An jedem dieser Kringel passiert dabei etwas seltsames: Die Elektronen wechseln ihre Helizität, die Zicks sind also immer linkshändig, die Zacks rechtshändig. Wenn man das so annimmt, dann kann man damit die Wechselwirkung zwischen Teilchen und den W- und Z-Bosonen korrekt beschreiben. Das Problem ist nur, dass Teilchen nicht “einfach so” ihre Helizität wechseln können. Rechnet man die Theorie in dieser Form zu Ende, ergeben sich jede Menge unsinniger Ergebnisse, vor allem ein Haufen Unendlichkeiten, die man auch mit mathematischer Trickserei nicht los wird. (Das hängt mit der so genannten “Eichsymmetrie” zusammen – in der jetzigen Form ist die Theorie nicht eichsymmetrisch. Eichtheorien habe ich hier erklärt. Und ich bin hier etwas schlampig – streng genommen muss man zwischen Helizität und Chiralität unterscheiden; für die Grundidee ist das nicht so wichtig, aber wer Details dazu wissen will, findet sie (auf Englisch) bei quantumdiaries.)
Endlich: Das Higgsfeld
Mit ein bisschen Cleverness können wir aber einen Mechanismus finden, der erklärt, was an den “Kringeln” passiert, ohne dass es zu diesem Problem kommt. Vergleicht nochmal das Bild mit einem Kringel mit dem Bild einer Wechselwirkung von oben:
Merkt ihr was? Wenn dort, wo der Kringel sitzt, in sozusagen “unsichtbares” Teilchen wäre, dann könnten wir unsere Kringel uminterpretieren, nämlich als Wechselwirkung (das zugehörige Teilchen hier in grün):
So sieht das dann für unser Elektron auf dem Weg von A nach B aus:
Damit das klappt, brauchen wir aber natürlich überall dort, wo so ein Kringel sitzen kann, ein passendes Teilchen zum Wechselwirken.1 Und da so ein Kringel überall sitzen kann und an jedem Kringel immer die gleiche Zahl – nämlich das m – dransteht, muss es immer und überall ein passendes Teilchen geben. Das ganze Universum muss also mit diesen Teilchen angefüllt sein, sie sind überall.
1Man könnte denken, das Elektron würde immer nur grüne Teilchen aussenden – aber dabei würde es ständig Energie verlieren, deshalb muss es ein grünes Teilchenfeld geben, mit dem das Elektron wechselwirken kann. Deswegen habe ich die Linien auch wieder wie oben horizontal gezeichnet.
Und – na klar – diese Teilchen sind die Higgs-Teilchen1. Weil sie überall gleichzeitig sind, spricht man auch vom Higgs-Feld. Ihr könnt euch das ein bisschen vorstellen wie die Luft um uns herum – wenn es keinen Wind und keine Luftbewegungen gäbe, sondern die wirklich überall und immer gleich wäre, dann würden wir von ihr nicht viel bemerken, aber sie würde trotzdem unsere Bewegung beeinflussen. (Das erinnert von der Idee her an die Dirac-See.) Ein anderes Bild ist das mit der Party, siehe den Link am Anfang des Artikels.
1Das ist jetzt ein bisschen vereinfacht, genau genommen sind sie es gerade nicht. Im zweiten Teil (seufz, erster Hauptsatz der Bloggodynamik: Blogartikel werden immer länger, als man denkt, selbst wenn man den 1. Hauptsatz berücksichtigt) erkläre ich den Unterschied zwischen Higgs-Feld und Higgs-Teilchen genauer.
Also: Statt einfach mit einer Masse m von A nach B zu fliegen, fliegen alle Teilchen mit Lichtgeschwindigkeit, aber immer im Zickzack. Immer wenn sie von einem Zick zu einem Zack wechseln, dann geschieht das durch Wechselwirkung mit dem Higgs-Feld. Dabei wechseln sie jedes Mal ihre Helizität.
Wie groß die Masse eines Teilchens ist, hängt jetzt davon ab, wie stark es mit dem Higgs-Feld wechselwirkt. Die Masse wird also einfach uminterpretiert, nämlich als Kopplung an ein überall vorhandenes Feld. Schwere Teilchen wie zum Beispiel top-Quarks koppeln also sehr stark an das Higgs-Feld, leichte Teilchen wie ein Neutrino (die ja vermutlich eine sehr kleine Masse haben) nur sehr schwach, masselose Teilchen wie Photonen gar nicht.
Mathematisch ist das ziemlich simpel: In der Lagrangedichte haben Masseterme die (vereinfachte, ich spare mir hier den ganzen Index-Spinoren-Sonstwas-Müll) Form m2φ2, Wechselwirkungsterme die Form g φ H φ – dabei ist φ das betrachtete Teilchen und H das Higgsfeld. g ist die Kopplung zwischen Higgsfeld und dem Feld φ. Ihr seht, dass die Uminterpretation mathematisch gar kein Problem ist.
Zwischenbilanz
Das ist also der Higgs-Mechanismus. Ich fasse die Ideen nochmal ganz kurz zusammen: Die schwache Kernkraft mit den W- und Z-Bosonen kann man korrekt nur beschreiben, wenn man annimmt, dass sich links- und rechtshändige Teilchen unterschiedlich verhalten. Weil man aber links- und rechtshändig durch bloßes Überholen ineinander überführen kann, lässt sich das nur realisieren, wenn die Materie-Teilchen “eigentlich” lichtschnell sind und nur im “Zickzack” fliegen. Die Zickzacks haben Kringel, an denen die Teilchen ihre Richtung wechseln. Und das wiederum können wir am besten dadurch beschreiben, dass an jedem dieser Kringel unser Teilchen mit einem anderen wechselwirkt – eben dem Higgsteilchen. Dazu muss der gesamte Raum mit einem Higgs-Feld angefüllt sein.
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