Knochen ist eines der faszinierendsten Materialien überhaupt – bezogen auf sein Gewicht, ist seine Festigkeit bei Biegung beispielsweise größer als die von Stahl. Seit kurzem weiß man, dass für die Festigkeit von Knochen vermutlich der Zufall eine wichtige Rolle spielt: Unregelmäßig angeordnete Ionen verhindern, dass Knochen spröde ist wie eine Porzellantasse.


Bevor wir dem Zufall auf die Spur kommen, ein kurzer Blick auf die Knochenstruktur (wirklich kurz, darüber könnte man ne Vorlesung halten – tue ich übrigens auch…).

Knochen ist ein sogenanntes hierarchisch aufgebautes Material. Kleine Bestandteile schließen sich zu größeren zusammen, die zu noch größeren, und immer so weiter. Das folgende Bild gibt einen Überblick:

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(Aus : Annu. Rev. Mater. Res. 2010.40:25-53. On the Mechanistic Origins of Toughness in Bone. Maximilien E. Launey, Markus J. Buehler, and Robert O. Ritchie, allerdings mit korrigiertem Druckfehler)
Wir machen einen Schnelldurchlauf von oben nach unten: Knochen hat massive und eher poröse Bereiche. In den massiven Bereichen besteht der Knochen (bei erwachsenen Säugetieren) vor allem aus ringförmigen Strukturen, sogenannten Osteonen. Die bilden sich immer wieder neu, weil sich der Knochen ständig selbst erneuert. (Das ist wichtig, weil dadurch Mikrorisse geheilt werden.)
Die Ringe der Osteonen sind Lamellen, die aus Faserbündeln zusammengesetzt sind. Die Faserbündel wiederum bestehen aus Fasern, die oft auch Fibrillen genannt werden.
Die Fasern sind ihrerseits zusammengesetzt aus Kollagenmolekülen (einem Protein) und keramischen Plättchen. Kollagenmoleküle bestehen wiederum aus Aminosäuren.

Man kann sich sicherlich leicht vorstellen, dass das Verhalten von Knochen entsprechend kompliziert ist, wenn man ihn belastet. Die Osteonen können sich relativ zum umliegenden Knochen verschieben, in den Lamellen kann auch viel passieren, Faserbündel können aneinander abgleiten – alles in allem ein extrem verwirrendes System.

Heute interessiere ich mich aber nur für die ganz kleinen Längen: den Verbund aus Kollagenmolekülen und keramischen Plättchen. Die Keramik, die hier zum Einsatz kommt, ist ein Kalziumphosphat (deswegen ist Milch auch gut für die Knochen, weil da viel Kalzium enthalten ist.) namens Hydoxyapatit, kurz HAP. Keramiken (wie beispielsweise Porzellan) sind bekanntlich spröde, das heißt sie brechen, ohne sich dabei stark zu verformen, anders als zum Beispiel ein Metall, das man ziemlich stark biegen kann, bevor es endlich bricht.

Ist ein Werkstoff spröde, so braucht man wenig Energie, um ihn zum Brechen zu bringen (auch wenn man vielleicht kurzfristig viel Kraft braucht). Ist er dagegen zäh (der Experte spricht auch von “bruchzäh”), dann braucht man viel Energie, um ihn zu zerbrechen. Knochen sollte besser nicht zu spröde sein, den wir wollen uns ja nicht dauernd die Knochen brechen. HAP ist als Keramik zwar ziemlich belastbar unter Druck, unter Zuglast allerdings bricht HAP vergleichsweise leicht. Zum Glück sind die HAP-Kristalle extrem klein – selbst wenn einer brechen sollte, kann sich der entstehende Riss nicht so leicht ausbreiten, denn Risse breiten sich um so schwerer aus, je kürzer sie sind. (Deswegen bringt man sich immer halb um, wenn man versucht, eine Packung an einer dieser winzigen Perforationen aufzureißen – wenn der Riss ein Stück größer geworden ist, geht’s plötzlich ganz leicht.)

Andererseits sind sehr kleine Plättchen natürlich auch problematisch: Sie sind ja in eine Matrix aus Kollagen eingebettet – damit sie überhaupt etwas nützen, muss eine außen aufgebrachte Last natürlich auch irgendwie in die Plättchen übertragen werden.

Hierzu gab es nun letztes Jahr eine interessante Untersuchung, von der ich auf einer Konferenz (ICSMA 2009) gehört habe – die Arbeit ist aber inzwischen auch in Nano letters veröffentlicht, siehe unten.

Die Idee wird in folgendem Bild deutlich (aus Hartmann et al., s.u.):

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Links sieht man einen Querschnitt durch eine Kollagen-HAP-Faser. In grau sind die Keramikplättchen eingezeichnet, dazwischen in Orange das umgebende Protein. (Die roten und blauen Kringel sind wie das zweite Loch in ner Dampfmaschine – die kriegen wir später.) Wenn man jetzt an der Faser zieht, dann wird oben an den Keramikplättchen gezogen. Zwischen übereinanderliegenden Plättchen herrscht keine starke Bindungskraft, deswegen entstehen Lücken (in gelb). Die Kraft (rote Pfeile) muss von einem Plättchen über die Proteinmatrix in das nächste Plättchen übertragen werden. Dabei dehnt sich die Faser ein bisschen, nämlich um Δx – die Plättchen selbst dehnen sich nicht, dafür sind sie zu steif.

