Dieses Zwei-Schritt-Verfahren sorgt dafür, dass der Knochen bereits während des Wachsens belastet werden kann – Knorpel (insbesondere, wenn er mineralisiert ist, also eine keramische Komponente aus Kalziumphosphat enthält) ist sehr gut geeignet, um Drucklasten aufzunehmen. Ist der Knorpel erst einmal da, wird er stückweise abgebaut und durch Knochen ersetzt, aber immer so, dass der Knorpel-Knochen dabei belastbar bleibt. Das ist einer der großen Vorteile, wenn man ein Wirbeltier ist – Krebstiere beispielsweise müssen ihr Außenskelett abwerfen, weil es nicht mitwachsen kann.

Zurück zu den Extra-Zehen: Sie entstehen also ebenfalls als Knorpel, der dann mineralisiert. Im Laufe des Elefantenlebens wird er dann aber zu Knochen umgebaut – allerdings in einer ungewöhnlichen Art. Normalerweise hat die Knorpelstruktur eine Vorzugsrichtung (die man zum Beispiel an der Orientierung der knorpelbildenden Zellen erkennt) – in den Extra-Zehen ist das aber nicht so. Entsprechend wird auch der Knorpel ziemlich ungerichtet zu Knochen umgebaut, und es entsteht ein schwammartiger (spongiöser) Knochen mit vielen Hohlräumen. Hier eine rasterelektronenmikroskopische Aufnahme:

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Solchen spongiösen Knochen findet man zwar häufig – das bekannteste Beispiel dürfte der Oberschenkelkopf sein (hier ein Bild von der Queen-Mary-University, London):

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Allerdings ist meistens der Knochen gerichtet und die einzelnen Knochenbälkchen (Trabeculae genannt) sind mechanisch in etwa passend zur äußeren Last angeordnet. (Erschreckenderweise war einer der ersten Links, die ich fand, einer zu answersingenesis, wo natürlich das “ingenious design” dieser Struktur hervorgehoben wird. Seufz.) Bei den Extra-Zehen der Elefanten dagegen ist die Struktur ziemlich irregulär, wie ihr oben im Bild sehen könnt. (Aber der intelligente Designer hat sich da bestimmt ganz doll viel zu überlegt…)

O.k., nun wissen wir also, dass es sich bei den Extra-Zehen um eine ungewöhnliche Art von Knochen handelt. Entstanden sind sie aus Sesamknochen – kleinen Knochen, die in Sehnen liegen und deren Hebelarm vergrößern (bekanntestes Beispiel ist die Kniescheibe.). Aber warum hat der Elefant diese Extra-Zehe? Wie funktioniert sie?

Am einfachsten wäre es natürlich, man würde einen Elefanten herumlaufen lassen und dabei den Fuß röntgen oder mit Ultraschall analysieren. Das ist aber leider so nicht machbar, weil die Elefantenhaut am Fuß extrem dick ist – Ultraschall dringt nicht vernünftig durch; röntgen könnte man nur mit gesundheitsschädlicher Strahlendosis. Stattdessen musste man auf eine indirekte Analyse zurückgreifen: Es wurden Füße von Elefantenkadavern verwendet und in einem CT so manipuliert, dass die Bewegung der Knochen aufgenommen werden konnte. (Dabei muss man natürlich berücksichtigen, dass die Muskeln dann keinen Einfluss mehr haben.)

Mechanisch gesehen kann man sich zwei Funktionen vorstellen: Zum einen könnten die Extra-Zehen als starre Lastaufnehmer wirken, die einfach einen Teil der Gewichtskraft übernehmen. Alternativ könnten sie sich unter Belastung auch bewegen und so eher als Hebel wirken.

Tatsächlich ist beides richtig, wie die CT-Bilder (oben der Vorder- unten der Hinterfuß) zeigen:

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der Extra-Zeh am Vorderfuß (pp=prepollex) bewegt sich nahezu nicht, der am Hinterfuss (ph=prehallux) rotiert dagegen; genauer gesagt rotiert vor allem das Ende des Prehallux, während der Teil, der direkt an den Fußknochen ansetzt, ebenfalls starr bleibt. Vermutlich hängt das damit zusammen, dass die Knochen im Vorderfuß ja insgesamt vertikaler orientiert sind. Beide Extra-Zehen helfen aber auf jeden Fall bei der Stabilisierung des Fußpolsters und entlasten die Zehen. Unklar ist bisher, wie genau die an den Extra-Zehen ansetzenden Muskeln wirken, denn das ließ sich durch diese Experimente ja nicht herausfinden.

Um die Sache abzurunden, enthält die Arbeit schließlich noch eine kurze Analyse der Evolution des Elefantenfußes. Die Vorfahren der Elefanten waren echte Sohlengänger, was für vermutlich häufig im Wasser lebende Tiere ja auch vorteilhaft ist. Mit zunehmender Körpermasse orientierte sich der Fuß dann immer mehr in die Zehengänger-Position, weil dadurch die Belastung der Knochen abnahm, die so mehr Druck- und weniger Biegelasten aufnehmen mussten. Dabei sorgte ein großes Fußpolster weiter dafür, dass der Druck unter der Sohle nicht zu groß wurde. Dieses Polster wiederum wurde durch die “Extra-Zehen” gestützt. Dieses Bild zeigt einen vereinfachten Stammbaum (genaue gesagt, ein zeitaufgelöstes Kladogramm) der Elefanten mit Fußskeletten:

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Kommentare (4)

  1. #1 Boron
    18. Januar 2012

    Hey, cool! Ein zoologischer Artikel, wo’s mal nicht um Dinos geht 🙂

  2. #2 MartinB
    18. Januar 2012

    @Boron,
    Hey – ist ja deutlich nicht der erste.

  3. #3 BreitSide
    18. Januar 2012

    xxx

  4. #4 Hans-Joachim Gregor
    82140 Olching
    18. Juni 2015

    Guter Artikel. Werde sofort nachsehen, ob Deinotherium einen 6.Zehen hat – das Vieh ist für mich kein Elefant! Bin Molassespezialist, daher mein Interesse. Danke, H.-J. Gregor