir vor dem 11. September nie richtig vorstellen können, dass man sich die Erinnerung an einen so lange zurückliegenden Tag tatsächlich mit einer derartigen Klarheit bewahren kann. Heute verstehe ich es sehr gut. Für mich persönlich liegen zwischen dem heutigen Datum und dem 11. September 2001 ein ganzes Studium, der Einstieg ins Berufsleben, zwei Firmengründungen, Verlobung und Hochzeit mit inzwischen schon drei Jahren glücklicher Ehe; trotzdem brauche ich auch heute kaum mehr als ein paar Sekunden, um mir diesen Nachmittag glasklar vor Augen zu führen.
Mein Schulabschluss lag damals schon ein Jahr zurück, meinen Zivildienst hatte ich vor einigen Wochen beendet. Im Oktober sollte mein erstes Studiensemester beginnen, die verbleibenden Tage verbrachte ich ohne wirkliche Aufgabe bei meinen Eltern in Harzer Urlaubsörtchen Walkenried. Ich war damals ein regelrechter Nachrichten-Junkie, der stundenlang CNN und MSNBC sehen konnte – am Abend des 10. etwa die „Breaking News” aus Afghanistan zur Ermordung von Ahmad Shah Massoud, des Kommandeurs der mit den Taliban verfeindeten Nordallianz, an die ich mich aus unerfindlichen Gründen noch ebenso gut erinnere. Ausgerechnet am Nachmittag dieses 11. Septembers hatte ich auf sämtliche TV- und Internet-Nachrichten verzichtet und mich in eine Partie Colonization vertieft, als irgendwann nach 15:00 Uhr mein Vater anrief, der sich dienstlich in der Slowakei aufhielt, und der von mir wissen wollte, was genau denn nun in New York passiert sei.
Ein Griff zur Fernbedienung brachte mich zu CNN und zu einer Quasi-Endlos-Schleife des zweiten Einschlags, die von einem Live-Bild der brennenden Türme begleitet wurde. Was ich meinem Vater, der die slowakische Nachrichtensendung nicht verstand, um die sich seine Kollegen versammelt hatten, hätte erklären sollen, wusste ich nicht. Dann dieses Stakkato der Katastrophen: Der Einsturz des Südturms, die Bilder der Rauchsäule über dem Pentagon, aufgenommen von der anderen Seite des Potomac, die kaum fassbare Mitteilung der New Yorker Feuerwehr, dass man hunderte Einsatzkräfte vermisse. Dazu die Fehlmeldungen: Die Autobombe, die angeblich vor dem State Department explodiert sein soll, das Feuer auf der Washington Mall, die vermeintlichen weiteren Flugzeugentführungen. Als meine Mutter, die nach dem Mittagessen zum Einkaufen aufgebrochen war, am späten Nachmittag nach Hause kam, war Flug 93 bereits abgestürzt, die beiden Türme waren zusammengebrochen. Ihr zweites Kennedy-Attentat erlebte sie erst in der abendlichen Retrospektive.
Der Fernseher in meinem Zimmer lief an diesem Tag bis spät in die Nacht und wurde auch an den kommenden Tagen nur selten abgeschaltet. Viele TV-Bilder aus diesen Tagen sind mir heute noch so gegenwärtig, als hätte ich sie erst vor einigen Stunden gesehen: Die staubbedeckten Helfer, die in den Trümmern tagelang vergeblich nach Überlebenden gruben, die scheinbar endlosen Wände mit den Steckbriefen der Vermissten, die Pressekonferenzen von US-Regierung, Feuerwehr, Polizei, Port Authority, Stadtverwaltung und Militär, die feiernden Menschen in der West Bank. Als ich einige Wochen später mein Studium in Wernigerode antrat, hatte ich vermutlich mehr TV-Nachrichten konsumiert, als in allen vorangegangenen Jahren zusammengerechnet – eine ungesunde Angewohnheit, die mich auch während der ersten Studienjahre nicht losließ, in denen etwa die tägliche Lektüre von Townhall.com schon fast Ritualstatus hatte. Noch heute fällt es mir paradoxerweise auf der einen Seite schwer, mir vorzustellen, dass all dies wirklich passiert ist, während ich auf der anderen Seite kaum begreifen kann, dass dieser Tag, der mir noch so klar vor Augen steht, schon wieder zehn Jahre in der Vergangenheit liegen soll…
Wie ist das mit euch – wie habt ihr den 11. September erlebt? Welche Bilder und Eindrücke sind euch heute noch gegenwärtig – und wie haben die Anschläge eure Einstellung etwa zu Politik oder Religion beeinflusst? Wer möchte, kann schreiben was er will – nur verzichtet heute bitte alle einfach mal auf Streitereien und Verschwörungsunfug…
Bildquelle: US Navy News Service
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