Van Howe behauptet in seinen Arbeiten folgendes:
- Die Beschneidung sei nicht kosteneffektiv.
- Sanftere Behandlungsmethoden seien der medizinisch indizierten Beschneidung bei Vorhautverengungen vorzuziehen.
- Die in der Fachliteratur diskutierten Vorteile seien nicht vorhanden.
- Eine Beschneidung wirkt sich negativ auf das sexuelle Empfinden und die Funktion aus.
- Das Wissen um die Vorteile der Beschneidung fördere riskanteres Sexualverhalten.
- Die Komplikationsrate bei Beschneidungen sei aussergewöhnlich hoch. “Phimose (1-2%)” wird u.a. als Komplikation einer Beschneidung angegeben.
- HIV würde in Afrika vornehmlich durch Ärzte übertragen.
Ich denke nicht, dass man zu den Punkten etwas sagen muss, denn zu jedem einzelnen existiert eine Fülle von medizinischer Fachliteratur inklusive Reviews, die von van Howe nur äusserst selektiv und sparsam zitiert wird, – abgesehen natürlich von den letzten beiden absurden Punkten, bei denen es einem auch als Laien die Sprache verschlägt.
Niederschmetternde Kritik zu van Howes Review findet man aber gleich in der nächsten Ausgabe der Zeitschrift hier und hier. Auch interessant ist die Abbildung 1 in van Howes Review, die wegen fehlender Skalierung der Achsen komplett leer ist – man fragt sich wirklich, wie es eine solche Arbeit durch den Peer-Review schafft: es sind ja nicht einmal formale Mindeststandards erfüllt.
Auch wenn der Titel dieses Reviews recht vielversprechend ist, erfüllt er nicht die Erwartungen. In diesem Review wird die Literatur nach sehr strengen Regeln durchfiltert, so dass von 1200 Studien nur noch 8 Studien in die engere Auswahl genommen werden. Themen dieser 8 Studien sind hauptsächlich HIV-Prävention durch Beschneidung in Afrika (3 Studien), das sexuelle Risikoverhalten (1 Studie), die sexuelle Befriedigung und Funktion (1 Studie) und weitere Studien zur Sicherheit der Beschneidung und dem Schmerzempfinden. Das Fazit aus diesen Studien lautet gemäss Review:
- Schwere Komplikationen infolge von Beschneidungen sind selten. Insbesondere wird von keinen Todesfällen berichtet.
- Genitalgeschwüre sind bei Beschnittenen signifikant seltener als bei Unbeschnittenen.
- Beschnittene Männer in einigen afrikanischen Ländern stecken sich signifikant seltener mit HIV an.
- Die Beschneidung erwachsener Männer beeinflusst nicht die sexuelle Befriedigung und Funktion.
Ausserdem zweifeln die Autoren daran, dass die Ergebnisse aus den Studien zur HIV-Prävention der Beschneidung auf andere Länder übertragbar sind. Unklar sei auch, ob die Beschneidung von Erwachsenen zu einem Rückgang sexuell übertragbarer Krankheiten, Harnwegsinfektionen und Peniskrebs führt. Die Autoren empfehlen keine umfassende prophylaktische Beschneidung Neugeborener, weil die Studienlage dazu zu dürftig sei.
Die letzten zwei Aussagen führten zu heftigem Widerspruch in den Kommentaren zu diesem Review. Denn die strengen Anforderungen an das Studiendesign sind aus ethischen Gründen nur schwer zu erfüllen. Ausserdem wird den Autoren vorgeworfen, einige Studien nicht zu zitieren (“Cherry-picking”). Problematisch in diesem Zusammenhang ist wohl auch die Aktualität: Die Autoren haben in dem 2010 publizierten Review nur Literatur bis zum Jahr 2008 berücksichtigt. Inzwischen hat sich die Studienlage aber dramatisch verändert was unter anderem daran auffällt, dass in vielen der Kommentare deutlich mehr Zitate enthalten sind als im Review selbst, der es nur auf lausige 29 Zitate bringt. So wird z.B. ein Cochrane Review (das ist eine qualitativ besonders hochwertige Arbeit) von 2009 zu dem Thema nicht zitiert. Damit ist dieser Review bereits bei dessen Publikation veraltet gewesen.
Brian J. Morris et al., “Infant male circumcision: An evidence-based policy statement” (2012)
Dieser Review ist mit Abstand der aktuellste, vollständigste und umfassendste zur prophylaktischen Beschneidung von Jungen. Eine themenspezifische Suche auf PubMed liefert diesen Review als inhaltlich einzigen passenden Treffer in einer überschaubaren Liste. Natürlich gibt es noch weitere detailliertere Reviews zu Einzelaspekten der Beschneidung, diese werden aber a) alle im Morris-Review zitiert und kommen b) alle bis auf ganz wenige Aussnahmen zum gleichen Fazit. Die knapp 200 zitierten Fachpublikationen zeugen ebenfalls von der Qualität des Reviews. Es wird die gesamte relevante Literatur zum Thema nach einem standardisiertem Verfahren bewertet und übersichtlich dargestellt. Es werden die Vorteile und Risiken der Beschneidung gegenübergestellt und quantitativ bewertet. Zusätzlich wird auch noch ein Mass für die Verlässlichkeit der gemachten Aussagen angegeben. Der Review zitiert nicht nur einseitig Fachpublikationen die die prophylaktische Beschneidung befürworten oder kritisieren, sondern berücksichtigt beides und deckt von den Themen alles ab, was bisher in der Literatur diskutiert wurde (ca. 15 Krankheiten, Kosteneffektivität, Hygiene, sexuelle Empfindsamkeit/Befriedigung/Funktion, Beschneidungstechniken, Betäubung, Komplikationen und ethische Gesichtspunkte).
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