Um Elementarteilchenprozesse zu berechnen, malt man jetzt kleine Bildchen wir zum Beispiel dieses hier:
Ihr seht ein Elektron (e–) und ein Myon (μ–), die aufeinandertreffen und dabei ein Photon austauschen.1 Diese Bildchen sind nicht einfach bloß nette Veranschaulichungen (das sind sie auch, aber nicht nur), sondern sind verkappte Rechenvorschriften, sozusagen in einer Kurzschreibweise. Es gibt genaue Rechenregeln, nach denen ihr zum Beispiel ausrechnen könnt, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass dieser Prozess hier stattfindet, wenn die einfliegenden Teilchen bestimmte Eigenschaften haben. Ein netter Blogger hat das mal hier erklärt.
1Vielleicht wundert ihr euch, weil ich die Photonlinie ein bisschen schräg hätte zeichnen sollen. Tatsächlich ist es aber egal, ob das Elektron das Photon aussendet und das Myon es absorbiert oder umgekehrt – beide Prozesse müssen berücksichtigt werden, und man zeichnet es deswegen oft mit horizontaler Photonlinie. Der Link zum Thema Feynman-Diagramme erklärt das genauer.
Für uns hier wichtig ist vor allem die Rechenregel, die sagt, wie ein Teilchen von einem Ort zum anderen kommt, die also zu diesem einfachen Bildchen gehört:
Das zugehörige mathematische Objekt, das da berechnet wird, nennt man den Propagator – aber keine Angst, die Formel dafür brauchen wir nicht. Wichtig ist erst einmal nur, dass der Propagator von der Masse abhängt, und das ist eigentlich ja logisch: Ein ICE kommt anders von A nach B als eine Modelleisenbahn.
Das Problem der schwachen Wechselwirkung
Um zu verstehen, warum man einen Higgs-Mechanismus braucht, müssen wir uns die schwache Wechselwirkung (auch schwache Kernkraft genannt) näher ansehen: Das ist die, bei der die W- und Z-Teilchen eine Rolle spielen.
Diese Wechselwirkung kann nämlich Teilchen ineinander umwandeln. Beispielsweise kann aus einem Elektron ein Neutrino werden:
Das funktioniert als einzelner Prozess so nicht – sonst wären Elektronen instabil – aber es kann Bestandteil eines komplizierteren Prozesses sein, etwa so:
Hier wandelt sich ein Elektron in ein Neutrino um, das entstehende W-Teilchen verwandelt dann ein up- in ein down-Quark1.
1Auch hier könnte man die W-Boson-Linie horizontal zeichnen (sollte man eigentlich auch): Es ist egal, ob das Elektron ein W– aussendet oder ein W+ absorbiert, das kommt genau aufs selbe raus.
Ein wichtiges Beispiel für einen Prozess, der so ein W-Teilchen enthält, ist der Zerfall eines Neutrons in ein Proton, ein Elektron und ein (Anti-)Neutrino:
By Thymo – Own work by Thymo, Public Domain, Link
Dabei wandelt sich ein d-Quark des Neutrons in ein u-Quark um (Neutronen haben die Quark-Zusammensetzung udd, Protonen uud), sendet ein W-Boson aus, das dann zerfällt.
Bei der Analyse dieses Zerfalls entdeckte man etwas Erstaunliches: Der Prozess ist nicht spiegelsymmetrisch. Zwei Versuchsaufbauten, die sich nur darin unterscheiden, dass der eine ein exaktes Spiegelbild des anderen ist, zeigen unterschiedliche Ergebnisse. Das ist die berühmte Paritätsverletzung, für die es auch prompt einen Nobelpreis gab – die Geschichte dazu könnt ihr bei Jörg nachlesen.
Auch weitere experimentelle Ergebnisse zeigten, dass hier etwas Merkwürdiges passierte: Anscheinend hängen Prozesse, in denen W- oder Z-Teilchen eine Rolle spielen, von der Drehung der beteiligten Elementarteilchen ab.
Spin und Helizität
Gut, “Drehung” ist nicht ganz das richtige Wort – vornehm spricht man von Spin. (Im Englischen ist aber beides dasselbe Wort.) Den Spin von Elementarteilchen wirklich sauber zu erklären, ist alles andere als einfach. Stellt euch einfach vor, die Teilchen wären kleine Kugeln, die sich drehen, sie haben also eine Drehachse.
Nach den seltsamen Regeln der Quantenmechanik kann diese Drehachse – wenn man sie denn misst – nur in bestimmte Richtungen zeigen. Für die Teilchen, auf die es hier ankommt (das sind die Materieteilchen, also Leptonen und Quarks) zeigt die Drehachse immer entweder in die Bewegungsrichtung oder entgegengesetzt dazu. Man spricht auch von der Helizität. Teilchen können entweder rechtshändig rotieren oder linkshändig: Lasst den Daumen in die Bewegungsrichtung des Teilchens zeigen – die Finger geben dann die “Drehrichtung” des Teilchens an.
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