Im dritten und letzten Teil meiner kleinen Gegenüberstellung der Bundestags-Wahlprogramme soll es heute – am Vorabend der Bundestagswahlen – um ein Problem gehen, das hier auf den ScienceBlogs und mehr noch auf den Scilogs in den letzten Jahren intensiv diskutiert wurde: Die noch zu oft beklagenswerten Möglichkeiten der Karriere- und damit auch der Familienplanung für Nachwuchswissenschaftler, die über Jahre und bisweilen sogar Jahrzehnte trotz teils extrem hoher Leistungserwartungen in immer wieder neu befristeten Teilzeitverträgen gefangen sind. Welche Lösungsansätze finde sich nun in den Wahlprogrammen der (demokratischen und chancenreichen) Parteien für dieses Problem der prekären Beschäftigung an Hochschulen?

CDU/CSU
(Link zum Vollprogramm – “Gemeinsam erfolgreich für Deutschland”)

Die Beschäftigungssituation von Nachwuchs-Wissenschaftlern hat sich positiv entwickelt. Mit mehr als einer halben Millionen Mitarbeitern sind so viele Menschen wie noch nie an deutschen Hochschulen beschäftigt. Das ist ein starkes Signal für die Zukunft. Zugleich steigen damit die Erwartungen an eine bessere Planbarkeit von wissenschaftlichen Karrieren. Hier wollen wir gemeinsam mit den Hochschulen gerade für den akademischen Mittelbau neue Akzente setzen, beispielsweise mit einem Förderprogramm für verlässliche Karrierewege an Hochschulen. Befristungen im akademischen Mittelbau wollen wir abbauen. – Seite 37

FDP
(Link zum Vollprogramm – “Damit Deutschland stark bleibt”)

„Wir setzen uns für eine Flexibilisierung der Personalstrukturen an Universitäten und einen flächendeckenden Wissenschaftstarifvertrag ein, der es ermöglicht, Fachkräfte in Forschung und Lehre ihren Aufgaben angemessen zu beschäftigen und attraktivere Bedingungen für den Mittelbau und den hoch qualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchs zu schaffen.“ – Seite 29

SPD
(Link zum Vollprogramm – “Das WIR entscheidet”)

„Das Prinzip der „Guten Arbeit” muss auch in Wissenschaft und Forschung gelten. Wir wollen für Tätigkeiten in Wissenschaft und Forschung mehr unbefristete Beschäftigungschancen und verlässliche Berufsperspektiven schaffen, auch und gerade jenseits der Professur auf Lebenszeit, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Klar ist aber auch, dass Befristungen und Zeitverträge bei Qualifizierungsstellen nicht zu vermeiden sind. Wir werden im Wissenschaftszeitvertragsgesetz Mindeststandards für Befristungen schaffen und für mehr Gestaltungsspielräume der Tarifparteien sorgen. Um den zahlreichen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern, die insbesondere im Rahmen der Exzellenzinitiative in das deutsche Wissenschaftssystem gekommen sind, verlässliche Karriereperspektiven zu bieten, brauchen wir zusätzliche Stellen in allen Personalkategorien: Professuren, Juniorprofessuren und akademischer Mittelbau.“ – Seite 48

Bündnis 90/Die Grünen
(Link zum Vollprogramm – “Zeit für den grünen Wandel”)

„In Deutschland zählen selbst gestandene WissenschaftlerInnen bis ins fünfte Lebensjahrzehnt zum abhängigen Nachwuchs. Selbständige Forschung ist hier nicht vorgesehen. Lehre wird immer häufiger mit gering bezahlten Lehraufträgen abgedeckt. Wir fordern einen langfristig angelegten „Pakt für zukunftsfähige Personalstrukturen und den wissenschaftlichen Nachwuchs“. Dazu gehören die Veränderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, Mindeststandards für vernünftige Beschäftigungsverhältnisse und neue Personalkategorien jenseits der Professur. Die Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sollen verbindliche Verpflichtungen für eine nachhaltige Personalentwicklung eingehen. Kontrollmechanismen sollen eingeführt werden, um zu vermeiden, dass die Hochschulen Lehraufträge als Mittel benutzten, um über extrem kostengünstige und recht- und schutzlose Lehrkräfte zu verfügen. Zusätzlich wollen wir mit der Neuauflage des Juniorprofessurenprogramms 1.000 neue Juniorprofessuren mit Tenure Track initiieren. Das heißt, nach positiver Evaluation soll ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis eröffnet werden.“ – Seite 113

