Anfang Februar hatte ich ja darum gebeten, die zwei von mir beim Zukunftsdialog der Bundesregierung eingereichten Vorschläge “Freier Zugang zu öffentlich finanzierter Forschung (Open Access)” sowie “Verbesserung der prekären Arbeitssituation vieler Nachwuchswissenschaftler” durch Stimmen und Kommentare zu unterstützen. Diesen Sonntag endet nun der Online-Bürgerdialog – höchste Zeit für ein vorläufiges Fazit.
Zunächst einmal: Vielen Dank für die großartige Unterstützung. Der Vorschlag zum Thema Open Access konnte bis dato fast 4.200 Stimmen, die Anregungen zur Verbesserung der Arbeitssituation von Nachwuchswissenschaftlern über 3.500 Stimmen auf sich verbuchen. Damit liegen sie zwar (noch) nicht in den Top5 ihrer jeweiligen Kategorien, wohl aber in den Top15, was aus meiner Sicht schon mal als erfreulicher Erfolg zu werten ist. Insbesondere über das zweite Thema wurde ja in den letzten Wochen auch an anderer Stelle viel diskutiert – was unter anderem dem Einsatz (und der großen Offenheit) von Scilogs-Blogger Markus A. Dahlem im SPIEGEL sowie bei Frontal 21 zu verdanken sein dürfte. Genau diese öffentliche Diskussion aber ist entscheidend, wenn die “große” Politik das Thema wirklich ernsthaft angehen soll – so betrachtet besteht also durchaus berechtigter Anlass zur Hoffnung…
Um heute – vier Tage vor Ende der Deadline am 15.04. – nochmal für meine beiden Vorschläge zu werben, und einen von ihnen vielleicht doch noch in die Top5 spülen zu können, erlaube ich mir mal einen kurzen Blick auf den Ist-Stand der Abstimmung in den drei Kategorien “Wie wollen wir zusammenleben?”, “Wovon wollen wir leben?” sowie “Wie wollen wir lernen?”. Besonders in der ersten Kategorie wurde erfreulicherweise sehr viel abgestimmt – was aber offenbar auch dazu geführt hat, dass sich unter den Top10 dieser Kategorie ein recht ungesunder Populismus breitmachen konnte. Insbesondere zu den von PI-News unterstützten und vermeintlich islamkritischen Vorschlägen hatte ja mein Mit-Blogger Ali hier und hier schon einiges im “zoon politikon” geschrieben.
Der Ist-Stand in dieser Kategorie stellt sich aktuell so dar:
1. Gesetz gegen die Völkermord-Leugnung an den Armeniern (147.998)
2. Offene Diskussion über den Islam (139.424)
3. Legalisierung von Cannabis (135.547)
4. Abschaffung der GEZ (87.192)
5. Stärkere Förderung der Reproduktionsmedizin (74.978)
6. Mehr außerklinische, “natürliche” Geburten (73.681)
7. Erleichterungen im Waffenrecht (73.373)
8. Verbot von tierpornographischem Material (72.908)
9. Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (65.644)
10. Verbot der schariakonformen Halal-Schlachtung (63.475)
Angesichts der eigentlichen politischen Problemlage(n) eine durchaus verwunderliche Themenauswahl, würde doch vermutlich keines dieser Themen bei einer repräsentativen Zufallsbefragung von Bürgerinnen und Bürgern den Sprung in die Top10 der drängendsten Probleme schaffen – ein deutliches Zeichen dafür, dass der bekannte Literary Digest-Effekt (mangelnde Repräsentanz selbtselektiver Befragungen auch bei großen Teilnehmerzahlen) höchstwahrscheinlich auch beim Zukunftsdialog gegriffen hat. Aufgrund der Tatsache, dass sich an der Abstimmung in der ersten Kategorie deutlich mehr Menschen beteiligt haben, als an den Abstimmungen in den Folgekategorien, wären dies jedenfalls die zehn Themen, die im Sommer im Bundeskanzleramt zu diskutieren wären, würde man die hier getroffene Ankündigung (“…jener zehn Vorschläge, denen die meisten Nutzer ihre Stimme gegeben haben…”) 1:1 umsetzen. Da dies allerdings bedeuten würde, dass aus den beiden anderen Kategorien gar kein Vorschlag zum Tragen käme (es sei denn durch Expertenauswahl), gehe ich mal davon aus, dass dieses Verfahren vermutlich noch einmal modifiziert wird.
Der von Florian beworbene und äußerst unterstützenswerte Vorschlag zur Verbesserung des Verbraucherschutzes bei esoterischen Angeboten liegt übrigens derzeit auf dem 67. Platz und dürfte damit keine Chance mehr auf eine herausragende Platzierung haben – dennoch kann und sollte man ihm natürlich bis Sonntag noch seine Stimme geben…
In der zweiten Kategorie – “Wovon wollen wir leben?” liegen derzeit diese Ideen und Anregungen auf den ersten zehn Plätzen:
1. Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (49.378)
2. Abschaffung des Euros zugunsten von Warengeld (17.469)
3. Stopp des Beschäftigtendatenschutzgesetzes (16.737)
4. Schutz vor Emissionen aus Laserdruckern und Kopiergeräten (8.262)
5. Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (7.470)
6. Verwirrender Vorschlag zur Neustrukturierung der Arbeitswelt (7.435)
7. Einführung einer Finanztransaktionssteuer (6.594)
8. FREIE ENERGIE FÜR ALLE! (ja, wirklich) (5.999)
9. Keine(!) Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (5.363)
10. Legalisierung diverser Drogen (4.625)
…
14. Verbesserung der prekären Arbeitssituation vieler Nachwuchswissenschaftler (3.555)
Verbesserung der prekären Arbeitssituation vieler Nachwuchswissenschaftler
Damit der Wissenschaftsstandort Deutschland in einer globalisierten akademischen Welt seine hohe Attraktivität behält und wissenschaftliche Talente nicht ins Ausland abwandern, sind die Arbeitsbedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs an deutschen Hochschulen – insbesondere im Hinblick auf die oft prekären Arbeitsverhältnisse – nachhaltig zu verbessern.