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Kommentare (11)

  1. #1 stefan
    29. August 2010

    Danke für deine Blogeinträge! Nicht nur den hier, auch die anderen vorher… sie machen mir Spass, sind interessant, gut zu lesen und überhaupt. Klasse 🙂

  2. #2 Webbaer
    29. August 2010

    Sehr interessant, außerdem sehr produktiv zurzeit, gell.
    Bei Knochen hat die Natur auch fleißig geübt. 🙂

    MFG
    Wb

  3. #3 kommentarabo
    29. August 2010

  4. #4 Jörg
    29. August 2010

    Ich bin jetzt nur kurz über das Paper geflogen, wenn ich das richtig sehe ist ein Monte Carlo-Schritt eine Umpositionierung eines Ions. Und dann werden 1000 Konfigurationen erzeugt und die Kurven daraus abgeleitet. Da wäre es doch recht einfach, aus den Sprüngen Metropolis-Schritte zu machen und direkt eine Optimierung zu versuchen? Bestimmt gibt es auch etwas ähnliches wie die Geostatistik, in dem man dann versuchen kann optimale Konfigurationen durch räumliche Korrelationen auszudrücken?

  5. #5 Jörg
    29. August 2010

    Ich bin jetzt nur kurz über das Paper geflogen, wenn ich das richtig sehe ist ein Monte Carlo-Schritt eine Umpositionierung eines Ions. Und dann werden 1000 Konfigurationen erzeugt und die Kurven daraus abgeleitet. Da wäre es doch recht einfach, aus den Sprüngen Metropolis-Schritte zu machen und direkt eine Optimierung zu versuchen? Bestimmt gibt es auch etwas ähnliches wie die Geostatistik, in dem man dann versuchen kann optimale Konfigurationen durch räumliche Korrelationen auszudrücken?

  6. #6 Jörg
    29. August 2010

    Ich bin jetzt nur kurz über das Paper geflogen, wenn ich das richtig sehe ist ein Monte Carlo-Schritt eine Umpositionierung eines Ions. Und dann werden 1000 Konfigurationen erzeugt und die Kurven daraus abgeleitet. Da wäre es doch recht einfach, aus den Sprüngen Metropolis-Schritte zu machen und direkt eine Optimierung zu versuchen? Bestimmt gibt es auch etwas ähnliches wie die Geostatistik, in dem man dann versuchen kann optimale Konfigurationen durch räumliche Korrelationen auszudrücken?

  7. #7 MartinB
    30. August 2010

    @Jörg
    Ich denke, da könnte man sicher eine optimale Konfiguration suchen – ist nur die Frage, was man optimieren will. Im paper wurde die Ladungsdichte variiert. Man könnte natürlich auch teilgeordnete Strukturen ansehen. Die Frage ist vermutlich eher, woher man eine Idee bekommt, in welche Richtung das in der Realität geht, aber da ist sicher noch ne Menge Spielraum.

  8. #8 roel
    30. August 2010

    @MartinB “…Dass sie stattdessen zäh und nicht spröde sind, verdanken sie also dem Zufall – genauer gesagt, der zufälligen Anordnung von Ionen.” Ist Evolution Zufall oder gibt es Zwangsläufigkeiten? Leider habe ich momentan nicht die Zeit zur eigenen Recherche, spielen die Ionen bei der Glasknochenkrankheit eine Rolle?

  9. #9 MartinB
    30. August 2010

    @roel
    Zufall im Evolutionssinn meinte ich nicht, das wär ja ne ganz andere Frage…

    Nein, Glasknochenkrankheit (ist eigentlich nicht eine Krankheit) hat was mit den Kollagenfasern zu tun – bei den bösen Spielarten ist ein Glycin im Kollagen durch eine größere Aminosäure ersetzt, dadurch kann sich das Kollagen nicht mehr richtig zusammensetzen und die Faserbildung ist gestört.

  10. #10 Joe Dramiga
    3. September 2010

    Was hälst Du von Titan-Implantaten?

    Mediziner wollen Implantate dauerhafter und stabiler mit den Knochen des Patienten zu verbinden. Dafür muss der Knochenersatz jedoch so gestaltet sein, dass er ein Einwachsen begünstigt – mit Poren und Kanälen, durch die Blutgefäße und Knochenzellen ungehindert hindurch wachsen können. Material der Wahl bei Implantaten ist Titan der Legierung Ti6Al4V. Es ist langlebig, stabil und belastbar und wird vom Körper gut vertragen. Eher problematisch ist dagegen seine Verarbeitung: So reagiert Titan unter hohen Temperaturen mit Sauerstoff, Stickstoff und Kohlenstoff. Es wird dadurch spröde und brüchig. Entsprechend begrenzt ist die Palette der Produktionsverfahren.

    https://news.doccheck.com/de/article/201054-titanschaeume-ersetzen-verletzte-knochen/

  11. #11 MartinB
    3. September 2010

    @JoeDramiga
    Naja, Ti64 ist nicht mehr das höchste der Gefühle, hat hauptsächlich den Vorteil, relativ kostengünstig zu sein, weil es in großen Mengen produziert wird. Die Bearbeitbarkeit hat ein Forschungsprojekt bei uns am Institut übrigens deutlich verbessert, man legiert als Geheimzutat Lanthan dazu. Kann ich bei Gelegenheit auch mal was zu schreiben – leider hat sich bisher noch kein Großabnehmer gefunden…

    Viele Anwender nehmen inzwischen Ti6Al7Nb, weil Vanadium nicht so biokompatibel ist. Und dann gibt es noch Ti13Nb13Zr und TiMo15 und TiTa-Legierungen, die sind aber soweit ich weiß alle noch nicht in der Praxis wirklich verbreitet.

    Das mit den Schaumstrukturen ist so eine Sache, hat man vor 30Jahren schon mal mit CoCr-Legierungen versucht, hat aber das Problem, dass die Poren im Schaum ähnlich wie Anrisse wirken und die ermüdungsbeständigkeit in den Keller geht…