Das kleinste “Auto” der Welt ist klein. Winzig klein. Nicht bloß mikroskopisch klein, sondern kleiner. Also wirklich richtig mini-klein, es besteht nämlich nur aus einem einzigen Molekül. Hier ein Bericht über die erste Testfahrt.
O.k., was Kofferraum und Zahl der zu befördernden Personen angeht, kann es mit einem handelsüblichen Auto wie dem 1500TM nicht mithalten. Und auch auf einer handelsüblichen Straße (“Schlagloch bleibt Schlagloch”) kann dieses Nanoauto nicht fahren – stattdessen fährt es auf der Oberfläche eines Kupferkristalls.
Werfen wir erst mal einen Blick auf das neue Fahrzeug. Es besticht durch geradezu zeitloses Design im Crum-Brown-Stil
Die Schemazeichnung oben im Bild verdeutlicht die Struktur des Autos. Es verfügt über vier Räder, an jeder Ecke eins (das wiederum erinnert an den berühmten OMW 2000). Sie bestehen allerdings nicht aus Gummi (dessen Moleküle wären zu lang und verknäult), sondern aus drei aneinander gebundenen Molekülringen, die über eine einzelne Doppelbindung an den Fahrwerkteil unseres Moleküls gekoppelt sind – diese Doppelbindung ist die Achse, entlang derer die Räder sich drehen.
Das sieht man etwas deutlicher hier in diesem Bild des rechten Hinterrades:
Rot ist die Drehachse markiert, in blau sieht man eine Wechselwirkung zwischen einer Seitengruppe (eine Kohlenwasserstoffkette C6H13) und einem Teil des Rades. Diese Wechselwirkung ist jeweils für die Hälfte der Radumdrehung zuständig, wie wir gleich sehen werden.
Um den Drehmechanismus zu verstehen, werfen wir einen Blick auf das nächste Bild:
Dies zeigt das Rad in der Seitenansicht. Wir starten links oben. Durch elektronische Anregung (dazu komme ich gleich) kommt es zu einem Verkippen der Ringe um eine Vierteldrehung. (Das Fachwort im Bild lautet “double-bond isomerization” – wenn ich das richtig verstehe bedeutet das, dass sich die Bindung löst und in anderer Form neu wieder bildet.) Dann kommt es durch Schwingungen des Moleküls und Wechselwirkung mit der oben blau markierten Seitenkette (die hier im Bild verkürzt als ein schwarzes Kohlenstoffatom zu sehen ist) zu einer weiteren Drehung der Seitengruppe, die jetzt also um 180° verdreht ist, und das Spiel kann von vorn losgehen. Dass die Drehung immer nur in eine Richtung funktioniert, liegt an der nicht spiegelsymmetrischen Form des Moleküls – ich gebe aber freimütig zu, dass die chemischen Details jenseits meiner Fähigkeiten liegen.
Das Rad kann sich also drehen, und wenn man das mit allen vier Rädern macht, dann passiert das, was auch beim makroskopischen Auto passiert, wenn sich alle vier Räder drehen: Es fährt vorwärts. Anstatt einen mörderischen 30 Meter langen Testparcours zu durchfahren, fährt das Molekül im Experiment allerdings nur eine relativ kurze Strecke von etwa 6 Nanometern (was natürlich vom Umweltaspekt her abzulehnen ist, so kurze Strecken könnte man ja auch zu Fuß gehen), wie dieses Bild zeigt:
In zehn Schritten (also Umdrehungen der Räder) kommt man auf nicht ganz geradem Wege immerhin ein bisschen vorwärts.
Wenn ihr noch einmal auf das Molekülbild oben schaut, dann fällt euch vielleicht etwas auf (oder ihr fragt euch das eh schon die ganze Zeit): Irgendwie fehlt dem Auto der Motor – wo sitzen denn die PS (neumodisch kW)?
Tja, in technisch etwas unpraktischer Konstruktion hat das Molekül-Auto leider keinen Motor an Bord, dafür ist es einfach zu klein. Angetrieben wird es von Außen, nämlich durch die Nadel eines Rastertunnelmikroskops:
So ein Tunnelmikroskop hat eine dünne Spitze (der Knubbel oben im Bild, dünn ist halt relativ), von der aus Elektronen in das Kupfersubstrat durchtunneln (nein, da wird kein neuer Neutrino-Tunnel gegraben, aber das funktioniert per Tunneleffekt). Wenn sie dabei das Auto-Molekül treffen, dann regen sie es energetisch an – das sind die ominösen “elektronischen Anregungen”, die oben die erste Vierteldrehung des Moleküls ausgelöst haben.
Nicht jedes der Autos, die aus der Chemiefabrik kommen, kann tatsächlich fahren – weil die Rad-Seitengruppen ja nicht spiegelsymmetrisch sind, man aber die Symmetrie nicht steuern kann, gibt es immer auch Autos, deren Räder verkehrt herum angebracht sind und sich in entgegengesetzte Richtungen drehen, so dass die Autos nicht von der Stelle kommen, sondern sich nur unkontrolliert drehen. Und selbst ein richtig zusammengebautes Molekül fährt nur in 50% der Fälle – die Autos werden nämlich einfach auf die Kupferstraße geschüttet, so dass die Hälfte mit dem “Dach” nach unten landet. Wenn die in einer echten Autofabrik hergestellt würden, dann könnten die Unternehmensberater mal tatsächlich was optimieren – im VW-Werk ist mir so etwas jedenfalls nicht aufgefallen…
Insgesamt ist das Ganze also eine ziemlich trickreiche Konstruktion. Wozu sie gut ist? Falls Atome mal in Urlaub fahren wollen, können sie das jetzt stilvoll im eigenen Wagen tun (vorausgesetzt, ein freundlicher menschlicher Bediener versorgt sie mit Tunnel-Elektronen). Ernsthafte Anwendungsmöglichkeiten werden nicht mal in der Nature-Veröffentlichung erwähnt – es geht hier mehr darum, die prinzipielle Möglichkeit zu erproben. Aber wer weiß, vielleicht hat irgendjemand eine brillante Idee, und in ein paar Jahren oder Jahrzehnten sausen lauter Molekülautos durch unsere Wohnungen oder unsere Körper.
Kudernac, T., Ruangsupapichat, N., Parschau, M., Maciá, B., Katsonis, N., Harutyunyan, S., Ernst, K., & Feringa, B. (2011). Electrically driven directional motion of a four-wheeled molecule on a metal surface Nature, 479 (7372), 208-211 DOI: 10.1038/nature10587
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