Zahlreiche Doktoranden und Nachwuchswissenschaftler hangeln sich derzeit in der Praxis von einem befristeten Teilzeit-Vertrag zum nächsten, bis entweder die Förderkette abreißt oder der Frust so groß wird, dass die Wissenschaft oder eben der Standort Deutschland verlassen wird. Über 80% unseres wissenschaftlichen Nachwuchses sind nur befristet beschäftigt, ein Großteil davon lediglich in Teilzeit. In der seitens der Politik richtigerweise angestrebten “Bildungsrepublik” sollten jedoch gerade für Hoch- und Höchst- qualifizierte in öffentlichen Beschäftigungsverhältnissen bessere Konditionen darstellbar sein, um auch dem wissenschaftlichen Nachwuchs die Möglichkeit der Karriere-; Familien- und persönlichen Lebensplanung zu eröffnen.
Ein paar hundert Klicks mehr könnten hier also theoretisch ausreichen, um das Scilogs- und ScienceBlogs-Dauerbrennerthema “prekäre Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft” in die Top10 dieser Kategorie zu hieven – obwohl ich stark bezweifele, dass dies wirklich noch gelingen kann. Besser sieht es da in der dritten Kategorie – “Wie wollen wir lernen?” – aus, deren Top10 sich derzeit wie folgt zusammensetzt:
1. Einführung eines zentralistischen Bildungssystems (15.757)
2. Verbesserte Förderung hochbegabter Kinder (11.607)
3. Einführung von verpflichtendem Schachunterricht an Grundschulen (6.236)
4. Äußerst undurchsichtiger, da praktisch inhaltsleerer Vorschlag zum Schulwesen (5.363)
5. Verpflichtende Veggie-Tage an öffentlichen Einrichtungen (4.900)
6. Regelmäßige Auszeichnungen für alle Lehrkräfte (4.305)
7. Freier Zugang zu öffentlich finanzierter Forschung (4.202)
8. Mehr Unterstützung für (Bildungs-)Fördervereine (4.136)
9. Integration von Mindfullness Based Stress Reduction in den Schulunterricht (4.012)
10. Erhalt von Bibliotheken zur Pflichtaufgabe des Bundes machen (3.779)
Freier Zugang zu öffentlich finanzierter Forschung (Open Access)
Damit die Ergebnisse von in Deutschland staatlich geförderter wissen- schaftlicher Forschung möglichst vielen Studierenden, Wissenschaftlern und anderen Interessenten – national wie international – zur Verfügung stehen, sollte sich die Bundesregierung für eine konsequente Umsetzung des Open Access-Prinzips in der öffentlich geförderten Forschung einsetzen.
Dies bedeutet, dass es Wissenschaftlern künftig in stärkerem Umfang ermöglicht werden muss, in wissenschaftlichen Fachzeitschriften er- schienene Forschungsergebnisse, die aus staatlich geförderter Forschung hervorgegangen sind, auch der interessierten Öffentlichkeit kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Die deutschen Steuerzahler gehören zu den groß- zügigsten Förderern wissenschaftlicher Forschung weltweit und dürfen zu Recht erwarten, freien Einblick in die Ergebnisse der von ihnen finanzierten Forschung zu erhalten, so diesem Einblick im Einzelfall keine bedeutsamen Gründe entgegenstehen.
Hier würden schon knapp 100 Stimmen mehr ausreichen, um das Thema “Open Access in der Wissenschaft” auf den 6. Platz vorrücken zu lassen – und auch die Top5 scheinen mir hier noch tatsächlich erreichbar zu sein. Ich würde mich daher sehr freuen, wenn alle, die dieses Thema voranbringen möchten, den Vorschlag in den kommenden vier Tagen noch bewerten, kommentieren, weiterempfehlen und verlinken würden. Selbst wenn es sicher nicht gelingen wird, in die Endauswahl der Top10-Bürgervorschläge zu kommen, wäre eine Platzierung unter den Top5 in der Kategorie Bildung dennoch ein starkes Signal pro Open Access.
Vielleicht klappt es ja…
Nur mal zum Vergleich: Die Suche nach “islamkritisch” führt zu 24.300 Treffern bei Google, die Suche nach “christentumskritisch” nur zu 106 Treffern, bei “buddhismuskritisch” kommt man gar auf lediglich 4 Treffer. Zumindest im Internet lässt sich die beim Zukunftsdialog beklagte “Unterdrückung von Islamkritik” also schon mal nicht feststellen…
Kommentare (9)