Und die Evolution schreitet ja auch voran und “erfindet” neue Merkmale, die es vorher nicht gab. Beispielsweise wäre es doch vielleicht sinnvoll, eine Gruppe aller gefiederten Tiere zu definieren. Irgendwo im Kladogramm wird dieses Merkmal zum ersten Mal auftauchen, und da können wir dann unsere Gruppe anfangen lassen. Alle Tiere, die jetzt von der ersten gefiederten Art abstammen, teilen zunächst dieses Merkmal – in der Sprache vom letzten Mal sind Federn eine Synapomorphie.
Nach dieser Logik setzt man also immer einen Schnitt an einem Punkt des Kladogramms an und fasst alle Tiere, die “oberhalb” dieses Punktes sitzen (die also von dem hypothetischen Tier, das an diesen Punkt gehört, abstammen) zu einer Gruppe zusammen. Diese Gruppe ist dann “monophyletisch” – sie hat nur einen Stamm. Die Vögel sind beispielsweise eine monophyletische Gruppe, die Ornithopoden ebenfalls:
Allerdings können sich Kladogramme natürlich auch ändern – beispielsweise, wenn man neue Fossilien findet. Deshalb ist es wichtig, dass man eine Definition für monophyletische Gruppen findet, die möglichst stabil ist. Meistens tut man dies über zwei (gelegentlich auch mehr) Arten und sagt beispielsweise “Die Dinosaurier sind die kleinstmögliche Klade, die sowohl Megalosaurus als auch Iguanodon enthält”:
Gelegentlich verwendet man auch – so wie oben bei den Federn – apomorphie-basierte Definitionen. Die haben allerdings – gerade in der Paläontologie – den Nachteil, dass das entsprechende Merkmal bei einigen Fossilien dann vielleicht nicht erhalten ist.
Nicht-monophyletische Gruppen
Andere vertraute Gruppen sind allerdings nicht monophyletisch – die “klassischen” Dinosaurier beispielsweise sind es nicht, weil von ihnen ja die Vögel abstammen. Fast man also alle Dinosaurier außer den Vögeln zusammen, dann muss man im Kladogramm zwei Schnitte setzen – einen dort, wo die Dinos anfangen, einen dort, wo die Vögel anfangen. Dieser zweite Schnitt ist – wie oben erläutert – noch ein bisschen willkürlicher als der erste. Die so definierten “Dinosaurier” sind dann keine monophyletische Gruppe, sondern sie sind “paraphyletisch”:
Paraphyletische Gruppen haben nicht nur eine Synapomorphie (also ein gemeinsames Merkmal, dass sie alle von ihren Vorfahren unterscheidet), sie haben auch irgendein Merkmal, das sich bei der “abgeschnittenen” Gruppe weiterentwickelt hat – ein “primitives” oder “basales” Merkmal, also eine Plesiomorphie.
Paraphyletische Gruppen sind deswegen in der phylogenetischen Nomenklatur nicht gern gesehen – alle Gruppen (die man auch als “Kladen” bezeichnet) sollen monophyletisch sein.
Noch schlimmer als paraphyletische Gruppen sind die polyphyletischen Gruppen, bei denen man zwei Gruppen zusammenfasst, ohne ihre Verbindungsglieder dabeizuhaben – beispielsweise könnte man Vögel und Säugetiere zur Gruppe der “Warmblüter” zusammenfassen; da die beiden dieses Merkmal aber höchstwahrscheinlich unabhängig voneinander entwickelt haben, ist das evolutionär betrachtet vollkommen unsinnig. Polyphyletische Gruppen beruhen typischerweise auf konvergenten Merkmalen, also eben solchen, die sich mehrfach unabhängig entwickelt haben.
Also: In der phylogenetischen Nomenklatur verwendet man nur monophyletische Bezeichnungen. Wenn wir also die Dinosaurier als Gruppe definieren wollen, dann bleibt uns nichts übrig, als auch die Vögel dazuzuzählen. Nach dieser Logik sind Vögel Dinosaurier. (Und das mag ein Grund sein, warum gerade Dinoforscher die phylogenetische Nomenklatur gern verwenden.)
Warum Menschen Fische sind
Nach der gleichen Logik allerdings sind Menschen Fische. Sie stammen nämlich – wie alle Landwirbeltiere – von Verwandten der Quastenflosser ab, die definitiv zu den Fischen gehören. Die Gruppe der Fische ohne Landwirbeltiere ist also paraphyletisch und damit pfui-bäh.
Man sieht schon, dass man sich nach dieser Logik von einigen vertrauten Tuergruppen verabschieden muss. Ein anderes Beispiel sind die Reptilien. Nach “klassischer” Sicht stammen ja Säugetiere und Vögel beide von urtümlichen Reptiliengruppen ab – die Säugetiere von den “säugetierähnlichen Reptilien”, die Vögel von einer anderen Gruppe, die man früher als “Thecodonten” bezeichnete. Schaut man auf das entsprechende Kladogramm, so erkennt man, dass die “Reptilien” – wenn man versuchen würde, sie monophyletisch zu definieren und die Säugetiervorfahren mit einschließen würde – sowohl Säugetiere als auch Vögel und eigentlich alle Landwirbeltiere umfassen, die amniotische Eier legen:
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