Die Untersuchung der schwachen Wechselwirkung zeigt jetzt, dass die Materie-Teilchen nur dann mit W- oder Z-Bosonen wechselwirken können, wenn sie linkshändig rotieren, aber nicht bei rechtshändigen Teilchen. Das war natürlich ziemlich ungewöhnlich und war einer der Gründe, warum es alles andere als einfach war, eine vernünftige Theorie dieser Wechselwirkung aufzustellen.
Mit etwas Trickserei gelang es tatsächlich, eine passende Theorie (die V-A-Kopplung (liest man “Vau-Minus-Ah”)) aufzustellen, deren Vorhersagen zum Experiment passten. Allerdings hatte diese Theorie einen massiven Schönheitsfehler.
Auf der Überholspur
Das Problem lässt sich in einem Satz formulieren: Wenn nur linkshändige Elektronen mit den W- und Z-Teilchen wechselwirken, was passiert dann, wenn ich ein Elektron überhole? Stellt euch das Elektron als kleine drehende Kugel vor, die durch die Gegend fliegt, sagen wir nach oben. Das Elektron soll linkshändig sein und kann dann an ein W oder Z koppeln. Jetzt fliege ich am Elektron vorbei, ebenfalls nach oben, und mit einer höheren Geschwindigkeit. Für mich sieht es so aus, als würde das Elektron nach unten fliegen. Damit wäre es rechtshändig und könnte nicht an die Ws und Zs koppeln. Dieses Bild macht das hoffentlich anschaulich:
Und das ist ja wohl Blödsinn – es kann ja kaum vom Beobachter abhängen, ob Elektronen nun ein Teilchen aussenden oder nicht; entweder das Elektron zerfällt, oder es zerfällt nicht, aber beides geht ja wohl nicht.
Damals nahm man noch an, dass Neutrinos masselose Teilchen sind. Für die gab es dieses Problem nicht, denn masselose Teilchen kann man nicht überholen, die fliegen immer mit Lichtgeschwindigkeit. Wenn Elektronen masselos wären, dann könnten wir unsere schöne Theorie retten.
Ja, klar. Und wenn Ideen Goldstücke wären, dann wären alle Physiker Millionäre. Masselose Elektronen? Gibt es da nicht so ein ganz paar Experimente, die zeigen, dass Elektronen eine Masse besitzen?
Aus Masse wird Wechselwirkung
In der Elementarteilchentheorie äußert sich die Masse eines Teilchens ja vor allem darin, wie es von A nach B kommt. Ihr erinnert euch vielleicht noch an dieses Bild von oben (hier vereinfacht ohne die Achsen):
Es zeigt, wie das Elektron von einem Ort zum anderen fliegt – den “Propagator”.
Und jetzt kommt ein ziemlich genialer mathematischer Trick: Man kann den Propagator für ein Teilchen mit Masse umschreiben in den für ein Teilchen ohne Masse. Das sieht dann so aus:
Links seht ihr den “normalen” Elektron-Propagator, rechts seht ihr eine Summe von Möglichkeiten, von A nach B zu kommen. Die gestrichelte Linie ist dabei der Propagator für ein “masseloses Elektron” (ihr nehmt also die Formel für den Propagator und setzt die Masse m einfach gleich Null). Das masselose Elektron fliegt aber nicht einfach von A nach B, sondern kann unterwegs “Zwischenstation” machen, einmal, zweimal oder mehrmal. (Und nach den Regeln für diese Art Rechnungen muss man alle diese Möglichkeiten addieren, um herauszubekommen, wie das Elektron nun genau von A nach B kommt.) Bei jeder Zwischenstation habe ich einen Kringel dran gemalt. Hier kann das Elektron seine Richtung und Geschwindigkeit wechseln, und mathematisch geht hier jetzt die Masse des Elektrons in die Berechnung dessen ein, was an diesem “Kringel” passiert. Zwischen den “Kringeln” fliegt das Elektron aber mit Lichtgeschwindigkeit, weil es masselos ist.
Dass das Elektron insgesamt nicht mit Lichtgeschwindigkeit von A nach B kommt, liegt an den vielen Zwischenstationen – das Elektron macht quasi Umwege:
Wir haben jetzt also ein Elektron, das lichtschnell ist, wenn man ganz genau hinguckt, aber nicht, wenn man nur guckt, welche Strecke es effektiv zurücklegt. Das ganze ist ein bisschen wie bei einem jungen Hund, der mit einem älteren Herrchen oder Frauchen unterwegs ist – er rast ständig hin und her, am Ende kommt er aber doch nur langsam vorwärts.
Hier stand ursprünglich ein Argument zur Impulserhaltung – nach längerem Nachdenken bin ich aber der Ansicht, dass es falsch ist.
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