Eigentlich sollten das alles Selbstverständlichkeiten für einen Review sein – wie man aber an den obigen (z.T. abschreckenden) Beispielen sieht, ist dem leider nicht so.
Eine praktische und allgemeinverständliche Zusammenfassung der Fachliteratur findet sich in Tabelle 1. Laut dieser Tabelle sind die Vorteile der prophylaktischen Beschneidung laut Fachliteratur überwältigend. Greift man sich die relevantesten Vorteile der Beschneidung heraus, so vermeiden
- 4 Beschneidungen einen Fall von Harnwegsinfektion
- 10 Beschneidungen einen Fall von Candidiasis
- 6 Beschneidungen einen Fall von Prostatakrebs
- 10 Beschneidungen einen Fall von Balanitis
- 10 Beschneidungen einen Fall von Phimose
- 2 Beschneidungen einen Fall von hoch-risiko HPV
- 5 Beschneidungen einen Fall von Genitalherpes
während die Risiken nahezu vernachlässigbar sind.
Interessant ist auch, dass das sonst in der Diskussion so dominante Thema HIV und Peniskrebs in entwickelten Ländern den mit Abstand unbedeutendsten Grund darstellt, Jungen zu beschneiden.
Das Fazit des Reviews lautet:
MC [Anm.: Male circumcision] has no adverse effect on sexual function, sensitivity, penile sensation or satisfaction and may enhance the male sexual experience. Adverse effects are uncommon (<1%), and virtually all are minor and easily treated. For maximum benefits, safety, convenience and cost savings, MC should be performed in infancy and with local anesthesia. A risk-benefit analysis shows benefits exceed risks by a large margin. Over their lifetime up to half of uncircumcised males will suffer a medical condition as a result of retaining their foreskin. The ethics of infant MC and childhood vaccination are comparable. Our analysis finds MC is beneficial, safe and cost-effective, and should optimally be performed in infancy.
Fazit
Die Argumentation aus Sicht der Ärzte, sowie die wissenschaftliche Fachliteratur und damit der Standpunkt der Evidenzbasierten Medizin wird in der öffentlichen Diskussion zur Beschneidungsfrage so gut wie komplett ignoriert. Dabei dient laut Fachliteratur die prophylaktische Beschneidung eindeutig dem Kindeswohl. Und damit haben sich auch alle juristisch komplizierten Argumente erledigt, die für den Fall zu berücksichtigen wären, dass es keinen Konsens in der Fachliteratur gäbe, dass die Beschneidung aus medizinischer Sicht kindeswohlneutral wäre oder eine (leicht) negative Bilanz vorweisen würde. Nur in diesen Fällen müsste nämlich tatsächlich das Kindeswohl (dem Verfassungsrang zukommt) in praktischer Konkordanz mit dem Recht auf Religionsfreiheit und der Fürsorgepflicht der Eltern gebracht werden.
Ein Blick in die medizinische Fachliteratur verrät aber, dass dies nicht notwendig ist, da die überwältigende Mehrheit der Publikationen die prophylaktische Beschneidung als positiv zu bewertende Gesundheitsmassnahme sieht. Und Eltern die sich für eine lege artis ausgeführte Massnahme entscheiden, die dem Kindeswohl dient, ist kein Vorwurf zu machen. Egal ob die Eltern nun religiöse, ästhetische, traditionelle oder einfach nur medizinische Motive angeben: was dem Kindeswohl dient, kann nicht verboten sein.
Disclaimer
Nachdem ich in Diskussionen zu diesem Thema immer wieder gefragt wurde hier meine persönliche Ansicht: Ich selbst würde Kinder aus den gleichen Gründen wie Jürgen Schönstein nicht beschneiden lassen – auch wenn die wissenschaftliche Evidenz absolut überzeugend ist. Aber das wäre meine private (und meinetwegen irrationale) Entscheidungen, und diese sollte man nicht dazu missbrauchen um sich den Stand der medizinischen Forschung so zurechtzubiegen, dass er das persönliche Weltbild befriedigt. Kurz: Ich bin absolut gegen die Beschneidung von Kindern – setze mich aber trotzdem dafür ein, dass Eltern die Wahlfreiheit haben, solange die Fachliteratur auf ihrer Seite ist.
Soviel zum Eingangszitat von Voltaire…
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