LINKE
(Link zum Vollprogramm – “100% sozial”)

„Gute Wissenschaft braucht gute Arbeitsbedingungen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Für Daueraufgaben müssen Dauerstellen geschaffen werden. Die Promotion sehen wir als Einstieg in die wissenschaftliche Berufslaufbahn. Sie sollte in der Regel auf einer tariflichen Stelle absolviert werden, die die Arbeit an der eigenen Qualifikation in der Arbeitszeit ermöglicht. (…) Befristete Arbeitsverhältnisse sollen nur für wissenschaftliche Qualifikationsprojekte und für die gesamte Dauer des Vorhabens abgeschlossen werden. Für bessere Arbeitsbedingungen im wissenschaftlichen Mittelbau schlagen wir ein bundesfinanziertes Anschubprogramm für 100 000 unbefristete Stellen vor. – Seite 37/38

Piratenpartei
(Link zum Vollprogramm – “Wir stellen das mal infrage”)

Die Piratenpartei Deutschland spricht sich dafür aus, § 2 Absatz 1 des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) zu streichen. Das WissZeitVG ist so zu überarbeiten, dass befristete Verträge mit nach oben offener Laufzeit für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf Haushalts- und Drittmittelstellen vergeben werden können, ohne eine Maximalbeschäftigungsgrenze zu benennen.“ – Seite 46

Kurzfazit

Folgt man den Wahlprogrammen, haben alle relevanten Parteien das Problem der oft prekären Beschäftigungsverhältnisse in der Wissenschaft erkannt und sprechen sich für einen Abbau von Befristungen und eine Verbesserung der Arbeitsverhältnisse aus. Konkrete Vorschläge zur Veränderung des Status Quo finden sich dabei insbesondere bei den Grünen und den Sozialdemokraten, die auch als einzigen Parteien den durchaus interessanten Gedanken aufgreifen, wissenschaftliche „Karriereendziele“ jenseits des Professorenstands zu etablieren. Das größte konkrete Versprechen gibt sicherlich die LINKE mit der geplanten Schaffung von 100.000 unbefristeten Stellen im wissenschaftlichen Mittelbau ab, wobei jedoch die Frage der Finanzierung unberührt bleibt. Das einzige der sechs Wahlprogramme, das im Hinblick auf die Planbarkeit von Karriereweg und Familienleben junger Nachwuchswissenschaftler eine bereits heute grundsätzlich positive Entwicklung ausdrücklich attestiert, ist das der CDU/CSU.

Wie auch die beiden letzten Blogposts zum Thema möchte ich diesen mit der Frage an die geschätzten Leserinnen und Leser schließen: Was sollte eurer Meinung nach getan werden, um die Familien- und die Karriereplanbarkeit in der Wissenschaft zu verbessern – oder muss hier vielleicht gar nichts verbessert werden? Welche alternativen Hochschulkarrieren, die nicht auf eine eigene Professur abzielen, wären eurer Ansicht nach vorstellbar? Würden eher mehr oder eher weniger Nachwuchswissenschaftler promovieren, wenn Promotionsvorhaben nur noch auf festen und tarifgebundenen Stellen absolviert werden könnten?

Und nicht vergessen: Wer nicht zur Wahl geht, darf hinterher auch nicht jammern!

