Was klingt wie eine magische Zutat aus dem Geheimschrank von Professor Dumbledore ist eine der neusten Ideen aus der theoretischen Physik: Zeitkristalle. Es handelt sich nicht um kristallisierte Zeit, sondern um Kristalle, die sich in der Zeit so verhalten wie es normale Kristalle im Raum tun.
Um die Idee zu verstehen, muss man sich erst einmal fragen was ein gewöhnlicher Kristall (ein “Raumkristall”) eigentlich ist. In einem Kristall ordnen sich Atome (oder auch Moleküle, aber ich bleibe der Einfachheit halber bei Atomen) regelmäßig an, etwa so:
By H. Hoffmeister – first upload in de wikipedia on 17:21, 14. Okt 2005 by Lanzi, CC BY-SA 3.0, Link
Hier im Beispiel seht ihr einen Natriumchlorid-Kristall. Die beiden unterschiedlichen Atome sind jeweils elektrisch geladen und ziehen sich an, dürfen sich aber nicht zu nahe kommen, da sich ihre Elektronenhüllen bei zu kleinen Abständen abstoßen. Es bildet sich deshalb ein Gleichgewichtszustand aus, in dem die Atome regelmäßig angeordnet sind, so dass jedes von ihnen von vielen entgegengesetzten Ladungen umgeben ist. Dieser Zustand ist der energetisch günstigste (und generell tendieren Systeme ja dazu, ihre Energie zu minimieren).
Vom Standpunkt der theoretischen Physik aus ist an so einem Kristall eins besonders interessant: Er weist eine “spontan gebrochene Symmetrie” auf. Das Universum selbst ist ja an allen Orten zunächst mal gleich (es gibt keinen bevorzugten Raumpunkt) – es ist also symmetrisch gegen eine Ortsverschiebung. In einem Gas gilt das auch für die Atome – im statistischen Mittel finde ich an jedem Punkt mit gleicher Wahrscheinlichkeit ein Atom. In einem Kristall wie unserem hier ist das allerdings nicht mehr so – an einigen Orten sitzen Atome, an anderen nicht, die Symmetrie gegen eine beliebige Ortsverschiebung ist gebrochen. (Mehr über Symmetrie in der Physik findet ihr hier.) Der Kristall ist dabei periodisch, das heißt er wiederholt sich nach einem kleinen Stück immer wieder.
Betrachtet man die Sache etwas genauer und aus dem Blickwinkel der Quantenmechanik, sieht die Sache ein klein wenig komplizierter aus: Der energetisch günstigste Zustand ist der des Kristallgitters, aber wo genau das Kristallgitter sitzt, spielt für die Energie keine Rolle – verschiebe ich das Gitter oben im Bild etwas nach rechts oder links, dann ändert sich die Energie ja nicht. Quantenmechanisch gesehen ist das Kristallgitter also zunächst in einem Überlagerungszustand aus allen möglichen Orten – erst wenn ich die Position eines Atoms messe, dann weiß ich, wo das Gitter genau ist. Solange das Kristallgitter dabei perfekt ist, genügt eine einzige Messung an einem Ort, um die Position des gesamten Gitters festzulegen.
Anmerkung für die Physik-Nerds Laut dem Goldstone-Theorem ist mit jeder spontan gebrochenen kontinuierlichen Symmetrie eine Nullmode verbunden – im Kristall sind das die Phononen. Die Messung des Atoms muss also so vorsichtig gemacht werden, dass sie das Gitter nicht stört – da die Energie eines Phonons beliebig klein sein kann, heißt das (wenn ich es mir richtig überlegt habe – das habe ich so jedenfalls nirgends gelesen), dass ich wegen der Energie-Zeit-Unschärfe einen sehr langsamen Messprozess brauche.
Zusammengefasst haben wir also folgendes herausgefunden: Ein Kristall entsteht, weil ein periodischer Zustand mit gebrochener Symmetrie im Raum energetisch der günstigste Zustand ist. Weil es sich eben um eine Symmetrie im Raum handelt, können wir von einem “Raumkristall” sprechen.
Und damit ergibt sich ganz zwanglos die Definition eines “Zeitkristalls”: Ein Zeitkristall entsteht, wenn ein periodischer Zustand mit gebrochener Symmetrie in der Zeit der energetisch günstigste Zustand ist. Toll, oder? Fragt sich nur, was das heißen soll.
Fangen wir vorn an: Was ist ein periodischer Zustand mit gebrochener Symmetrie in der Zeit? Im Raumkristall war es so, dass wir entlang einer der Kristallachsen laufen können und sehen: Kein Atom -Atom – kein Atom – Atom usw. In der Zeit müsste es ähnlich sein. Wenn wir uns an einen ganz bestimmten Ort setzen und entlang der Zeitachse laufen (also einfach die Zeit vergehen lassen), sehen wir dort mal “kein Atom” und mal sehen wir eins. Da Atome nicht einfach so aus dem Nichts auftauchen und verschwinden können, klingt das erst mal ziemlich blöd.
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