Kommentare (5)

  1. #1 Sven Türpe
    22. September 2013

    Die andere Seite der Medaille: Wie bildet man leistungsfähige Teams, die auf Weltniveau mithalten können, wenn ein Gutteil des Personals seinen letzten Karriereschritt hinter sich und keine wissenschaftlichen Ziele mehr hat? Mit einer Gurkentruppe ist keine Spitzenforschung zu machen und eine unkündbare Gurkentruppe wird ehrgeizigem Nachwuchs nur im Weg stehen, wenn nicht gar Beine stellen.

  2. #2 Michel
    22. September 2013

    Der ehrgeizige Nachwuchs von heute ist die gurkentruppe von morgen? Da ist gut möglich. Aber spitzenforscher können sich normalerweise ihre Arbeitsstätte auswählen, der gute Durchschnitt nicht. Und Selbst die besten der besten handeln sich gerne unbefristete Stellen aus. Mein Eindruck ist, dass spitzenforscher mangelnden Erfolg durchaus zu spüren bekommen, wie durch stellenstreichungen und weiger finanzielle Mittel. Regelmäßige Evaluationen der Leistungen von z.B. Professoren, könnten dann wieder finanzielle Mittel für junge dynamischere Forscher freisetzen. Und außerdem heißt unbefristet nicht unkündbar. Sollte der Etat einer Uni mal kollabieren, könnten auch Mitarbeiter mit unbefristeten Verträgen gekündigt werden.

  3. #3 Sven Türpe
    24. September 2013

    Wenn wir Kündigungen als Mittel zur Steuerung des Ressourceneinsatzes akzeptieren — was spricht dann noch gegen befristete Verträge? Das Fristende ist abseh- und planbar, die (hypothetische) Kündigung aufgrund der veränderten Forschungsstrategie einer Institution ist es nicht. So gesehen können Zeitverträge — in vernünftiger Länge, nicht in Halbjahresschritten — eine Laufbahn strukturieren und an definierten Zeitpunkten eine Entscheidung über Fortführung oder Ausstieg erzwingen.

  4. #4 Dr. Webbaer
    26. September 2013

    Folgt man den Wahlprogrammen, haben alle relevanten Parteien das Problem der oft prekären Beschäftigungsverhältnisse in der Wissenschaft erkannt und sprechen sich für einen Abbau von Befristungen und eine Verbesserung der Arbeitsverhältnisse aus.

    Dass ein derartiger Gedankengang oder eine derartige Forderung in die Hände von Linksparteien führt, liegt auf der Hand.

    Beschäftigungsverhältnisse gelten nach allgemeinem Dafürhalten als sinnvoll oder gelungen oder Mehrwert generierend, wenn der Beschäftigungsgeber bedingt durch eigenen Erfolg zahlungsfähig wie -willig ist.

    Das Zauberwort ist hier das ‘prekär’, das Bittende, das die Fürsorge Tragende oder Erbittende.
    Davon muss die ausgebildete Kraft weg, auch vom Gedanken Ansprüche stellen zu können qua Bildung.
    Wer etwas gelernt hat, das nicht angefordert wird, hat Pech gehabt.

    Wenn stattdessen der Ausbau des genannten wissenschaftlich ausgebildeten Präkariats gefordert wird, das natürlich nicht so genannt werden soll, landet eben bei den Linksparteien.

    MFG
    Dr. W

  5. #5 Andreas
    1. Oktober 2013

    @Sven Türpe: Nirgendswo sonst auf der Welt ist man auf die Idee gekommen, dass es eine gute Idee sei, hochintelligente Menschen 10 Jahre lang mit Zeitverträgen von der Familiengründung abzuhalten und danach ein landesweites Berufsverbot auszusprechen. Geh mal die Liste der Leopoldina durch und schau mal wer von Deutschlands Spitzenforschern überhaupt noch in Deutschland lebt oder arbeitet. Abgesehen davon wird an den Unis nicht nur geforscht sondern auch gelehrt. Interessanterweise ist dieser zynischer Umgang mit jungen Wissenschaftlern eine Idee der ach so sozialen Rot-Grünen Regierung.